Materialien 1970

Stellungnahmen

Erster Unbekannter: Das is’ doch ganz einfach: I’ war der erste, der ‘nausgehn dat, nur fürs Fernsehen, wenn ma’ im Fernsehen was seh’n würde, dann wär’ i’ der erste, aber des is’ für die Fernsehleute nur ein Augenschmaus und sonst nix, weil im Fernsehen, da siehgt ma’ jetzt genau des, was bis jetzt g’schegn is’ und sonst rein gor nix, isses wahr oder isses es nicht wahr?

Zweiter Unbekannter: Es kommt auf die Sendung an.

Erster Unbekannter: Es kommt nicht auf die Sendung an. Ich glaub nicht, dass do ein Meter durchkommt, ich glaub’s nicht. Do kommt genau des, was jetzt bis jetzt g’filmt is’, sonst nix, totsicher, wenn i’s wissen tat, dass’ anders war, war i’ der erste, der freiwillig geh’n tat.

Dr. Eva Madelung (Aktionsraum 1): Also, wie war das, dass die plötzlich das Fernsehen zulassen wollten, bei welchen Mengen können sie das machen?

Rechtsanwalt Langmann: Ja, weil gesagt wird, das ist eine Sache, die Fernsehen und Presse, vor allen Dingen das Fernsehen, verantwortet, wenn se so was machen.

Erster Unbekannter: So is’ praktisch nur das Fernsehen und die Presse verantwortungsfähig und mia san unmündig.

Langmann: Es ist völlig klar und an diesen Entscheidungen zeigt es sich, wie miserabel begründet worden ist und wie rechtsgrundlos die Entscheidung ist. Aber, da müssen Sie halt aber sehen, dass Sie in Bayern sind, wo so etwas unterbunden wird mit Polizeigewalt, das ist der Hintergrund der Geschichte, nicht wahr, das ist ’ne politische Frage, rechtlich läuft die Sache anders.

Erster Unbekannter: Müssen wir halt warten, bis die SPD an die Regierung kommt.

Langmann: Eine politische Frage, politisch, ’ne kulturpolitische Entscheidung im Endeffekt, darüber sollte man sich überhaupt keine Illusionen machen. Das ganze juristische Gefecht ist Spiegelfechterei.

Erster Unbekannter: Ich würd’ es aber trotzdem drauf ankommen lassen, weil dann kommt’s zum Prozess und dann müssen die Richter mal definieren, was Kunst ist.

Langmann: Ja, ja, natürlich, das ist klar, jetzt geht es aber um die konkrete Frage, ob hier angefangen wird oder nicht angefangen wird und das ist eine Frage, die vor allem die Veranstalter angeht und zum zweiten provoziert es das Eingreifen der Polizei. Es tut mir leid, dass ich das sagen muss, aber ich will ja niemanden einen Türken vormachen, indem ich sage, ich habe eine wundervolle Rechtsmeinung.

Günter Saree (Konzept-Künstler): Aber ich warte noch immer auf dieses plausible, ganz plausible, eingängige Argument des höchst verantwortlichen Herrn, der heute Abend hier irgendwo sein muss und der hier ganz klar sagt, passt mal auf, die Gründe des Verbots liegen da und da, und das soll vor all denen, die mindestens da draußen warten, die sollen wissen, warum sie dort draußen umsonst warten.

Polizei-Reviermeister Pfeiffer: Das stimmt nicht, den höchst verantwortlichen Herrn, den finden sie nicht hier.

Unbekannter: Das ist ja noch schlimmer!

Saree: Das ist in dem Fall noch schlimmer.

Pfeiffer: Das gehört bei uns zum täglichen Brot, dass ich …

Unbekannter: Sie armer Mensch, ich kann Sie nur bedauern!

Pfeiffer: Ach danke, ja danke!

Unbekannter: Dass Sie etwas vertreten müssen, was Sie unter Umständen gar nicht vertreten können.

Saree: Schau’n Sie, ich kann Ihnen sagen, wenn ich Polizist wär’, ich würd’ mir als’n Trottel vorkommen, da draußen, ich würd’ mir so vorkommen.

Pfeiffer: Das ist eine Auffassungsfrage.

