Materialien 1972
Selbstverständlichkeit
»Trikont, die >Arbeitersache< und die Siemens-Frauengruppe waren sicher die drei wichtigsten Ereignisse in meinem Leben. Der Trikontverlag, 1967 von Herbert Roettgen und Gisela Erler gegründet, hat 1986 in der Türkenstraße Bankrott gemacht. Über dem heutigen >Cafe usw.< Als Dianus-Trikontverlag.
Ich war von 1972 an dabei.
Ich hatte in Augsburg meine Buchhändlerlehre gemacht und wollte entweder bei >Wagenbach< oder bei> Trikont< arbeiten. Aber die hatten nur begrenzt Stellen und überwiegend wurde da umsonst gearbeitet. Und gerade war eben keine Stelle frei.
In Augsburg hatten wir die Buchhändlergewerkschaft aufgebaut. Sonst gab es als politische Gruppen nur die DKP oder die KPD/ML, lauter Dogmatiker, Spontigruppen gab es keine. Keine wichtigen. So kam ich zu den Marxisten-Leninisten. Ich wohnte in Augsburg und arbeitete in München in der Studentenbücherei in der Veterinärstraße, fuhr also immer hin und her.
Was mir in München gleich auffiel bei den Leuten des Verlages und der >Arbeitersache< war ihre Freude am Feste-Feiern. Das hatten die ML-Dogmatiker nicht. Dann beeindruckten mich ihre Versammlungen. Da gab es Plenen mit 100 bis 150 Leuten aus 5 bis 6 verschiedenen Nationalitäten, die sich gut verstanden und voller Begeisterung Aktionen planten.
Am 1. Mai 1972 habe ich den Herbert Roettgen zum ersten Mal gesehen. Und als er mir einen Kaffee anbot, wusste ich: Da möchte ich bleiben!
Stelle hatten sie keine, Zimmer auch nicht, dafür ein Sofa im Trikont-Archiv. Dort wohnte ich ein halbes Jahr, bis sie ein Zimmer frei hatten. Es war normal, wenn nachts pausenlos das Telefon klingelte, bei Hausbesetzungen oder spontanen Streiks – da waren wir die Notmannschaft, an die man sich wenden konnte. Ich fand das alles sehr aufregend und sehr interessant.
Mir gefiel auch der kollektive Ansatz des Verlages, der sich zuerst Trikont-Verlags-Kooperative, dann Trikont-Verlags-Kollektiv nannte. Es gab für alle den gleichen Lohn wie bei der taz in Berlin: 800 Mark. Der ganze Verlag war anders als linke oder gar bürgerliche Verlage: da konnte es vorkommen, dass tagelang niemand im Verlag anzutreffen war, weil alle an irgendwelchen Aktionen beteiligt waren. Trikont war einer der ersten linken Verlage, der sich nicht ausschließlich mit deutscher Geschichte beschäftigt hat, sondern Themen der Dritten Welt aufgriff.
Eines der ersten Bücher war von Ho-Chi-Minh und dann kam auch schon bald Che Guevaras >Bolivianisches Tagebuch<. Es erschien 1968 gleichzeitig in Italien, Frankreich, Kuba und Spanien. Ins Deutsche wurde es von sieben bis acht Übersetzern übertragen und doch ist die Sprache wie aus einem Guss. Das war ein tolles Beispiel kollektiver Zusammenarbeit, fanden wir. Wir haben es gut verkauft und es wird von Rowohlt immer noch gut verkauft als Taschenbuch.
1972 entstand die Siemens-Frauengruppe, wohl die dogmatischste Frauengruppe Münchens aus ein paar versprengten Frauen, die von der >Arbeitersache< her kamen und nichts mit der bürgerlichen Frauenbewegung zu tun haben wollten.
Wir wollten dem Volk dienen und als Frauen am proletarischen Kampf teilnehmen. Das heißt, wir wollten von innen her in den Betrieben wirken.
