Flusslandschaft 1971
Gewerkschaften/Arbeitswelt
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Eigentlich sind doch Arbeitnehmer Arbeitgeber und vice versa. Dass das so schwer zu verstehen ist!?1
„Das Berichtsjahr war ein Jahr harter Lohnrunden, die schließlich im Streik der Metallarbeiter ihren Höhepunkt hatten. Es kam wie im Vorjahr zu Tariferhöhungen auf breiter Front und in außerordentlicher Höhe. Nach der amtlichen Lohnstatistik betrug die geringste Ecklohnerhöhung in der Zeitspanne Oktober 1970 bis Oktober 1971 30 Pfennig. Der Maximalwert lag bei 1,09 DM. Damit bewegten sich die Ecklohnerhöhungen zwischen 7,1% und 24,2%, wobei in den meisten Branchen die Aufbesserungen über der 10%-Marke lagen. Im Jahr 1970 reichten die Tarifzuschläge von 10 Pfennig oder 2,6% bis 86 Pfennig oder 19,1% … Damit ist das Lohnniveau in den beiden letzten Jahren in einem bisher noch nicht dagewesenen Ausmaß gestiegen … Mit den Löhnen sind selbstverständlich auch die Tarife für die Angestelltengehälter neu ausgehandelt worden. Hier lag die Spanne der Neuabschlüsse zwischen 7% und 20%, also im Durchschnitt etwas niedriger als bei den Stundenlöhnen. Die entsprechenden Vergleichszahlen hatten 1970 4,5% bis 21 % gelautet … Da die Arbeitgeber wegen der angespannten Arbeitsmarktlage auch im Berichtsjahr wieder zu Zu-
geständnissen über die tariflichen Erfordernisse hinaus bereit waren, haben sich auch 1971 die Effektivlöhne und Effektivgehälter wieder stärker erhöht als die Tarifverdienste. Die Lohndrift, d.h. der Abstand zwischen Effektiv- und Tarifentgelt, dürfte sich allerdings unter dem starken Kostendruck verringert haben … Während eine Arbeitszeitverkürzung von 43,7 auf 43,4 wöchent-
liche Arbeitsstunden realisiert wurde, haben sich z.B. die Effektivlöhne von 1970 bis 1971 durch-
schnittlich um 12,2% erhöht. 1970 hatte diese Zuwachsrate bei 8,8% gelegen. Die Bruttomonats-
verdienste in Industrie und Handel sind von Oktober 1970 bis Oktober 1971 im Durchschnitt von 1.359 DM auf 1.535 DM um 176 DM gestiegen. Deutlich ist der Abstand zwischen den Gehältern für Männer und Frauen zu sehen, der sich von 570 DM in 1970 im Berichtsjahr sogar noch auf 635 DM erhöht hat. Am weitaus höchsten lagen die. Gehälter wie üblich im Baugewerbe; demgegenüber wurde in den Sparten des tertiären Sektors monatlich im Durchschnitt rund 500 DM weniger ver-
dient …“2
DGB
Das Motto des DGB zum Ersten Mai lautet: »Der Mensch im Mittelpunkt — DGB.«3
BMW
1970/71 versucht die Arbeitersache bei BMW eine Tarifkampagne. Nachdem diese erfolglos bleibt, nimmt die italienische Lotta Continua Kontakt zu Arbeitersache auf; Lotta Continua-Genossen lassen sich als BMW-Arbeiter anwerben.
SIEMENS
Hildegard Keller, Betriebsrätin bei Siemens Balanstraße, stellt fest, dass der Betriebsrat nicht so sehr die Interessen der Belegschaft vertritt, sondern sich eher aufs Co-Management konzentriert.4
„Münchner Siemenslehrlinge haben über ihre Ausbildungserfahrungen einen Film produziert. Er wird im ZDF erscheinen. Am Beispiel des Betriebsrats wird die unzureichende Interessensvertre-
tung der Lehrlinge aufgezeigt, ein Zustand, dem nur durch politische Selbstorganisation der Lehr-
linge abzuhelfen ist. Dieser Film entstand während eines politischen Seminars, als einige Teilneh-
mer einen Betriebsrat nachzuspielen versuchten, wie er auf soeben aufgedeckte Mißstände in der Lehrlingsausbildung reagiert. Das Verhalten dieses Betriebsrates wird von der Lehrlingsgruppe im Film diskutiert und mit dem echten im Betrieb verglichen. Das ZDF sendet diesen Beitrag am Samstag, den 3.April, um 18.50 Uhr.“5
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Die „Siemens-Lehrlingsgruppe“ und die „Revolutionäre Arbeiterjugend“ demonstrieren am 11. Dezember „für 100 DM mehr“.