Saree: Ich hab’ einige gefragt, warum sie hier stehen und warum Sie hier, das wissen die Leute nicht.

Pfeiffer: Seh’n Sie, da überfordern Sie den einzelnen bei uns draußen.

Saree: Aber das sind doch normal denkende Menschen!

Pfeiffer: Da kommen wir doch jetzt auf den Punkt Befehlsempfänger und diese Sache, da wollen wir doch gar nicht damit anfangen.

Saree: Das ist es ja genau, was wir nicht brauchen können.

Pfeiffer: Das ist doch schon längst ausgestanden.

Unbekannter: Vor allem frag ich mich immer, wessen Moral hier geschützt werden soll. Wo ist denn die Öffentlichkeit, wo man die Moral …

Pfeiffer: Ja, meine nicht.

Saree: Ja, eben, Sie sind herzlich eingeladen hier zuzuschauen.

Pfeiffer: Ich fühle mich moralisch stark genug, das zu überstehen.

Unbekannter: Ja, Sie werden furchtbar lachen, das ist ja auch gar nicht …

Saree: Im Gegenteil, Sie werden furchtbar ernstgenommen.

Pfeiffer: Sie haben heute mittag gesagt, ich bin gern gesehen.

Unbekannter: Fast … (Lachen) … Bis jetzt, bis jetzt. Ohne Ihren Anhang wären Sie noch lieber gesehen, Sie werden lachen.

Pfeiffer: Und Sie werden lachen, ich wär’ auch lieber ohne Anhang gekommen.

Unbekannter: Das glaub’ ich Ihnen, das glaub’ ich Ihnen.

Pfeiffer: Dann hätt’ ich Ihnen bloß gesagt, Schluss, hören wir auf, und Sie wären gegangen. Da hätt’ ich gar keinen Anhang gebraucht.

Unbekannter: Was hab’n Sie denn gegen Herrn Nitsch?

Pfeiffer: Ich hab nichts gegen Herrn Nitsch, gar nichts, ich kenn ihn ja gar nicht.

Unbekannter: Warum verbietet man dann, was er tun will, man weiß es ja gar nicht, was er tun will.

Pfeiffer: Na, sehen Sie, das ist der Haken, an dem wir nie zusammenkommen, nicht? Sie verlangen von mir Dinge, die ich nicht bringen kann, weil …

Unbekannter: Traurig.

Pfeiffer: Ja, sicher, traurig.

Unbekannter: KANN er ja nicht bringen.

Pfeiffer: Schauen Sie, das konnte ich Ostern 68 beim Buchgewerbehaus (Springerdemonstration) auch nicht bringen, die Argumente, für oder gegen. Jetzt sin’ ma soweit, das konnte ich auch nicht bringen.

Unbekannter: Ich glaub’, dass die Konfrontation heute und damals eine etwas andere ist.

Pfeiffer: Absolut nur für für … von meinem Beruf her taucht die Frage, ob ich alles so persönlich mit den gleichen Argumenten versehen würde, gar nicht auf. Kann nicht auftauchen, kann nicht.

Unbekannter: Sie können doch hingehen, sich ans Telefon hängen, den Mann anrufen und sagen, hier ist gar keine Öffentlichkeit, die zu schützen ist, kann man denn das nicht ablaufen lassen, das liegt doch in Ihrer Macht, das zu tun. Der liegt schon im Bett, nicht?

Pfeiffer: Da überschätzen Sie meine Position.

Hermann Nitsch (Aktions-Künstler): Ja, also, ich möchte’ mit allen Anwesenden ehrlich reden. Ehrlich wird auch von der Regierung missbraucht, daher ist es auch ein schlechtes Wort. Ich red’ halt mit Ihnen, nicht. Und es ist so: Wir wissen, dass die Polizei die Veranstaltung auf jeden Fall abbricht, es kann sich um drei oder vier Minuten handeln, die ma durch ziehn und dann wird sie abgebrochen. Meine ganze Sache ist ein Gebäude, das mindestens eineinhalb bis zwei Stunden benötigt, und kann nur unter bestimmten Voraussetzungen sich entwickeln. Ich habe zuerst mit Schillerschem Heldentum spekuliert und wollt’ die Aktion trotzdem machen und hätte sicher auch viele Anwesende auf meiner Seite und ich sage Ihnen ehrlich, mein Anwalt hat mir die Folgen dieses Unterfangens geschildert und ich bin Österreicher, bin als Österreicher mehrfach vorbestraft und hab hier eine Aufenthaltsgenehmigung nur deshalb, weil ich mit einer Deutschen verheiratet bin. Hätte ich versucht, die Veranstaltung durch zu ziehn, hätten die das sofort abgebrochen, ich wäre in einen anderen Rechtsstatus gekommen und die Ausweisung wäre in naher Sicht gewesen. Jetzt scheint’s mir doch net vernünftiger, sondern einfach das Beste.