Wir suchten den Siemens-Frauenbetrieb in der Martin- und Balanstraße in Giesing aus. Da arbeiteten ein paar ältere Deutsche, sonst nur junge Griechinnen und Türkinnen. Weil das Geld nicht reichte, obwohl die Arbeit hart und dreckig war, gingen manche nebenher noch putzen. Andere gingen auf den Strich. Und wir haben uns dann mit ihren Zuhältern angelegt. Wenn ich daran denke! Das war echt gefährlich, aber wir waren ja noch so naiv! (lacht)
Ich habe ein Jahr in der Fräserei gearbeitet, Akkord, für 800 Mark, bis bei Trikont eine Stelle frei wurde.
Wir waren ja so arrogant, wir haben niemanden akzeptiert, der nicht mindestens ein halbes Jahr in einem Betrieb gearbeitet hatte! Wer nicht gearbeitet hatte, war für uns ein Flippie. Wir waren so fixiert auf unsere Betriebsarbeit – die Auseinandersetzungen mit dem Meister, Proteste gegen das schlechte Kantinenessen, Sprachunterricht und Behördengänge für unsere ausländischen Kolleginnen – auf unsere Stadtteilarbeit – wir hatten ganz allein, ohne Hilfe des Kulturreferates ein Frauen-Stadtteilzentrum in der Zugspitzstraße eröffnet – und die Auseinandersetzungen mit Männergruppen, dass uns andere Frauengruppen und -kommunen gar nicht interessierten. Da gab es Gruppen, die meinten: Frauen sind stark, aber mit Männern sind wir stärker! Wir meinten: Wir machen alles allein! Wir waren ungefähr fünf Frauen im Betrieb und noch einmal so viele, die uns von außen unterstützten.
Da gab es die Ine, die sich heute Inea nennt, die Gründerin des Verlages >Frauenoffensive<, der aus dem Trikont hervorgegangen ist. Dann die Gudrun, die drei Jahre bei Siemens in der Bohrerei gearbeitet hat und die heute mit dem Siggi zusammen das Maximkino in der Landshuter Allee betreibt. Und die beiden Französinnen Marie-France und Monique.
Monique war eine der wichtigsten Frauen der Gruppe. Sie hatte eine Ausstrahlung und hat ungeheuer viele Aktionen initiiert. Bis zu dieser Geburt, wo sie monatelang nicht aus der Narkose aufgewacht ist.
Da haben wir angefangen, uns über Geburt und medizinische Versorgung zu informieren, was vorher überhaupt kein Thema war. Wir haben gemerkt, wie schlecht die Versorgung war, obwohl doch alle technischen Voraussetzungen gegeben waren, und wie riskant so eine Geburt noch Anfang der 70er Jahre sein konnte. Als sie dann endlich doch aufwachte, konnte sie lange nicht sprechen. Das erste Wort, das sie dann herausbrachte, war >Trikont<.
Heute noch geht es ihr so miserabel, dass sie ohne fremde Hilfe nicht leben kann.
Aus unserer Siemens-Frauengruppe hat sich dann eine Frauen-Wohngemeinschaft in der Gewürzmühlstraße entwickelt. Mit Felice habe ich das Zimmer geteilt, sie kam aus Kuba und war die Tochter einer Amerikanerin und eines polnischen Juden. Ende der 70er Jahre ging sie nach Mexiko, betreibt dort eine Wurstbude und ist glücklich dabei.
Unsere Gruppe agierte im Rahmen der Münchner Spontibewegung, setzte sich aber von der >Arbeitersache< ab, weil die uns zu flippig war und von der Frauengruppe der >Arbeitersache<, weil die ständig mit ihnen kooperierte.
Wir haben viel mit der Frankfurter Gruppe >RK<, Revolutionärer Kampf, zu tun gehabt. Das war die Gruppe, aus der auch Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit stammten. Die RK-Frauengruppe war ziemlich militant, sie legte sich jeden Tag mit ihren Männern an, vor allem mit Joschka, von dem es hieß, er verprügele seine Frauen. Da haben die Frauen ihn eines Nachts besucht und es ihm heimgezahlt.
Der Frauengruppe >Brot und Rosen< aus Berlin, die das erste Frauenhandbuch herausgebracht hat, vorwiegend Künstlerinnen, ist etwas gelungen, was selten war in der Zeit: gute Texte zu schreiben, Texte, die Spaß machten zu lesen. Mit ihnen haben wir gern zusammengearbeitet, obwohl sie noch elitärer waren als die bürgerlichen Gruppen, die wir immer angegriffen haben.