ZEITUNGEN und VERLAGE
Im Pressehaus Bayerstraße, Paul-Heyse-Straße 2 – 4, befinden sich der Münchner Zeitungsverlag (MZV), der Münchner Merkur und die tz. Der Betriebsrat ist fest in der Hand der Industriege-
werkschaft Druck und Papier (IG DruPa). Und hier dominieren Angehörige der Arbeiter-Basis-
gruppen (ABG). Ab April erscheint monatlich die ABG-Betriebszeitung Der rote Aufmucker, der vor allem über die Lehrlinge berichtet, aber auch über die Kantinenfrauen im Pressehaus.
Am 28. Januar demonstrieren DruPa-Mitglieder, unter ihnen vor allem viele aus dem Pressehaus Bayerstraße, vor dem Hotel Deutscher Kaiser, Arnulfstraße 2, für ihre Forderungen in der laufen-
den Tarifrunde.
25. August: Die Vertrauensleute der DruPa beim Münchner Merkur verabschieden folgende Re-
solution zum Betriebsverfassungsgesetz: „Wir fordern den Ortsvorstand und Landesbezirk der IG Druck und Papier und des DGB auf, WARNSTREIKS IN ALLEN BETRIEBEN zu organisieren, um den vorliegenden Regierungsentwurf zum BVG zu Fall zu bringen. Ferner fordern wir den DGB auf, einem Streik gegen das BVG stattzugeben, wenn dieses in unzureichender Form für die Arbei-
ter verabschiedet wird“.
Im Herbst beginnt die neue Drucktarifrunde. Jetzt stellen die Kolleginnen und Kollegen vom Münchner Merkur Forderungen, die weit über das hinausgehen, was sonst bundesweit gefordert wird. Am 2. Dezember beschließt der Ortsvorstand der DruPa mit Teilnehmern von u.a. Thiemig, Francisdruck, Süddeutscher Verlag, Buchgewerbehaus, Oldenbourg und Münchner Zeitungs-
verlag die Forderungen zur Tarifrunde. Zugleich kommt es zu einem Konflikt zwischen DruPa-
Ortsvorstand und ABG. Die leitenden Funktionäre der DruPa sehen in der Strategie der ABG eine drohende Unterwanderung ihrer Gewerkschaft.
Neben den ABG ist auch die KPD/ML bei Bruckmann organisiert; sie bringt monatlich den Druk-
kerei Arbeiter heraus.7 Wo Männer den Schwanz einziehen, zeigt ihnen eine Frau, was Courage ist.8
ZÜNDAPP
Im März verteilen die ABG ihre Flugblätter „Der Akkord bei Zündapp stimmt nicht!“ und „Akkord-
betrug bei Zündapp!“9
Siehe auch „Kabarett“ in „Kunst/Kultur“.
(zuletzt geändert am 16.10.2025)
1 Siehe „Wea zoid schafd o“ von Michael Fruth/Carl-Ludwig Reichert.
2 Statistisches Amt der Landeshauptstadt München (Hg.), Statistischer Rückblick auf das Jahr 1971 in München, 53 ff.
3 Fotos von Rudolf Pröhl befinden sich in der Fotosammlung des Archivs der Münchner Arbeiterbewegung.
4 Siehe „Nachruf“ von Peter Eberlen.
5 twen 3 vom März 1971, 115.
6 APO-Archiv, Berlin
7 Siehe „Bruckmann – Betrugsmanöver auf der Betriebsversammlung“.
8 Siehe „Merkwürdige Ereignisse im Hause Bruckmann“ von Martius Gerteeser.
9 Siehe die Flugblätter auf www.mao-projekt.de/BRD/BAY/OBB/Muenchen_IGM_Zuendapp.shtml.