Materialien 1970
Zu den Bullen hart, in den Betten zart
»Zu der Zeit, so um 68, gab es keine Trennung zwischen Kunst, Vergnügen, Arbeit, Politik, Leben. Es war alles eins. Viel der Erinnerung ist in einem schwarzen Loch, ist im Nebel versackt, weil ich ein bisschen mehr getrunken habe als heute.
Hauptanziehungspunkt war der >Kleine Bungalow<, der Anfang der 70er der Amalienpassage zum Opfer gefallen ist. Das war für mich die Zäsur. Das hat mir unheimlich gestunken, dass sie mir meine Lieblingskneipe kaputt gemacht haben.
Es mag eine gute städtebauliche Lösung sein, aber es kamen plötzlich ganz andere Leute, Leute, die sich die Eigentumswohnungen leisten konnten: die Besserverdienenden, die höheren Angestellten und Freischaffenden. Mit ihnen kamen die Modeboutiquen und Antiquitätengeschäfte.
Der >Bungalow< war der Treff der Filmszene, all’ derer, die noch keinen Film gemacht hatten. Der Faßbinder war schon weg, aber der Klaus Lemke war da. Der dann später den Film >Der Brandstifter< gemacht hat. Der Wim Wenders, nachdem sie ihn bei den Osterunruhen 68 gefasst hatten, drehte den >Polizeifilm<, so hieß der. Da sind also schon politische Filme entstanden, in der Zeit. Vorne war ein kleiner Raum mit einer Theke, ein paar Tischen und einer Klaus-Musicbox, hinten standen die Flipperautomaten. Wir tranken Bier aus der Flasche für eine Mark oder einsfünfzig und gingen nach hinten zum Flippern. Vorne saßen auch schon mal die Zuhälter am Tresen. Überhaupt war München vor der Olympiade lange nicht so clean wie jetzt.
Wenn der >Bungalow< dann um ein Uhr zumachte, sind wir ins >Stop In< oder ins >Chez Margot<; in den >Simpl< weniger, da saßen für uns die Arrivierten, das Establishment und ins >Charivari< auch weniger, weil es ein bisschen trostlos war. Also das >Stop In<, das heute noch den beiden Brüdern Monie und Schlomo gehört, Israelis, auch wenn es jetzt >La Boheme< heißt, war am Anfang ziemlich bieder. Dann hat es sich geändert, wurde praktisch zur >Bahnhofsgaststätte der ganzen Gegend< weil es bis drei Uhr aufhatte. Ich war fast jede Nacht drin. Mit gefiel die Mischung von Filmern, Künstlern, Studenten und K-Gruppen. Obwohl die K-Gruppen brav und fleißig waren im Gegensatz zu uns.
Hinten, im Türkenbad gab es eine Teestube, wo sich die Hippie-Haschszene traf. Aber das große Laster fand da auch nicht statt. Eher in den Wohnungen. Ich wohnte in einer Wohngemeinschaft in der Georgenstraße, wo einmal ein KP-Pärchen eingezogen ist, das an die Decke in ihrem Zimmer geschrieben hat: Zu den Bullen hart, in den Betten zart! Das waren sie dann aber auch nicht, und ich bin ausgezogen.
Am Anfang fand ich trotz meines Widerwillens gegen die Amalienpassage das Cafe >Oase< recht angenehm, jetzt ist es aber heruntergekommen und ich sitze lieber im >Etcetera<, obwohl es eigentlich >Usw< heißt, sagt jeder noch >Etcetera<. Was für das Cafe spricht: dass man es nicht einordnen kann. Ein paar Studenten, ein paar Professoren von der Akademie, Schachspieler, Alkoholiker – querbeet. Gerade in der Trinkerszene gibt es viele mit geplatzten Träumen: große Maler, Musiker, Schriftsteller, Filmer hatten sie werden wollen. Und jetzt? Wovon sie leben? Von Jobs, von der Mutter, vom Partner. Oder man bekommt es nicht heraus.
Wir gingen viel ins Kino, damals. Zu den Eddie-Constantine-Filmen im Arri. Einmal, hat man mir erzählt, war der Eddie in München, saß hinten im Arri und sah sich seinen Film an und was die Leute daraus machten. Es muss ihm nicht ganz geheuer gewesen sein, dass sein Film rein nur dazu diente, Krawall zu machen. Wenn die Leute rauchten, wurde der Film unterbrochen und ein Dia auf die Wand geworfen: Nicht rauchen! oder es wurde die Drohung ausgestoßen, dass die ganze Vorstellung abgebrochen würde, wenn weitergeraucht würde.
Dann haben sie den Eddie Constantine dazu bewegt, dass er vorging auf die Bühne und dem Publikum sagen sollte, sie mögen gefälligst aufhören mit Rauchen. Das tat er und die Leute müssen ziemlich verblüfft gewesen sein, als da auf einmal der wahre Eddie vor ihnen stand.
Eigentlich habe ich immer diese Gegend zwischen Adalbert- und Schellingstraße gesucht, ganz automatisch hat es mich ein paarmal am Tag hierher gezogen. Hier ist flanieren wichtig, du bist zu Fuß überall. Es ist etwas etablierter geworden, aber du findest die Poesie noch: in den Hinterhöfen.«
Klaus Baedekerl
Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 436 ff.