Materialien 1969

Revolte oder Happening?

Die Studentenunruhen am Institut für Zeitungswissenschaft 1968/69

Institutsgeschichte ist meist „Geschichte von oben“ – das gilt auch für das Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IfKW) der LMU, das in diesem Jahr sein 80-jähriges Jubiläum feiert. Die Vergangenheit des IfKW erzählt von Dekreten, Professoren, Forschungsleistungen. Studenten scheinen oft nur als anonyme Zahlen auf, als passive „Bildungskonsumenten“, bestenfalls als erfolgreiche Absolventen. Manchmal sind sie aber auch Akteure, sorgen für Geschichten, die Geschichte erst lebendig machen. So etwa im Winter 1968/69, als sich ein besonders bewegtes Kapitel in der Historie des Instituts für Zeitungswissenschaft ereignete.

München im November 2003: Mehr als 20.000 Studierende ziehen durch die Innenstadt zum Odeonsplatz, schwenken Transparente, bieten ein Pfeifkonzert vor der Staatskanzlei. Ein „Revival” der Protestkultur der späten 60er Jahre? Nicht ganz: Kein radikaler Umbau der gesellschaftlichen Verhältnisse wird von den Protestierenden angemahnt. Auch Professoren sind im Demonstrationszug, und der Uni-Rektor ist einer der Hauptredner der Kundgebung. Gemeinsam agieren sie gegen Kürzungen im Bildungsbereich; agitieren will kaum jemand.

Umschnitt. Wenige hundert Meter weiter – und fast 35 Jahre früher: Der Karolinenplatz am 11. Februar 1969. Aus den Fenstern des Instituts für Zeitungswissenschaft hängt eine rote Vietcong-Fahne, daneben ein Transparent mit der Aufschrift: „Erstes BEFREITES Institut der Universität München“. Befreit von was – und von wem? Eine „Basisgruppe ZW“ hat das Institut besetzt und das Personal kurzzeitig vertrieben. „Bahman Nirumand Institut“ hat jemand mit Ölfarbe an eines der Fenster geschrieben, „SEID REALISTISCH – verlangt das Unmögliche“ auf eine der Innenwände. Das „Unmögliche” war zunächst nur eine Lappalie: Studenten waren nicht bereit, eine Klausur zu schreiben. Im Hintergrund gärte es aber seit längerem – und nicht nur in München. Unruhige Zeiten der Studentenbewegung.

Das Institut für Zeitungswissenschaft war damals eine kleine Einrichtung mit nur einem Professor, Otto B. Roegele, und vier wissenschaftlichen Mitarbeitern – ganze 16 Lehrveranstaltungen gab es für bereits rund 800 Studierende. Dass es gerade hier zur Eskalation kam, lag zum einen am Quartier: Seit 1966 residierte das Institut im zweiten und dritten Stock des Amerika Hauses – ein symbolträchtiger Ort, kam es doch, wie sich Hans Pfitzinger, einer der Institutsbesetzer, heute erinnert, „vielen Leuten so vor, als ob die ganze Bundesrepublik bei den Amerikanern zur Miete wohnte“. Jede Aktion hier konnte, so Roegele rückblickend, „als Unternehmen gegen den ,militärisch-technischen Komplex’ und für das ,unterjochte vietnamesische Volk’ gerechnet werden”. Zum anderen lag es wohl an den Personen. Roegele galt als dezidiert konservativ; unter den Studenten gab es hingegen besonders fundamentalistisch gesinnte Streiter, so Brigitte Monhaupt und Rolf Heißler, beide Jahre später Mitglieder des harten Kerns der Roten Armee Fraktion.

Im Juni 1968 hatten die Studierenden – bei (damals wie heute) kleiner Wahlbeteiligung – neue Fachschaftsvertreter gewählt; die radikalsten unter ihnen formierten die „Basisgruppe ZW“. Alle Lehrveranstaltungen wollten sie in Diskussionsforen über Hochschulpolitik, Wissenschaftsverständnis und Gesellschaftsveränderung umwandeln. Als sie damit bei den Dozenten nicht durchkamen, verlegten sie sich mehr und mehr auf „Happenings“ und Provokationen. So wurde im November die hektographierte Nullnummer einer Zeitschrift herausgegeben. Der Inhalt: vor allem Obszönitäten und persönliche Beleidigungen insbesondere gegenüber Otto B. Roegele. Dieser erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen die Verbreitung des „Porno-Pamphlets“ – was von den radikalen Studenten als „Schlag gegen die Pressefreiheit“ und als neuerlicher Beweis der grundsätzlich repressiven Verhältnisse in Staat, Gesellschaft und Institut interpretiert wurde.

