Materialien 1972
Ich bin ja sehr eng mit der Frauenbewegung verwoben
Nicht nur, dass ich immer mit Frauen zusammengewesen bin und in einer Frauen-Wohngemeinschaft gelebt habe, eine Zeitlang, sondern auch, dass der Verlag Frauenoffensive aus dem Trikont hervorgegangen ist.
1972 wohnte ich mit drei Exponentinnen der Frauenbewegung in einer WG. Der Elisabeth Petersen, der Luisa Francia und der Susanne Kahn-Ackermann. Was uns verband, war die Arbeit in der Fabrik, ganz allgemein, die Arbeit am Proletariat.
Die Frauenbewegung ist ja entstanden aus Aktivitäten, die sich mit Frauen in der Fabrik beschäftigten. Nicht wie die Frauenkommune, die keine Ideologie hatte, eher eine durch Reich stark beeinflusste psychologische Dimension. Sie haben die Themen schon angeschnitten, aber eher aus einer emotionalen als intellektuellen Ebene heraus. Mit der Mona Winter hatte ich ein lustiges, offenes Verhältnis.
Richtig liiert war ich mit der Elisabeth. Dann passierte auf einmal in unserer WG etwas, was ich nur staunend verfolgen konnte: es fand eine rasend schnelle Bewegung weg von der Politik statt. Ich glaubte noch an soziale Aufstände und beschäftigte mich mit Nietzsche, da veränderte sich die Wohnung schlagartig: überall blitzte Gold und funkelten Monde. Sträucher und Kräuter standen herum, es wurde getrommelt und Sitzungen fanden statt, an denen ich nicht teilnehmen durfte. Es gab Rituale und Göttinnen tauchten auf: die Isis, die Venus von Willendorf. Das alles lief unter dem Begriff >Hexe<.
Die Frauen wurden alle schwanger und bekamen Töchter, außer Elisabeth, die einen Sohn bekam, unseren Sohn. Da wurde sie plötzlich von den anderen angegriffen: sie, der die Wohnung gehörte, bekam plötzlich zu hören, dass sie störte. Die linke Literatur war schon längst auf dem Trödel gelandet, neue Bücher aus Amerika gekommen. Wie auch die Barbara Starrod, eine unserer Autorinnen, eine starke, intelligente Frau, eine in ihrem Archaismus völlig aufgehende Hexe, auf die sich die Luisa Francia als einzige Lehrerin beruft.
Kaum war sie in der Wohnung, passierte eine der wildesten Geschichten: nachts, als ich schlief, trat ich in einen Hexensabbat ein. Es war kein luzider Traum, ich bin einfach von meinem Körper weggenommen worden und landete in einem rauschenden Sabbat. Es war ein wilder Kreis, die meisten Figuren waren Tiere: Schweine, Hirsche, alles mögliche. Die wirbelten um einen Berg herum in einem riesigen Strom, das Ganze war extrem erotisch. Auf den Tieren saßen nackte Männer und Frauen, ich saß auch auf einem Tier, wirbelte herum, alles vermischte sich miteinander, wirklich wie bei Goethe beschrieben. Das dauerte so zwei Stunden.
Als ich mich mit Barbara darüber unterhielt, sagte sie: >Du bist mein Ebenbild!< das hab’ ich nie kapiert, obwohl ich schon gewisse magische Tendenzen hatte damals, so in Richtung Castaneda und bereits mein Buch >Vulkantänze< geschrieben hatte.
Dann habe ich den Inquisitor in Luisa Francias Film >Hexen<, der schon fünfmal im Fernsehen gelaufen ist, gespielt. Ich wollte erst nicht, aber irgendwie fühlte ich mich dann doch geschmeichelt. Ahnte nicht, dass all’ diese Frauen, die sich >Hexen< nannten und mit der Szenerie identifizierten, ein Projektionsobjekt brauchten. Einen, auf den sie ihren Mist abladen konnten. Das war dann ich. Ich spürte die Hassenergie, die gegen mich gerichtet wurde. Ich war während der Dreharbeiten isoliert, ausgeschlossen. Und es passierten die merkwürdigsten Dinge: es war da ein Schloss in Tirol, eine frühere HJ-Stätte, wo gedreht wurde und ich den Fluch gegen die Hexen ausstoßen sollte. Wo plötzlich eine richtige Hexe auftauchte, mir acht Äpfel schenkte, die einzigen, die dort in dem Jahr gewachsen waren, mir ihr Heiligtum zeigte, einen Raum voller Schimmel, in dem sich das Kerzenlicht spiegelte, die aber von den anderen Hexen irgendwie verleumdet wurde.
Sie war es aber, die mich beschützt hat.
Die Türkenstraße hat etwas von einer Mutter, die einen beschützt, von einer Wohnung, in der man sich einrichten kann. Die Mutter zwingt einen aber auch in etwas, aus dem man sich selber nicht mehr befreien kann. Sie lässt dich nicht mehr los, sie zieht dich immer wieder zurück.
Deshalb, damit mir dieser weibliche Charakter der Türkenstraße nicht zum Verhängnis wird, ihre Schönheit und ihre Begrenztheit, muss ich mich abnabeln. Müssen wir in einem kleinen Mysterienspiel einen Geburtsakt und einen Abnabelungsakt vollziehen.
Damit ich frei sein kann von der Mutter, damit ich aus ihrem Bann treten kann, um wiederzukommen als Einer, der sich abgenabelt hat. In den Raum einer neuen Geburt eingetreten ist. Das war’s. Amen. (lacht)
Herbert Röttgen
Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 531 f.