Materialien 1970

Kapuzenmänner aus Persien

Wie 66 iranische Studenten die persische Botschaft in München besetzten
von Heinz Rabbow

Die persische Botschaft in München sah plötzlich irgendwie anders aus. Die lächelnden Bilder von Schah Reza Pahlevi und seiner Gemahlin Farah Diba in den Diplomatenzimmern leuchteten von roten Farbklecksern, die sonst leeren weißen Wände trugen Schriftzüge: „Nieder mit dem Schah-Regime!“ oder: „Savak gleich SS!“ Und überall Männer mit schwarzen Kapuzen über den Köpfen. Man hätte sie für Henker halten können. Doch sie trugen ihre gespenstischen Masken, weil sie Angst vor den Henkern haben.

66 iranische Studenten hatten am 4. August die iranische Botschaft in München besetzt. Mit einem Hungerstreik wollten sie dort gegen eine in der Bundesrepublik bisher diskret verschwiegene neue Terrorwelle im Iran protestieren.

Die Münchner Polizei stand dem Ansturm der Kapuzen-Männer anfangs ratlos gegenüber. Verge-
bens hatte sie auf einen Hilferuf des iranischen Generalkonsuls Azizollah Eskandary gehofft, um das exterritoriale Gelände der Botschaft betreten zu dürfen. Der Hilferuf konnte nicht kommen, denn der Generalkonsul war unterwegs zum Mittagessen.

Erst nach sechs Stunden tauchte der Generalkonsul wieder auf und gab der Münchner Polizei das Startzeichen. Die Kapuzenmänner wurden abtransportiert und vorübergehend festgenommen.

Generalkonsul Eskandary setzte sich unterdessen mit der bayerischen Staatskanzlei in Verbindung, um die Personalien der Studenten zu erfahren. Um eben das zu verhindern, hatten sich die Studen-
ten maskiert. Aber ihre Kapuzen dürften sinnlos gewesen sein: Denn im Münchner Polizeipräsidi-
um wurden sie von allen Seiten photographiert – ohne Kapuzen. Nach Auskunft der Kriminalpoli-
zei werde man kaum darum herumkommen, die Namen der Demonstranten dem iranischen Kon-
sulat (sprich: dem iranischen Geheimdienst Savak) bekanntzugeben. Kriminaloberrat Stogl: „Uns wäre das sehr unangenehm, da diese Studenten mit Sicherheit Schwierigkeiten bekommen wür-
den.“

Das ist tatsächlich ziemlich sicher. Denn der persische Geheimdienst Savak ist nicht zimperlich. „Schwierigkeiten“, die er Gegnern des Schahs bereitet, sehen nach Informationen der Iranischen Studentenvereinigung zum Beispiel so aus:

∆ Am 3. Juni 1970 wurde der populäre religiöse Führer Persiens, Ajatollah Saidi, in einem Gefäng-
nis des Schahs ermordet. Er war am 28. Mai festgenommen worden, weil er am 19. Mai aus Protest gegen die politische und ökonomische Abhängigkeit Persiens von ausländischen Monopolgesell-
schaften Flugblätter verteilt hatte.

∆ Zur gleichen Zeit starb der iranische Student Nikdawar, Absolvent des Teheraner Polytechni-
kums, an den Folgen bestialischer Folterungen im Gefängnis. Die Universitäten des Iran sind seit-
dem geschlossen, rund 500 Studenten wurden verhaftet. Viele Studenten wurden vom Studium ausgeschlossen.

Sie hatten menschenwürdige Zustände in Persien gefordert. Sie hatten protestiert, weil über 65 Prozent der iranischen Bevölkerung Analphabeten sind, weil für je 20.000 Perser nur ein Kranken-
hausbett zur Verfügung steht, weil 85 Prozent der iranischen Bevölkerung mit einem durchschnitt-
lichen Jahreseinkommen von 280 Mark leben müssen, weil rund die Hälfte des Volkseinkommens für eine 200.000 Mann starke Armee, 60.000 Geheimpolizisten (davon 6.000 im Ausland aktiv) und 33.000 Polizisten ausgegeben wird.

