Materialien 1970

Zur sukzessiven kommissarischen Übernahme der Münchner Kunstakademie durch das Kultusministerium

Seit mehreren Semestern, genau seit Auslaufen der militanten Phase der Studentenrevolte, versucht das Kultusministerium die Akademie durch eine sukzessive kommissarische Übernahme in den Griff zu bekommen. Aufgrund der relativen institutionellen Isoliertheit der Akademie sowie der Tatsache, dass sie nicht unmittelbar in einem kapitalistischen Verwertungszusammenhang steht, bietet sie dem KuMi (Kultusministerium) ein ideales Experimentierfeld, die kommissarische Übernahme einer Hochschulinstitution durchzuspielen.

Historisch begann diese Taktik mit dem Eingriff in die Freiheit von Forschung und Lehre, indem eine interne Lehrveranstaltung des Aktionisten Nitsch durch Ministerialentscheid (mit unlogischer juristischer Begründung) abgesetzt wurde.

Einen weiteren Schritt stellte die kommissarische Wiedereinsetzung des durch Präsident Nagel abgesetzten Bibliotheksleiters Dr. Harro Ernst dar.

Ende des Sommersemesters 1970 wurden in der Folge eine bereits vom Senat (Beschluss 17.2.) abgeschaffte akademische Prüfung (Probezeitprüfung) vom Ministerium wiedereingeführt und erstmals mit drei Ministerialkommissaren beschickt.

Diese Prüfung wurde korrekt durchgeführt, es fiel aber keiner der 122 Kandidaten durch; daraufhin annullierte das KuMi die Prüfung und setzte ein neues Gremium aus Nürnberger Professoren ein, welches eine neuerliche Probezeitprüfung durchzuführen hatte. Die Studentenschaft klagt gegen diesen Verwaltungsakt beim Verwaltungsgericht. Gleichzeitig focht die Akademie die sofortige Durchführung an. Die beiden einstweiligen Verfügungen ergaben – einen Tag vor der Durchführung – die Rechtsungültigkeit des neuen Gremiums. In Kenntnis dieser Entscheide ließ das KuMi dennoch die Nürnberger Professoren anrücken und die Prüfung durchführen. Es erschienen jedoch nur etwas mehr als ein Viertel der Kandidaten.

Die Vorgehensweise des KuMi zeigt ganz deutlich folgendes: ein Konflikt wird auf ein Institut beschränkt, der gesamtuniversitäre Bereich ist nicht betroffen, was zur Folge hat, dass Massenkämpfe und Massenmobilisierung auf Institutskämpfe reduziert werden und erscheinen, und auch innerhalb dieses Teilbereichs wird schrittweise, die einzelnen Bereiche isolierend, vorgegangen.

Es lässt sich aber eine konsequente Linie bei der Auswahl dieser Teilbereiche aufzeigen, wobei die Konzentration bei den Lehrinhalten und den Prüfungsmechanismen liegt (siehe auch im Falle der TU Berlin). – Bei der Gerichtsverhandlung gegen das KuMi zeigte sich auch ganz deutlich, dass es dem KuMi nur um bildungsökonomische Gesichtspunkte geht, die nicht über einen Begriff von Qualifikation, wie es Prüfungen vorsehen, festzumachen sind. Das wurde vom Vertreter des Ministeriums Dr. Eberl offen zugegeben.

Deshalb gilt der Kampf der sozialistischen Studentenschaft der Kunstakademie München dem Ziel, die Akademie nicht zum Experimentierfeld für rechtsradikale Versuche der Herrschenden werden zu lassen.

Volker Hinninger/Asta Akademie München


tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 72 vom Dez./Jan. 1970/71, 308 f.

Überraschung

Jahr: 1970
Bereich: Kunstakademie

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