Materialien 1972
Wie ich nach München kam ...
war ich arm wie eine Kirchenmaus. Da hab ich auch gesehen was es heißt ausgebeutet zu werden. Ich war politisch sehr aktiv, aber mia ham uns garned drum kümmert, ob des was wir machen, jetzt Anarchismus oder was immer is, des hat kein Namen g’habt, wir wolltens nur richtig machen. Ich war dann unter anderem bei der Subversiven Aktion dabei. Damals war alles möglich, was für uns wichtig war. Des ganze ist dann irgendwann eingemündet in diese 68er Geschichte. Wir haben Aktionen gemacht, teils erfolgreiche, teils weniger erfolgreiche. Man war bei den Demos dabei. Ich erinnere mich da zum Beispiel an dieses Hundert-Eier-Omelette, das wir mit den ausgeblasenen Eier für die Farbeier gegessen haben … Des war alles noch die lustigere Zeit. Unlustig isses dann geworden nach dieser unglaublichen Hetze der Bild-Zeitung. Nach den Schüssen auf Dutschke isses dann auch in München umgschwenkt. I hab damals nur zu meiner Freundin gsogt: „Du, i glab, jetzt is des Ziel des friedlichen Protests verfehlt.“ Ab da isses ausgesprochen unfreundlich und ungemütlich g’worn, und selber wurde man aa ganz grantig, wenn man sieht, mit welcher Unverhältnismäßigkeit der Obrigkeitsstaat zuschlägt, wenn die Privilegien der Reichen und Superreichen auch nur a bisserl angekratzt werden.
Für mich hat’s dann eigentlich nur noch einen Weg gegeben, der noch Spaß g’macht hat, und des war Kultur im weitesten Sinn. Und des war Musik. So is letztlich dann Sparifankal in die Welt kemma. Sparifankal war die erste Rockband. die bairische Mundarttexte g’macht hat, und auf unseren Konzerten ham wir dann wirkli provoziert, und wir waren nicht glücklich, wenn nicht mindestens die Hälfte von de Leit ganga san. I hab in der Zeit Bücher veröffentlicht, in kleinen Verlagen, oder hab in Underground-Zeitungen geschrieben. I hob ganz früh angefangen, bairische Sachen zu machen, und i hab dann no jemand getroffen, der hat aa auf bairisch g’schrieben. Mia ham dann zusammen a Buach g’macht. Des war dann recht lustig, weil des hat wirkli die Leit troffa, um dies ganga is. Des ham si dann irgendwelche Würschtlbuden-Besitzer ans Standl hi g’hängt, sowas hats einfach vorher no ned gem und des war dann auch sehr populär. Des war so a kleins Hefterl, weißblau gerautet und hat g’hoaßn „Warum nachad ned?“ Das hat sich wirkli viele Tausend male verkauft, in fünf, sechs Auflagen.
I hob mit no oam die Idee g’habt, an Zirkus zu machen, den Zirkus Hundertfleck. Ned so protzig, wie da Zirkus Roncalli und des Zeix, sondern a einfaches, armes Theater, für einfache, arme Leute. Unsere Idee war, dass wir für die Leut spielen, die sich nicht leisten können, in Urlaub zu fahren. In Ortschaften und Kleinstädten, ned in München, sondern aufm Land. Und für uns sollte es auch so was wie Urlaub werden. Wir ham auch ned vui braucht. Wir ham a Wiesn braucht und a Trockenklo. Den Rest ham wir selber g’macht. Mir san dann mit zwölf, dreizehn Leuten losgezogen. Zurückgekommen sind wir mit fünfundzwanzig. Des war wie’n Rattenfänger. Wir ham umsonst gspuit, mia wollten auch nix, aber dann kamen eben auch d’Leit mit Verpflegung und allem Möglichen. Mit wirklich einfachsten Mitteln haben wir zweistündige Theater-Aufführungen g’macht, wo die Leute dann am Schluss teilweise g’weint ham, weil’s so schee war.
Mit Sparifankal haben wir das „Rübeln“ erfunden – unser Konzept: Es gibt niemand, der unmusikalisch ist, es kommt nur darauf an, wie man die Leut dazu bringt, frei miteinander zu musizieren. Mia ham damals hauptsächlich Aktionen mit Kindern g’macht, auch behinderte Kinder. Mia ham einfach in Musikgeschäften nach kaputten Musikinstrumenten g’fragt, harn den ganzen Schrott eing’sammelt und wieoerhergerichtet. Danach ham wir alle Instrumente in die selbe Harmonie g’stimmt. Des war einfach, aber genial. Jetzt konnte man quasi gar nicht mehr falsch spuin, des war immer a guada Klang. Für die Aggressiven ham wir auch was gebaut, dass de mit am Prügel an Stangen haun konnten – und selbst des hat an guaden Klang gem. Des waren extrem erfolgreiche Aktionen, des hat nur leider keiner weitergeführt. Des is bis heut nämlich no ned bis zu de Musikpädagogen vorgedrungen, dass ma mit einfachste Mittel, ohne dem ganzen Trara, auch zu deutlich messbaren Ergebnissen kommt. Mia ham des dann auch in Frankfurt in einer g’schlossenen Psychiatrie g’macht, am Tag der offenen Tür, des war das Beste was ich auf der Ebene je erlebt hab: Mia ham da o’gfangt und du hast nach spätestens zehn Minuten nicht mehr g’wußt, führt sich jetzt a Arzt auf, oder ein so genannter Patient, oder a Besucher oder oana vo uns. Alle ham mit einer Begeisterung geflötet, geblasen, getutet und rumghaut, und zwar stundenlang, mit nicht nachlassender Begeisterung. Am Schluss ham wir uns dann noch zammg’setzt und dann hat einer g’sagt – und denn Satz hab ich heut noch in Erinnerung: Mei, er find des so guat, dass so vui füa Behinderte und mental schwächere Leut doa wird, aber des eigentli Wichtige wär, wir sollten des auch mit ihre Ärzte machen, die Bräuchten des nämlich ganz dringend a mal. Des war ein solches Moment von Wahrheit, da war ich wirklich verblüfft … Wir konnten das Ganze dann leider aus finanziellen Gründen nicht mehr weiter machen. Des is auch des, was mich an diesem Sozialsystem wahnsinnig macht: Warum wird in München als erstes eine Stadtteilbibliothek in am armen Bezirk geschlossen, warum kenna se ned irgendwelche Bonzen in Bogenhausen ihre scheiß Bücher selber kauffa? Aber naa, de braucha ja bloß zum Gasteig gehen. Es is immer desselbe, an den Ärmsten der Armen wird als erstes g spart, des wird mi mei Leben lang fuchti macha und des ko und wea i ned akzeptiern. Ma muss Ungerechtigkeit einfach des nenna, was is, nämlich Ungerechtigkeit: Und die Leit, die hinter solche Sachen stehn, diese ganzen Bürokraten und Typen, des san füa mi de echten Asozialen. In de Institutionen wern Sachen getrieben – wos vielleicht guad is, dass de meisten Leit des ned wissen, was da los is, sonst dadns moang vielleicht a paar Opernhäuser abbrennen.
Carl-Ludwig Reichert
Textbuch zu Katz Seger und Olli Nauerz’ Bairisches Kruzefix. „Mia san dageng!“ Born Bavarian, Bazis, Wuide Wachl, Gratla Bänd, Minga, Mob, Sparifankal, 2002, 54.