Materialien 1971
Siemens
Die Firma Siemens ist der größte private Arbeitgeber in München. Sie beschäftigt über 50.000 Arbeiter und Angestellte in über die ganze Stadt verstreuten Betrieben und Dienststellen. Der größte Standort ist Hofmannstraße mit fast 24.000 Beschäftigten, davon 18.000 Angestellte, es folgt der Betrieb Balanstraße mit knapp 7.000 Beschäftigten, davon etwa die Hälfte ausländische Frauen. Dicht neben der Balanstraße liegt der Betrieb Martinstraße mit etwa 5.000 Beschäftigten. In Freimann arbeiten im dortigen Werk 2.500 Arbeiter und Angestellte. Die Konzernleitung des gesamten Siemenskonzerns befindet sich im Zentrum und belegt dort fast zehn Prozent der gesamten Innenstadt.
Alle Siemens-Betriebe, Labors und Verwaltungen sind nach dem Krieg neu in München aufgebaut worden, wobei ein großer Teil der ursprünglichen Stammbelegschaft von Berlin mitgebracht wurde. Der Funktion von München als Sitz der Firmenleitung, der Leitung der Hälfte der Unternehmensbereiche und als Zentrale der gesamten Forschung und Entwicklung des Siemens-Konzerns entspricht der hohe Anteil der Angestellten, die weit über die Hälfte aller Beschäftigten bei Siemens München ausmachen, davon fast 1/4 höhere, außertarifliche Angestellte. In den Produktionsbetrieben für Bauelemente (Balanstraße, Martinstraße, Freimann) für Datentechnik (Martinstraße) und Weitverkehrstechnik (Hofmannstraße) sind dagegen zu einem erheblichen Prozentsatz ausländische Frauen beschäftigt.
Diese kurze Darstellung der äußeren Struktur des Siemens Konzerns in München lässt ahnen, welche Probleme auf diejenigen zukommen, die versuchen, bei Siemens sozialistische Betriebsarbeit zu machen. Die Struktur von Siemens hat es schon in Berlin mit sich gebracht, dass sich im Betrieb die Gewerkschaften nur schwach entwickeln konnten. Siemens-Berlin war vor der Nazi-Zeit eine Hochburg der „gelben“ Gewerkschaften, von den Firmenleitungen gegründete antigewerkschaftliche Vereine, die den Streik aktiv bekämpften (Streikbrecher) und einige Funktionen von Gewerkschaften (Unterstützungskassen usw.) übernahmen.
Diese Tradition in Verbindung mit der Zusammensetzung der Belegschaft ist der Grund für den gewerkschaftlichen Organisationsgrad bei Siemens von etwa zehn Prozent. Die traditionell gewerkschaftlich orientierten Schichten der Arbeiter, nämlich die qualifizierten angelernten und Facharbeiter sind bei Siemens stark unterrepräsentiert. Diese/Schwäche der Gewerkschaft bei Siemens hat starke Auswirkungen nicht nur im Betrieb, sondern auch auf die gesamte Tarifpolitik in der bayerischen Metallindustrie: Da der stärkste bayerische Metallkonzern, der den bayerischen Metallarbeitgeberverband eindeutig beherrscht, im eigenen Haus bis jetzt keine Kampfmaßnahmen fürchten muss, kann er die anderen Unternehmer, die wegen der starken gewerkschaftlichen Organisation in ihren Betrieben mit Streiks rechnen müssen und daher zum Nachgeben bereit sind, dazu bringen, den gewerkschaftlichen Forderungen nicht nachzugeben.
Daher sehen wir die Aufgabe sozialistischer Betriebspolitik bei Siemens im Augenblick vor allem darin, die Gewerkschaftspolitik im Betrieb dahingehend zu beeinflussen, die unmittelbaren Probleme der Kollegen aufzugreifen, statt sich in Betriebsratsbüros zurückzuziehen. Vor allem müssen die speziellen Probleme der Mehrheit der Siemensbeschäftigten, der ausländischen Hilfsarbeiterinnen und der technischen Angestellten stärker bearbeitet werden. Dazu kann dienen: Die Initiierung einer betriebsnahen Bildungsarbeit, die ständige Information im Betrieb über alle Vorgänge im Betrieb und die intensive Arbeit der Genossen in ihren Abteilungen mit ihren Kollegen. Dauernde theoretische Untersuchungsarbeit ist auf die Dauer Voraussetzung für eine sozialistische Betriebspraxis. Dazu versuchen wir mit Genossen zusammen zuarbeiten, die nicht bei Siemens arbeiten. Für die Siemensbelegschaft geben wir die Betriebszeitung ‚Solidarität’ heraus, die versucht, Informationen und Analysen weiterzugeben, die die Siemens-Kollegen nicht anderswo, auch nicht in der Gewerkschaftspresse, lesen können. Zu diesem Zweck arbeiten wir in der Redaktionskonferenz des ‚EXPRESS’, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, die monatlich in Offenbach erscheint, mit.
Wer sich für eine Mitarbeit bei uns interessiert, kann sich an unsere Kontaktadresse wenden: SOLIDARITÄT Siemensbetriebsgruppe und Siemens-Betriebszeitung, 8 Mü 80, Kirchenstr. 83, Hans Poppel, Tel. 47 79 06.
Blatt. Stadtzeitung für München 23 vom 17. Mai 1974, 10.