Materialien 1970
Der Fall Harro Ernst
Dr. Ernst ist Professor für Kunstgeschichte an der Akademie München. Obgleich seine Vorlesungen schon damals stark umstritten waren, wurde er 1969 zum ordentlichen Professor ernannt. Seit seiner Doktorarbeit (die übrigens nie gedruckt vorlag) hatte er sich angewöhnt, alles, was dem bürgerlichen Kunstverständnis gut und teuer ist, völlig unreflektiert anzuhimmeln. Durch seine blumige Sprache („genialischer Pinselduktus, lichte Weite“) sorgte er obendrein für Situationskomik. Der Vergleich des Fremdenführers bietet sich an, vor allem, da er inhaltlich die Fremdenführerperspektive beibehält. Infragestellung tradierter Kunstauffassung findet in keiner Phase statt. Konsequent duldet er auch die Kritik seiner Lehrinhalte nicht. Er ist der einzige, der bisher die ministerielle Erlaubnis hatte, die Kunstgeschichteprüfung für Kunsterzieher abzunehmen. Dieses Tor der Disziplinierung, durch das die kritischen Studenten gehen müssen, manifestiert seinen autoritären Herrschaftsanspruch an der Akademie. Er ist hierin ein direkter Scharfrichter des Ministeriums, dem er sich dadurch zum Zwecke der Reglementierung und Kontrolle der Akademie unentbehrlich gemacht hat. In einer einzigen Privataudienz erreicht Harro Ernst mehr als der Akademiesenat. (Vergleiche hierzu AZ vom 12. Juni 1970):
Er erhob Einspruch gegen den Senatsbeschluss, die Sitzungen öffentlich abzuhalten – das Ministerium hat diesen Senatsbeschluss bis heute nicht ratifiziert. An der öffentlichen Senatssitzung nahm er (obwohl im Hause) nicht teil.
Er erhob Einspruch gegen die Teilung des Bibliotheksetats – der Senatsentscheid wurde vom Ministerium annulliert. Das Ministerium stellte keine Nachforschungen an. Der Brief Ernsts, auf den sich das Ministerium bezog, war, wie Präsident Nagel feststellte, voll von Unterstellungen.
Auf Ernst’s Intervention hin wurde die zugesagte Prüfungsbefugnis für Dr. Piel kurzfristig aufgehoben. Ernst hatte Dr. Piel im Ministerium als „Kulturbolschewik“ bezeichnet. (Eine Arbeitsgruppe untersucht z.Zt. Ernst’s Vorlesungen unter anderem auf faschistisches Vokabular.)
Harro Ernst wurde dadurch eindeutig zum politischen Faktor an der Akademie. Die Kritik an Harro Ernst gewann, eng verknüpft mit der fachlichen, eine politische Dimension. Bereits 1969 hatte H. Ernst seine Vorlesungen mehrfach wegen simpler Sachfragen kritischer Studenten abgebrochen. Ein Student erhielt wegen einer solchen „Vorlesungsstörung“ eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. (Wortwechsel aus dieser Vorlesung: Student: „Aber ich habe doch nur eine Sachfrage gestellt.“ Ernst: „Was eine Sachfrage ist, bestimme ich.“) Das Verfahren wurde in zweiter Instanz eingestellt. In der Folge genügte bereits das Erscheinen eines missliebigen Studenten zum Abbruch der Vorlesung. Ernst verlegte daraufhin seine Vorlesungen nach außerhalb des Hauses. Als sich kritische Studenten zu solchen Exkursionen einfanden, blies er sie mit Hinweis auf „mögliche Störungen“ ab. Die folgenden Vorlesungen führte Ernst unangekündigt, nur einigen wenigen bekannt, um 8 Uhr morgens durch. (Als das Asta-Mitglied Fischer den Raum betrat – Ernst: „Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen eine Einladungskarte geschickt zu haben – verlassen Sie bitte sofort den Raum.“) Als Folge versperrte H. Ernst die Tür während seiner Vorlesungen. Er gab im Senat an, dieses Vorgehen, das keinerlei rechtliche Grundlage hat, mit dem Ministerium abgesprochen zu haben. Obendrein ist H. Ernst seit 15 Jahren Leiter der Bibliothek, so dass er über einen jährlichen Bibliothekshaushalt von 16.000 DM verfügt. Mit der zunehmenden Politisierung der Studentenschaft wurde dieser Zustand immer unerträglicher, zumal sich Ernst konsequent weigerte, nach links tendierende Bücher in die Bibliothek aufzunehmen (Beispiel: das Buch – „Kunst im Widerstand“, die Kunstzeitschrift – „tendenzen“). Erklärung Ernst’s vor dem Senat: „Das entspricht doch nicht unserem Niveau.“ Statt dessen bestellte er Speers Memoiren und war selbst der erste Entleiher. Auf Grund eines Senatsbeschlusses vom Mai 1970 wurde er von Präsident Nagel im Juni 1970 aus seinem Bibliotheksamt suspendiert. Hiergegen intervenierte das Ministerium – juristisch ist eine Einflussnahme in diese, den eigenen Wirkungsbereich der Akademie betreffende Frage durch das Ministerium nicht möglich -, das in Harro Ernst stets einen übereifrigen Knecht fand (im Sommer 1969 sperrte H. Ernst die Bibliothek bereits auf das Gerücht der Schließung hin, zwei Tage vor Eintreffen des Schließungsbescheids).
Angriffe gegen seine Person verbat sich H. Ernst im Senat der Akademie und drohte ein Schreiben an Dr. Ludwig Huber persönlich an. Aller Wahrscheinlichkeit und Erfahrung nach wird dieser in ihm einen unablässigen Streiter gegen Ungeist und Kommunismus an der Kunstakademie erkennen.
Ein Journalist der AZ interviewte kürzlich H. Kaspar (Hitlers Hofmaler, Speers Duzfreund – heute Akademieprofessor, Mitglied der Akademie der Schönen Künste und der Obersten Baubehörde, ministerieller Prüfer für das Fachabitur) und Harro Ernst. Kaspar, angesprochen auf die von ihm veranstalteten Umzüge im Dritten Reich, sagte, dass er das heute nochmals machen würde. Kunsthistoriker Harro Ernst (nach Angaben des Journalisten) beipflichtend: „Ja das war schön damals.“
Volker Hinninger – Asta Akademie München
tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 69 vom September/ktober 1970, 197 f.