Materialien 1971

Plakatives Theater

Die Münchner Theatergruppe Transparent berichtet über sich selbst

TRANSPARENT ist – oder war – eine Gruppe von ehemaligen Theaterwissenschaftlern und anderen Studenten, die 1971 versuchten, mit dem Mittel Straßentheater demokratische Aktionen zu unterstützen. Aus dem folgenden Artikel der Gruppe geht selbst hervor, warum das Vorhaben zum Scheitern verurteilt war, zwei wesentliche Punkte der Kritik seien doch vorweg genannt: die Ansiedelung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit im Frühkapitalismus geht an den Verhältnissen unter dem staatsmonopolistischen Kapitalismus vorbei und ist für eine effektive Agitation nicht relevant; zum anderen ist die Gleichsetzung von Kapitalist und Gewerkschaftsfunktionär ein zutiefst arbeiterfeindlicher Standpunkt, die zugrundeliegende falsche Analyse zeitigt gewerkschaftsfeindliche Standpunkte und unterstützt in der politischen Praxis das angeblich angegriffene Großkapital.

W.A.

Spielort Straße

Wir, das Theaterkollektiv Transparent München, suchen außerhalb der Institutionen neue Möglichkeiten des Theaters. Die subventionierten Theater erreichen nur die Wenigen. Wir wollen die Vielen erreichen, die im täglichen Arbeitskampf stehen. Den Kampf für eine Veränderung der ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen wollen wir durch unser Theater unterstützen. Ein Ergebnis dieser Versuche war Straßentheater, in dem wir einen Teil der deutschen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert darstellten, um aus der Geschichte zu lernen. In unserem Stück „Luft, Dampf und Sturm“ stellt eine Art Conferencier oder Jahrmarktsansager den dialektischen Bezug zur Gegenwart her, in der es schwieriger zu sein scheint, Klassenbewusstsein zu entwickeln.

Ergebnis und Überlegungen

Die Straße als Spielart verlangt plakatives Theater. Die Zuschauer kommen und gehen während der Aufführung, sie sind zufällig da, ihre Aufmerksamkeit muss gewonnen werden. Wir benutzten ein Transparent und Anzeigetafeln, um den Zuschauern das Thema und die Stationen des Stückes zu verdeutlichen. So wurde den Späterkommenden das Verständnis erleichtert.

Im Straßentheater geht es um schnelles Erfassen des Vorgeführten, es werden keine differenzierten Charaktere, sondern Typen dargestellt. Es geht vorwiegend um Handlungszusammenhänge und darum, welche Positionen die handelnden Personen in dem gesellschaftlichen Gefüge einnehmen. Die Zuordnung der Personen untereinander kann durch typische Kleidungsstücke und Masken erleichtert und verdeutlicht werden.

So zeigten in unserem Straßentheater die sehr ähnlichen Masken von Arbeitgeber und Gewerkschaftsfunktionär bei einer Lohnverhandlung, dass sie miteinander kollaborieren und die Interessenvertretung der Arbeiter zu kurz kommt. Beide tragen große, keimfreie Plastikhandschuhe, um das Hand in Hand Arbeiten zu zeigen, eine Arbeit, bei der sich keiner der beiden die Hände schmutzig macht. Die Arbeiter, die sich gegen dieses Arrangieren nicht wehrten, trugen die gleichen freundlich grinsenden Masken, ihre falsche Zufriedenheit mit dem Erreichten darstellend. Der dümmliche Ausdruck des Grinsens entsprach diesem Mangel an Klassenbewusstsein. Analog zu den beiden Klassen, den Kapitalisten und den Arbeitern, gab es zwei Handlungsebenen (Spielebenen), die privilegierte war natürlich oben.

Die optische Trennung der einzelnen Szenen erfolgte durch einen kleinen Vorhang, den der Ansager bewegte. Währenddessen gab er heutige, ironische Kommentare zu dieser revolutionären Vergangenheit, um in diesem Zusammenhang reaktionäre Argumente infragezustellen.

Das Spielen auf erhöhtem Podest erleichtert zwar die Sichtbarkeit, dafür waren die Texte schwerer zu verstehen. Straßentheater sollte möglichst auf dem realen Boden bleiben, auch wenn dadurch die optische Attraktion verringert wird.

Die Diskussionen nach dem Spiel schienen uns als Publikumskontakte zu unverbindlich, da wir nicht mit einer politischen Organisation zusammengearbeitet hatten. Wir versuchten, unsere Zielgruppe genauer einzugrenzen. Wir wollten mit der gesellschaftlichen. Basis zusammenarbeiten und nicht nur Arbeitsprodukte vorsetzen.

Seit einiger Zeit machen wir Theater mit festen Kindergruppen. Aus dieser Arbeit ist ein Stück für Kinder entstanden, das wir, sobald es unsere ökonomische und personelle Lage erlaubt, aufführen werden.


tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 88 vom April/Mai 1973, 37 f.

Überraschung

Jahr: 1971
Bereich: Kunst/Kultur

Referenzen