Aktueller Anlass für umfangreiche Studentendemonstrationen in Persien war eine Konferenz der 35 größten US-Monopolkapitalisten in Teheran am 19./20. Mai 1970. Nach Angaben der „Konföde-
ration Iranischer Studenten“ (CISNU) galt die Konferenz der Planung von Milliardeninvestitionen im Iran.

CISNU: „Die Opposition, die durch Flugblätter das Volk darüber aufklären wollte, dass diese Inve-
stitionen nur dazu dienen, die Geschäfte der ausländischen Monopolkapitalisten profitabler zu ma-
chen und den Grad der Ausbeutung der iranischen Bevölkerung noch zu vermehren, diese Opposi-
tion wurde vom Savak bei der Verteilung der Flugblätter zusammengeschlagen und verhaftet.“ Seit Februar sollen mehr als 1.000 Oppositionelle verhaftet und in Gefängnissen gefoltert worden sein.

Um auf diese Vorgänge aufmerksam zu machen, inszenierten die im Ausland lebenden iranischen Studenten die spektakuläre Besetzung der iranischen Botschaft in München. Gleichzeitig schickten sie an den persischen Ministerpräsidenten Howeida ein Telegramm: „Angesichts der Tatsache, dass Ihre Regierung neuerdings internationale Organisationen, ausländische Gruppen und die im Ausland lebenden iranischen Studenten auffordert, sich an Ort und Stelle von den ,ungeheuren’ wirtschaftlichen und sozialen Fortschritten und von den ,freiheitlich-demokratischen’ Zuständen zu überzeugen, haben wir beschlossen, Sie beim Wort zu nehmen.“

Die Studenten wollten eine Delegation – zusammengesetzt aus Studenten und ausländischen Ver-
tretern demokratischer Organisationen – in den Iran senden, um dort die Gefängnisse zu besichti-
gen. „Wir fordern, dass Sie den Mitgliedern der CISNU freies Geleit nach Persien geben und die … freie Rückkehr garantieren.“

Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, setzten die Studenten ihren in der Botschaft begon-
nenen Hungerstreik in der Münchner Universität fort. Die Antwort auf das Telegramm kam früher als erwartet, Ministerpräsident Howeida lehnte ab. Die CISNU sei nicht repräsentativ.

Die iranischen Studenten brachen ihren Hungerstreik ab, nachdem mehrere von ihnen wegen völliger Erschöpfung ins Krankenhaus gebracht worden waren. Aus Solidarität veranstaltete der Münchner AStA eine Protestdemonstration durch München. Die persischen Studenten bemühen sich jetzt, prominente Leute wie Jean-Paul Sartre zu gewinnen, um mit ihnen zusammen doch noch in den Iran zu reisen. Ob sich ihre Hoffnung bestätigt, dass prominente Ausländer eine Ga-
rantie gegen Savak-„Schwierigkeiten“ sein könnten, ist fraglich. Es spricht mehr dafür, dass alle an der Botschaftsbesetzung beteiligten Studenten aus naheliegenden Gründen nie wieder in ihre Hei-
mat zurückkehren. Zwar sind ihre Namen bisher noch nicht dem iranischen Generalkonsul be-
kanntgegeben worden, aber das scheint nur eine Frage der Zeit.

Im Polizeipräsidium berichtete Kriminaloberrat Schmidt: „Die Rechtslage wird zur Zeit geprüft.“ Nach Lage der Rechtslage werde man die Namen voraussichtlich bekanntgeben müssen. Denn: „Wir können das Recht nicht manipulieren.“


konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 18 vom 27. August 1970, 9 f.

Überraschung

Jahr: 1970
Bereich: Internationales

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