Materialien 1971

Merkwürdige Ereignisse im Hause Bruckmann

Wie kommt es, daß eine seit drei Jahren im Lektorat beschäftigte Mitarbeiterin plötzlich für den Verlag so untragbar wird, daß ihr fristlos gekündigt werden muß?

Merkwürdig, im Dezember 1971 schien sie doch noch so tragbar zu sein, daß man ihr ein Darlehen anbot, eine Gehaltserhöhung von DM 150,-, um das Darlehen zu tilgen – da sie es anders nicht nehmen wollte – und ihr einen Zweijahresvertrag, erstmals kündbar Ende September 1972 zum 31.12.1972, aufnötigte.

Sie schien also brauchbar zu sein
– obwohl sie in der Gewerkschaft war,
– obwohl sie aus ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit kein Hehl gemacht hatte,
– obwohl sie als streitbar, unbequem und widerspenstig bekannt war?

Hatte man geglaubt, sie bestechen zu können und zu einem folgsamen Untertanen machen zu können?

Dann wäre die Enttäuschung darüber erklärbar, daß sie trotzdem während der Manteltarifver-
handlungen für Buchhandel und Verlage in Bayern und Baden-Württemberg die von der Münch-
ner Fachgruppe herausgegebenen »Tarifkämpfe« in einzelnen Abteilungen des Betriebes verteilte. Enttäuschung, die sich bald in Reue über den abgeschlossenen Vertrag wandelte, als eine Besse-
rung trotz Ermahnung (man wisse genau, daß sie diese »Machwerke« verteile, man könne es kei-
neswegs gutheißen, zumal sie auch an Mitarbeiter verteile, »die sie gar nicht haben wollen« – und das während der Dienstzeit) nur darin bestand, daß sie die Verteilung künftig in die Mittagspause legte.

Schlimm genug, daß sie den spürbaren Verlust der Gunst der Geschäftsleitung mit einem Lächeln abtat, schlimmer noch, daß sie sich für das Betriebsverfassungsgesetz zu interessieren begann, an dem vorhandenen Betriebsrat mäkelte und sich über Gebühr für die im Frühjahr 1972 fälligen Neuwahlen interessierte – ja sogar in anderen Abteilungen für einen besseren, aktiveren Betriebs-
rat zu werben versuchte. Es war ihr doch bekannt, daß die Geschäftsleitung nur mit dem Betriebs-
ratsvorsitzenden zu sprechen – beziehungsweise ihm ihre Entscheidungen mitzuteilen – pflegte, es war ihr doch bekannt, daß Betriebsversammlungen bei Betriebsrat und Geschäftsleitung verpönt waren – es hätte ja zu Unzufriedenheit mit der herrlichen Ordnung kommen können, es hätte ja wirklich einmal jemand aufstehen können und laut sagen, was alle heimlich denken: daß ihm der Betriebsrat seine Tätigkeit nicht an den Interessen der Belegschaft, sondern an denen der Ge-
schäftsleitung zu orientieren scheine, daß die Personalpolitik des Hauses Bruckmann ganz fürch-
terlich stinkt – es hätte ja sein können.

Aber wie wird man einen Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin los, an die man nach Ablauf des Ver-
trages noch weiter gebunden sein wird, wenn sie dann im Betriebsrat ist?

Welch glückliche Fügung, daß der Verlagsleiter im Sommer für zwei Monate krank wird, daß die Intrige wächst, blüht und gedeiht,1 daß es jemanden gibt, der »die Dinge in die Hand nehmen wird«, den man zum Leiter des Lektorats machen kann – und ihm seien alle künftig untertan, ohne seine Zustimmung, Abzeichnung, Anweisung gehe künftig kein Blättchen mehr vom Lektorat an die Herstellung, zum Autor und umgekehrt.

Welch glückliche Fügung, daß besagte Mitarbeiterin sich dagegen wehrt, zur Hilfskraft degradiert zu werden, nachdem sie drei Jahre lang völlig selbständig gearbeitet hat.

Da kann man ihr doch sagen, daß sie immer nur quertreiben will,
daß sie sich »wohl eine Beförderung erschleichen« will,
daß sie völlig untauglich sei selbst zu Lektoratshilfsarbeiten,
daß man von weiterer Zusammenarbeit absehen müsse, wenn sie nicht ihre völlig mangelhaften Leistungen durch freiwillige, ständige Überstunden ausgleichen werde und durch gehorsame Erfüllung all dessen, was ihr aufgetragen werde.

Welch glückliche Fügung, daß man ihr dann auch Fehler nachweisen kann, im Imprimatur sogar, sind doch im Inhaltsverzeichnis zwei Begriffe durch und verbunden und im Buch selbst steht ein Bindestrich, steht da doch »moderne Formen«, wo es »neue Formen« heißen sollte.

Und dann wagt sie immer noch zu sagen, das sei wohl bedauerlich, aber kein Grund, den Vertrag vorzeitig zu lösen, sie halte sich weiterhin für das Lektorat für tauglich?

Dann wagt sie noch zu sagen, die ihr unterlaufenen Fehler seien schließlich nie so gravierend gewesen, daß neu gedruckt werden mußte, was man von den Fehlern des Lektoratsleiters in den letzten Monaten nicht sagen könne.

Was soll man bei so wenig Einsicht in die Notwendigkeit anderes tun als fristlos kündigen. Dem Leiter des Lektorats ist eine weitere Zusammenarbeit mit einer solchen Mitarbeiterin wirklich nicht zuzumuten. So geschehen am 15.11.1971. Auf ihren Einspruch hin bot man ihr als gütliche Einigung an, sie bis zum 31.12.1971, vielleicht sogar bis 31.3.1972, aber keinesfalls länger, zu be-
schäftigen, und keinesfalls im Lektorat. Da fand sie, das sei doch eher ein Fall fürs Arbeitsgericht.2

Martius Gerteeser

1 Übrigens – vor Dr. R., Leiter des Lektorats, als Intriganten wurde sie am Tage ihrer Einstellung vom geschäftsführenden Gesellschafter der F. Bruckmann KG höchstpersönlich gewarnt – er aber, so sate er, nehme für sich als Chef des Hauses in Anspruch, seine Mitarbeiter gegeneinander auszuspielen.

2 Das Arbeitsgericht hat u.a. entschieden: »Die Beklagte (Fa. Bruckmann) verpflichtet sich, an die Klägerin wegen Verlustes des Arbeitsplatzes gemäß § 9,10 KSchG 5.000,— (fünftausend) DM zu bezahlen.«

Martius Gerteeser

{Die mit Martius Gerteeser gezeichnete Arbeit wurde von Mitgliedern der Fachgruppe Buchhandel und Verlage in der Gewerkschaft HBV (Handel, Banken, Versicherungen) verfaßt und zusammen-
gestellt.}


kürbiskern. Literatur, Kritik, Klassenkampf 4/1972, 751 f.