1974 sind wir dann zu den anderen Frauengruppen gestoßen, die die § 218-Kampagne machten. Wir wollten den proletarischen Aspekt vertreten.
Manche dieser Frauen haben sich später im Frauenbuchladen oder im Frauenzentrum engagiert. Auch die Luisa Francia, die seit zehn Jahren mehr dem Mystischen und Hexischen auf der Spur ist, hat damals eine wichtige Rolle gespielt. Sie war in der >Arbeitersache<, kam dann aber auch, nach anfänglichen Schwierigkeiten, zu uns in die Siemensgruppe.
Ich wohnte bei> Trikont< und war die einzige, die in einem Betrieb arbeitete und um fünf Uhr aufstehen musste. Es war meine ureigene Entscheidung, aber nein, ich musste die anderen angreifen, die da >bloß< an der Uni rumhingen. Da war wohl auch Neid dabei und die Arroganz derer, die meinen, sie machten das einzig Richtige. Dafür schäme ich mich heute noch.
1974 haben wir endlich unseren Dünkel aufgegeben den bürgerlichen Frauengruppen gegenüber, als es um den Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen ging. Wenn eine Frau schwanger war und das Kind nicht wollte, haben wir zusammengelegt und ihr eine Fahrt nach Holland finanziert.
Oder gab es irgendwo im Süden von München einen, der im Hinterhof für 500 Mark die Abtreibung machte. Obskur und furchtbar.
Was ich sagen wollte: wir haben immer zusammengelegt. Für das Frauenzentrum, für Flugblätter, für die Zeitung, die wir machten. Es war multi-national, heute sagt man multi-kulti. Geld war für uns kein Thema.
Natürlich hatten wir auch mit Männern Kontakt. Mit der >Arbeitersache< und der >Projektgruppe Technologie München<. Das waren mehr die Theoretiker, die ständig Texte und Bücher produzierten, die sich bereits seit 1975 für Ökologie interessierten und die >Gesellschaft für ökologische Forschung< gründeten. Das waren Leute von der TU, die 1968 aktiv waren und eine eigene Druckmaschine hatten. Jetzt machen sie den >Raben<-Verlag, irgendwo im Norden von München in einer alten Fabrik.
Bei der >Arbeitersache< gab es wenig Theoretiker, die lebten von Aktionen und dem Einfluss der italienischen >Lotta continua<. Die Praktiker eben. Beide Richtungen lagen in ständigem Streit miteinander.
Plötzlich tauchten >I clandestini< auf, versteckten sich in den WGs und bestimmten irgendwie das Klima. Sie hatten 1971 herausgebracht, in Bologna und Trient, wer von der Stadtverwaltung und den Bürgermeistern Faschist gewesen war, mit Mussolini kooperiert hatte. Die hatten sie entführt und dann mit einem Schild durch die Straßen geführt: Ich bin ein Faschist! Danach mussten sie natürlich massenweise verschwinden und versteckten sich bei uns. Auch in Frankfurt und Berlin. Das waren Genossen, ja. Wie wir uns untereinander ja auch als Genossinnen betitelten, um uns von den Bürgerlichen abzusetzen.
In Italien gab es die >Lotta feminista< und wir fuhren in der Zeit viel nach Italien. Wir diskutierten über Ärzte, Medizin und Psychologie. Wir waren fasziniert von der Anti-Psychiatrie, deren Konzept es war, die Irrenhäuser zu öffnen und die gerade damit begannen.
Ansonsten standen wir den Ärzten äußerst kritisch gegenüber. Sollten wir uns nicht besser kennenlernen, vor allem den Unterleib, um dann möglichst viel selber machen zu können? Abtreibungen zum Beispiel?
Da gab’s bei uns dieses >Speculum<, einen Spiegel, um den Unterleib zu sehen, heute finde ich’s ja höchst kurios, weil man so gut wie gar nichts sieht (lacht), dieses >Speculum< gab’s also bei uns, aber nicht in Italien. Und wir betrachteten es als Geste der Solidarität, derartige >Specula< nach Italien zu transportieren. Unsere Kontakte zur italienischen Frauenbewegung spielten sich über diese >Specula< ab. So lernten wir anno 1975 alle möglichen norditalienischen Städte kennen.
