Materialien 1970

Aktionsraum 1: öffentlich kontrollierter Freiraum

Eine große Zahl von Ämtern interessiert sich für den AKTIONSRAUM 1: das Amt für öffentliche Ordnung (AföO), Abteilung Spiel (-automaten), Tanz, Sperrstunde und die Verkehrsabteilung (Parkplätze), die Sprengstoffabteilung, das Stadtsteueramt (Vergnügungssteuer), das Zollamt, das Gewerbeamt, die Branddirektion, die Lokalbaukommission, die Post (weigert sich Aktionsraum 1 ins Telefonbuch aufzunehmen: „Das ist kein Fantasiename.“), bei Straßenaktionen zum Beispiel am Königsplatz die Verkehrsabteilung vom AföO, die Abteilung für öffentliche Veranstaltungen und die bayerische Seen- und Schlösserverwaltung.

Nicht um den AKTIONSRAUM 1 kümmern sich das Kulturreferat der Stadt München oder irgendeine andere offizielle Kulturinstitution.

Am 5. März 1970 – also eine Woche nach Nitsch! – sind vier Herren im Aktionsraum 1, um den Raum nach den neuesten Bestimmungen für Versammlungsräume zu überprüfen. („Es wird Jahre dauern, bis wir alle Lokale in München abgenommen haben.“) Warum haben es die Herren so eilig, gerade beim Aktionsraum 1 anzufangen? Herr Bauer vom AföO erkundigt sich bei den Herren von der Branddirektion und der Lokalbaukommission sehr eingehend, ob nicht doch irgendwelche Mängel vorhanden seien, ob zweihundertzwanzig Personen nicht zuviel Publikum sei. Aber Türen, die nach außen aufgehen, sind reichlich vorhanden, die Notbeleuchtung, das Paniklicht funktioniert, Feuerlöscher und Löschdecke sind vorhanden. Die Raumdecke ist aus nichtbrennbarem Beton, ein WC für Frauen und ein WC für Herren ist vorhanden. Nur der Herr vom Gewerbeamt kann etwas beanstanden: in den WC’s hängen Gemeinschaftshandtücher, die Strohhalme für Cola sind nicht auffindbar.

Von Anfang an melden wir alle Aktionen beim AföO an. Von Fall zu Fall wird entschieden, ob eine Genehmigung verlangt wird. Das ist immerhin zehn mal der Fall. Nach welchen Kriterien wird hier vorgegangen? Bei Höke stört das Wort „Mündungsfeuer“ in der Einladungsinformation (elf Auflagen), bei Paul und Limpe Fuchs, dass sie sich vielleicht entkleiden (sechs Auflagen), bei „Unberaten“ das Wort „Schlachten“. Das Nitsch-Verbot wird ausführlich begründet, bei Brus (fünf Auflagen): Jugendliche unter 18 Jahren dürfen nicht zugelassen werden und wie üblich: „es dürfen keine Darbietungen gezeigt werden, die den Gesetzen oder guten Sitten zuwiderlaufen“. Bei Fabro (drei Auflagen): „Bei den auftretenden Personen müssen die Schamgegend und das Gesäß bedeckt sein.“ Außerdem Genehmigungen für einige Filmvorführungen. Gebühr jeweils DM 10.

Wieso werden öffentliche Theater und Privatgalerien nicht mit Genehmigungen traktiert? Ist der AKTIONSRAUM 1 ein von der Stadt kontrollierter Freiraum? Die Einhaltung der Auflagen wird jeweils von zwei Beamten in Zivil vom AföO kontrolliert. Wir diskutieren oft mit diesen Beamten. Sie haben von Entwicklungen in der Kunst keine Ahnung aber „ein gesundes Volksempfinden“. („Anschließend muss ich ein Lokal kontrollieren, wo Lesbische verkehren.“) Die Polizei hat freien Zutritt: „Diensttuenden Beamten der Stadtverwaltung muss der Zutritt zu den Veranstaltungen jederzeit gestattet werden. Die Erteilung weiterer Auflagen bleibt vorbehalten.“

Wir schenken im AKTIONSRAUM 1 aus freier Entscheidung keine alkoholischen Getränke aus, aber auch Cola zum Selbstkostenpreis dürfen wir bei Aktionen nicht verteilen, da sonst Vergnügungssteuer pro qm erhoben wird (bei Paul und Limpe Fuchs über DM 200). Steuerfreier Ausschank ist nur in „Foyers“ gestattet. Wird Eintritt erhoben, wacht ein Beamter vom Stadtsteueramt, dass Freunde oder Presse nicht ohne Pressekarten (Zehn Prozent der Gesamtmenge) hereingelassen werden. Warum kommt der Beamte bei Brus, Paul und Limpe Fuchs, Nitsch und nicht bei Boetti?

Über den Einsatz einer halben Hundertschaft Polizisten beim 7. Abreaktionsspiel ist dort nachzulesen. Der Kunstraum ist kein Freiraum.


Aktionsraum 1 oder 57 Blindenhunde, München 1971, 91.

Überraschung

Jahr: 1970
Bereich: Zensur

Referenzen