Nächste Aktion am 29. November: eine Wandzeitung mit der Hauptlosung „Schafft die permanente Diskussion!“. Ganz in diesem Sinne übernahmen die „Basisgruppler“ am 16. Januar 1969 das Mikrofon in der einzigen Vorlesung, ließen Roegele nicht zu Wort kommen – und sprengten so die Veranstaltung. Dann kam der Klausurboykott. Schauplatz: die Proseminare. Am 7. Februar wurden die Prüfungsräume – teils im Handgemenge mit Klausurwilligen – besetzt. Die Wortführer des Protests lehnten schriftliche Prüfungen als „Machtinstrumente“ und Ausdruck einer falschen „Leistungsideologie“ ab – und forderten schließlich die Kursleiter ultimativ auf, bis zum nächsten Dienstag, den 11. Februar, zehn Uhr, für alle mit der Einheitsnote „befriedigend” versehene Seminarzeugnisse zu unterschreiben und auszuhändigen.

Der Dienstag kam – und schon um 9.30 Uhr waren gut hundert Studierende im Institut versammelt. Einige drangen bald gewaltsam in das Studentensekretariat ein, um die (vorsorglich entfernten) Studentenakten einzusehen, durchsuchten auch Roegeles Direktionsraum, deklarierten schließlich die Räume im Amerika Haus als „Erstes BEFREITES Institut der Universität München“ und benannten es nach Bahman Nirumand um, einen in Deutschland im Exil lebenden, prominenten persischen Publizisten, dem die Ausweisung drohte.

Wohl organisiert wollte man vorgehen: Ein „Agitationstrupp“ wurde in die Mensa gesandt, zu einem „Teach-in“ geladen, Arbeitsgruppen gegründet, Schlafgelegenheiten in die Institutsräume geschafft. Laut dem Münchner Merkur bot sich dort bald eine Art „Revoluzzer-Idyll“: „Die Okkupanten hatten es sich auf vergammelten Matratzen und Schlafsäcken bequem gemacht, tranken Bier, kauten Nüsse, lasen Stöße von Rundschreiben und diskutierten.“

Auch prominente Unterstützung traf ein – der Berliner Kommunarde Fritz Teufel kam, diskutierte mit, blieb. Um 20 Uhr berichteten alle Arbeitskreise im Plenum; viele beschlossen, über Nacht im Institut zu bleiben. Peter Glotz, damals Assistent am Institut, versuchte noch einmal zu vermitteln; kurz nach 22 Uhr kam auch der Rektor der LMU, Professor Audomar Scheuermann, und rief die Besetzer zum Abzug auf. Mit wenig Erfolg. Dann kam die Polizei, über 150 Mann. Münchens Polizeipräsident Manfred Schreiber forderte per Megaphon zur Beendigung des Hausfriedensbruchs auf. Um zwei Uhr räumten seine Beamten das Gebäude. 43 Personen – nur 13 davon Studenten des Instituts – wurden festgenommen und in das Polizeipräsidium gebracht; am Morgen waren die meisten schon wieder entlassen. Selbstironisch erzählt Pfitzinger: „Ich (…) fuhr nach Hause, irgendwie doch stolz, endlich die revolutionäre Mindesttat vollbracht zu haben und aus politischen Gründen verhaftet worden zu sein. (…) heute kam ich mir schon ziemlich kernig vor, verwegen, furchtlos der Staatsmacht trotzend“. Ein Kommentator des Münchner Merkur gemahnte hingegen an finsterste Zeiten: „Wie weiland von SA und SS wurden Türe und Schränke aufgebrochen und Räume verwüstet und beschmutzt, so dass die Lokalitäten hernach, man gestatte den kräftigen Ausdruck, wie Schweineställe aussahen.“ Der Schaden war aber relativ gering: Zwei Telefonkabel waren aus der Wand gerissen, Türschlösser beschädigt, einige Blumentöpfe zerschlagen. Das Institut blieb für zwei Tage geschlossen, dann war das Semester ohnehin zu Ende. Die Bagatellverfahren wegen Hausfriedensbruch wurden bald eingestellt – und die Studentenproteste verlagerten sich an andere Orte.

Aus der historischen Distanz stellen sich die Ereignisse vom Februar 1969 als Episode dar, die man kopfschüttelnd bis amüsiert zur Kenntnis nehmen kann.1 Für die Beteiligten waren es aber einprägsame Erlebnisse, für manche auch prägende Erfahrungen. Was wurde aus den Besetzern? „Lehrer, Film- und Agenturleute, einige promovieren, Bürger, Familiengründer. Manche verbauen sich die Karriere durch eine Latte von Vorstrafen. Einige versacken im kriminellen Untergrund. Lebenslänglich für die späteren RAF-Aktivisten Brigitte Monhaupt und Rolf Heißler“, so fassen es lakonisch drei Studentinnen von heute in der Institutszeitschrift ComMunichator zusammen.

Bahman Nirumand übrigens lebt noch immer in der Bundesrepublik. Und Klausuren werden am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung weiterhin geschrieben. Nicht dagegen regt sich heute Protest, sondern gegen als unsozial empfundene Reformen an der Universität.

Dr. Markus Behmer
Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung,
Ludwig-Maximilians-Universität München


MünchnerUni Magazin. Zeitschrift der Ludwig-Maximilians-Universität München 2/2004, 10 f.

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1 Wer seinen Forschungsgegenstand lediglich auf einen Objektträger klebt, um ihn zu beobachten, sieht nur die Oberfläche. Vom Wesen der Bewegungen hat der Autor nichts verstanden.

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: StudentInnen

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