Zur der Zeit 75/76 brach die Siemens-Frauengruppe auseinander: die einen drifteten zur Anti-Psychiatrie, die anderen zu Baghwan.
Ich hatte inzwischen eine Stelle bei >Trikont< und erlebte drei Jahre lang das Theater um das Bommi-Baumann-Buch: >Wie alles anfing< hautnah mit. Da ging es um einen, eben Bommi, wie er zur RAF kam, was er dort erlebte und wie er sich schließlich vom Terrorismus absetzte.
1975 wurde das Buch verboten. Ein Jahr danach erschien es wieder mit einer Liste von 400 Promis, die als Herausgeber zeichneten, es wurde wieder beschlagnahmt. Der Prozess zog sich bis 1978, bis endlich der Bundesgerichtshof entschied, dass das Buch erscheinen dürfe.
Ich hatte bei Hausbesetzungen bereits den ersten Kontakt mit der Polizei hinter mir. Ab 1974 waren wir eigentlich nur noch von Leuten umgeben, die Prozesse hatten. Kaum einer, der keinen hatte. Dann tauchten im Verlag plötzlich Leute mit Waffen auf. Autoren von uns, die plötzlich bewaffnet waren: der Karl Heinz Roth zum Beispiel. Es gab Schießereien, Überfälle, Festnahmen, Gefängnisstrafen und nach Jahren die ersten Entlassungen: der Teufel zum Beispiel in Berlin, der in der neugebauten U-Bahn nicht wusste, wie man eine Fahrkarte löste. Oder die Margit Czenki bei uns, die, nachdem sie gut fünf Jahre für ihren Banküberfall abgesessen hatte, in die >blatt<-Kommune zog und ziemlich lange brauchte, um sich wieder einzugewöhnen.
Die Basisbuchhandlung – ich habe übrigens die Steffi Black als Lehrling ausgebildet – der Trikontverlag und das >blatt< gehörten irgendwie zusammen. Die Basis war ein eigener Betrieb mit Axel und Steffi und das >blatt< war ein gutes Forum für uns, obwohl die Leute dort viel flippiger waren. Wir, wie auch andere linke Verlage, schickten den politischen Gefangenen in den Knästen die Bücher, die sie sich wünschten. Oft kamen sie aber wieder zurück, weil sie von der Zensur, äh, der Gefängnisleitung abgelehnt wurden. Es war die Zeit, wo ständig über Gewalt diskutiert wurde und der Sog hin zur RAF, hin zum bewaffneten Kampf, ganz schön stark war. Wir fühlten uns so ohnmächtig und wütend, dass der Weg dorthin eigentlich nur konsequent gewesen wäre. Und über die Rote Hilfe überhaupt kein Problem.
Wir hatten ein Prinzip im Verlag: Wir distanzieren uns nicht vom bewaffneten Kampf! Wir diskutieren über alles, über Prospekte, Programme, Initiativen, Knastbesuche, nur nicht über die politische Linie.
Trotz allem sind in den fast 20 Jahren des Bestehens des Verlages über 200 Bücher erschienen, das waren mehr als zehn im Jahr.
Die Geschichte der Gertraud Will hat mich stark beschäftigt und fast in die Arme der RAF getrieben. Sie war befreundet mit Roland Otto, der mit dem Rolf Heißler und der Margit Czenki den Banküberfall gemacht hatte. Er hatte seine Haftstrafe schon fast abgesessen und bekam immer öfter Urlaub wegen guter Führung. Dann hat er etwas Dummes gemacht: er ist nicht mehr in den Knast zurück. Die Polizei suchte ihn bei Gertraud. Ihr wurde vorgeworfen, sie verstecke ihn und sei mit ihm verlobt. Weil das dann ein anderer juristischer Status ist. Wegen des Verdachts, Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein, kam sie zunächst in München in U-Haft am Neudeck. Ich begann, sie öfter zu besuchen.
Man hatte auf dem Speicher ihrer Eltern einen Koffer gefunden mit einer Knarre und politischen Schriften der RAF – wie der dahingekommen ist, ist mir heute noch schleierhaft.