HA Schult (Aktions-Künstler): Ich bin wirklich der Meinung, dass sich jeder Künstler schämen sollte, in dieser Stadt noch mal was zu machen und ich werde morgen anfangen, hier in Deutschland herumzutelefonieren und kein Künstler soll in einem solchen Scheißkaff mehr etwas machen, ja!

Pfeiffer: Von Ihrer Warte aus ist die Sachlage doch ganz einfach: Die Polizei hat hier nichts verloren.

Unbekannter: Dann heißt unsere Warte ben die Warte (?), die immer den Arsch voll kriegen muss.

Pfeiffer: Den Arsch kriegt ihr nicht voll, es hat kein Mensch den Arsch voll bekommen, in München schon lange nicht mehr, mein Herr, Sie würden es also sicher falsch beurteilen, wenn bei uns in den letzten Jahren wie Ostern 68 geprügelt worden ist.

Unbekannter: Es ist auch nichts mehr geschehen.

Pfeiffer: Na, und es ist beidseitig, ich bin dankbar, für meine Beamten dankbar, weil ich persönlich muss mich gar nicht so rumprügeln, aber ich bin für meine Beamten dankbar, da von beiden Seiten aus eine gewisse Toleranz da ist. Wir haben zum Beispiel bei den Studentendemonstrationen damals die besten Erfahrungen gemacht, da kann man reden damit, wo gibt’s des sonst?

Unbekannter: Ja, sicher, ich mein …

Pfeiffer: Das geht nur, wenn beide Seiten sich entgegenkommen oder ein bisschen von ihrem Standpunkt wegrutschen.

Unbekannter: Ja, das stimmt aber nicht, Ihre Seite setzt sich ja durch.

Pfeiffer: Ja, sicher, ja des …

Unbekannter: Unsere Seite kann ja nur …

Pfeiffer: Ich gebe zu, unsere Machtverhältnisse sind verschoben, wenn’s drauf ankommt, sind wir in der stärkeren Position.

Unbekannter: Selbst, wenn man davon ausgeht, dass Sie Mittler spielen, ich mein, dass Sie einfach … dann kommt’s doch unausgesprochen auf die Methodik an, und ist doch Sache Ihres Polizeipsychologen, diese Methodik wirklich auch auszuarbeiten.

Pfeiffer: Ja, welche Methodik hätten Sie mir vorzuschlagen? Ich mein’, jetzt kommt wieder des mit dem Befehl, nich’, Sie hätten heute Auftrag, das hier zu unterbinden, was heute Tatsache war. Welche bessere Methodik hätten Sie mir vorzuschlagen? Ich wollte also nicht hier drinnen großen tam-tam machen, ich wollte im Hof keinen großen tam-tam machen, und dann hab’ ich persönlich, und da steh’ ich auch für, hab’ ich vorne das Tor zugemacht, weil ich der Meinung war, fängst gleich einen Teil ab, vielleicht kann man mit dem Teil reden, einige geh’n schon, andere steh’n länger. Das gleiche hab’ ich bei den Beatles im Zirkus Krone praktiziert und das hat wunderbar funktioniert, und ich bin der Meinung, auch heute Abend.

Stellungnahmen (Ausschnitte aus dem Tonbandprotokoll vom 27. Februar 1970) zum 7. Abreaktionsspiel von Hermann Nitsch im Aktionsraum 1.


Aktionsraum 1 oder 57 Blindenhunde, München 1971, 80 ff.

Überraschung

Jahr: 1970
Bereich: Zensur

Referenzen