Materialien 1970
Justiz in München
Rituale in Bayern
„in abwesenheit des angeklagten verurteilte die fünfte strafkammer des landgerichts münchen eins am freitag den 32-jährigen juristen rolf pohle zu einer freiheitsstrafe von sechs jahren und fünf monaten. das urteil wurde ausgesprochen wegen zugehörigkeit zu einer kriminellen vereinigung, der baader meinhof-bande, wegen fortgesetzten vergehens des unerlaubten waffenerwerbs, des unerlaubten führens von schusswaffen, der urkundenfälschung, des betruges und des unerlaubten führens eines akademischen grads. die verteidigung hat gegen das urteil revision eingelegt.“ (agenturmeldungen)
das letzte mal gesehen hab ich rolf pohle so ungefähr 1967 oder 68. damals waren wir alle noch auf der oberschule, sind aber ungeheuer gern in die uni gegangen, um bei go-ins, oder wie das damals hieß, mitzumachen.
1967 hatte der pohle kurze haare und war beim liberalen studentenbund deutschlands. ich kann mich erinnern an eine podiumsdiskussion im schwabinger bräu, die hieß so schön, wie damals vieles: „Mao, Marx, Marcuse“ mit fragezeichen. der pohle hat so richtig die studenten repräsentiert, die gleichen, die damals auch in taschenbüchern wie „was wollen die studenten?“ kondensiert wurden, zum nachlesen für die eltern und erzieher. wenn der pohle was gesagt hat, hatten wir dufte rationale aha-erlebnisse. das war alles einleuchtend und eine unverklemmte sprache und hat uns tatsächlich eine menge klargemacht. gewandt links wie der pohle, so wollten wir furchtbar gern sein.
vor zwei wochen hab ich gedacht, ich seh den pohle wieder. hab ich aber nicht. gesehen hab ich staatsanwalt trutz lancelle, rechtsanwalt eggert langmann und landgerichtsdirektor rudolf mayer. der angeklagte rolf pohle, der im münchner schwurgerichtssaal eigentlich da hätte sitzen sollen, wo auch vera brühne saß, durfte bei seinem eigenen prozess nicht dabei sein. das gericht hatte ihn wegen „ungebühr“ vom ganzen zweiten teil der verhandlung ausgeschlossen. „ungebühr“ war im herbst pohles sprechgesang: „ein ritual ist ein ritual ist ein ritual zerstört das menschenmaterial.“ „ungebühr“ war auch, dass er sich vor der richtertribüne zum schlafen legte, übermüdet von seiner zweijährigen „sozialen ausrottungshaft“.
ich bin von ap zu dem prozess geschickt worden. meldungen über linksradikale werden gern gedruckt, vor allem, wenn jene endlich die rache des rechtsstaats trifft. im und um den justizpalast geht es zu, als stünden sämtliche killer der cosa nostra vor gericht. bereitschaftspolizei patroulliert am stachus, alle parkplätze sind zum halteverbot gemacht, alle eingänge bewacht. die hohen fenster des schwurgerichtssaals sind mit weisser folie gegen scharfschützen verklebt. auf jeder marmorgalerie gehen schwerbewaffnete posten auf und ab. der trakt um den schwurgerichtssaal ist völlig abgeriegelt. an dem einzigen zugang eine phalanx von polizeibeamten. passkontrolle, presseausweiskontrolle. tagespressepasskontrolle. ich werde mit einem pfeifenden gerät auf waffen abgesucht und eine kriminalbeamtin bittet mich hinter eine spanische wand, räumt meine tasche bis auf den letzten kugelschreiber und tastet mich diskret ab. nach alldem fühl ich mich ausgewiesenermaßen sozialunschädlich bis auf die knochen.
im gerichtssaal mit den blauen kunstledersesseln und der landschaft aus edel-holzbarrieren herrscht wenig ungebühr. von „turbulenz und hindernissen“, wie in der presse der beginn des prozesses beschrieben war, ist nichts mehr zu spüren, die hindernisse sind ausgeräumt. kein pohle mit vietcong-tuch vorm gesicht, nix mehr „die justiz und der staat sind ein gangstersyndikat“, nichts exotisches und befremdliches mehr im sitzungssaal. die rechtsvertreter sind nicht einmal mehr irritiert, sprache gesten und verhalten im schwurgerichtssaal gehorchen ungestört den alten ritualen. die luft ist dumpf und die stimmung verschlafen. „so bitte“ sagt der wachmann, damit man auch aufsteht, wenn das hohe gericht den saal betritt. wenn man sich die alle anschaut, den herrn vorsitzenden, die herren laienrichter und die herren staatsanwälte, weiß man schlagartig, wie das alles ausgeht: vielleicht kriegt er nicht die höchststrafe, aber aus dem pelz schütteln die ihn sich alle mal.
der herr staatsanwalt plädiert. er redet sich mächtig in rage bei der „inszenierung seiner kriminellen phantasien“ (pohle). um rolf pohle ist die legende des ‚harmlosen kämpfers gegen unterdrückung’ aufgebaut worden, sagt er. aber man muß eben sehen. dass er ein ‚fanatischer feind unserer rechtsordnung ist und nur deren feinde könnten beklagen, dass man ihn’ jetzt hat. zwar habe pohle gewollt, dass „das system der klassenherrschaft und unterdrückung auf der anklagebank sitzen bleiben sollte“, aber die strafprozessordnung kennt keine unterschiede. ganz sauer wird er, als verteidiger langmann pohle so irgendwie mit solschenizyn vergleicht, weil der ja auch gegen sein system kämpft. „Eine Beleidigung für den Nobelpreisträger“, schließlich verlangt er acht jahre strafe für pohle. der herr vorsitzende, der so gepflegt gealtert aussieht, wie jeder dr. prätorius in einer romanfolge, sagt überhaupt nicht mehr viel. nur einmal, bei einem letzten aufwallen von wut bei pohles sympatisanten deutet er mit dem finger ins publikum: „der da, die da, der auch und den“. neun leute werden daraufhin festgenommen.
im plädoyer der verteidigung fasst hartmut wächtler zusammen, um was es pohle eigentlich ging: „in einem politischen prozess wie diesem wäre die aufgabe des gerichts, die legitimation seiner rechtssprechung, die sonst stillschweigend vorausgesetzt wird, nachzuweisen und zum thema der verfahrens zu machen. das gericht muß inhaltlich angeben, warum die von ihm benützten gesetze die taten des angeklagten zu recht kriminalisieren. die bloße existenz der raf zeigt, dass es in diesem system keine generelle übereinstimmung darüber gibt, was kriminell ist.“
aber da hört eh keiner mehr so recht hin. ein letzter antrag von pohle aus stadelheim auf befangenheit des gerichts wird erwartungsgemäß abgelehnt. der richter hatte pohles mutter erklärt: „ach, der fühlt sich pudelwohl in seiner zelle.“ auf sein eigenes schlusswort hatte pohle verzichtet. er zieht seine hosen aus, als ihn die vollzugsbeamten in den justizpalast bringen wollen. auch die urteilsverkündigung mit den letzten richterlichen abqualifikationen („politischer wirrkopf“) schenkt er sich. er weiss ja eh, dass der richter meint, er könne keinen unterschied „zwischen banditen und rebellen machen.“
die zwei jahre isolierhaft, die pohle schon hinter sich hat, werden ihm von den sechseinhalb jahren gesamtstrafe abgezogen. für viereinhalb jahre ist die bundesrepublik sicher vor einem „sozialschädling“ und „staatsfeind auf dem vormarsch.“
renate
Blatt. Stadtzeitung für München 18 vom 8. März 1974, 8.