Die ganze Familie Will wurde plötzlich als kriminelle Vereinigung behandelt und es war eine große Familie. Alle sehr sozial und sehr engagiert und plötzlich kriminalisiert.
Gertraud erlebte so ziemlich alles, was andere Politische auch erlebten: Isolationshaft, Verlegung nach Nürnberg, um sie von ihrem Umfeld zu trennen, miese ärztliche Versorgung nach einem Hungerstreik. Die Anstaltsärzte, unqualifiziert und bösartig. Was habe ich gekämpft, dass sie eine Decke mehr bekam!
Wenn ich sie besuchte, mussten wir beide uns nackt .ausziehen und von irgendwelchen Wachteln untersuchen lassen, weil die meinten, wir könnten irgendwo etwas versteckt haben.
Während der halben Stunde Besuchszeit waren immer zwei Beamte des Bundeskriminalamtes dabei. Sie sagten: >Sprechen Sie lauter!< oder verkürzten beliebig die Besuchszeit. Du konntest nichts tun! Diese Ohnmacht!
Was mich letztlich abgehalten hat, militant zu werden, war die Arbeit im Verlag und der Herbert Roettgen. Der mich zu Prozessen und Gefängnisbesuchen gehen ließ. Oder für den ID, den Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten, schreiben ließ. Der mir das Gefühl gab, ich könne doch etwas tun. Er hat mich praktisch davon weggerettet, ja.
Inzwischen hatte Trikont zusammen mit dem Kramerverlag die >Operation Menschenfresser< herausgebracht, ein ETA-Buch über das gelungene Attentat an Carrero Blanco, dem designierten Franco-Nachfolger. Das wurde erstaunlicherweise nicht verboten.
Als wir RAF-Texte herausgeben wollten und deshalb an die 400 Herausgeber des Baumann-Buches schrieben, ob sie nicht vielleicht noch einmal … da kamen wenige Antworten zurück und in den meisten hieß es: Ja, aber … Das waren diese drögen, unverständlichen Texte, die dann in Schweden erschienen.
Herbert hat sich immer als >Geburtshelfer< des Verlages >Frauenoffensive< bezeichnet, die aus dem Trikont hervorging und zum Teil aus der Siemens-Frauengruppe entstanden ist. Es ging um den selbständigen Frauenstandpunkt und der wurde von der Gisela Erler, wiewohl keine Feministin, unterstützt. Das erste Buch beschäftigte sich mit >Lohn für Hausarbeit<, ein Thema, das gerade in England und Italien diskutiert wurde, bei uns noch nicht.
Ziemlich viele Frauen trugen das Konzept der >Frauenoffensive<, ich bin aber nicht dazu gestoßen, ich blieb im >Trikont< mit Ine aus der Siemensgruppe.
Sie, die früher die Dogmatischste in der Frauengruppe war, die forderte, man müsse sich für Frauen und gegen Männer entscheiden, das heißt >Bewegungs-Lesbe< werden (lacht), so hießen die, die aufgrund feministischer Erkenntnisse lesbisch wurden und nicht, weil es in ihnen angelegt ist, sie ist irgendwie sie selber geblieben: sie lebt heute mit dem umoperierten Sohn von Augstein, ihrer Freundin, in der Nähe von Starnberg zusammen.
Nach Verena Stefans >Häutungen<, das ein großer Erfolg wurde, trennte sich die Frauenoffensive im Knatsch von Trikont. Herbert tobte. Er tobte wie immer kurz und ging – was die Klärung nie viel weiterbrachte. Es gibt die Frauenoffensive noch irgendwo in Schwabing.
Auch die Trikont-Schallplatten, die der Achim Bergmann macht, gibt es noch. Er sitzt da so in der Kistlerstraße, macht keine Werbung, dafür aber wunderschöne Schallplatten. Er und die Gisela Erler waren lange zusammen und haben zwei Kinder. Von ihm stammt der Name >Frauenoffensive<.
Was mir aus dieser Zeit geblieben ist? Vielleicht die Erinnerung an die Selbstverständlichkeit, mit der wir uns über Jahre weg ausgebeutet haben, wenn wir ein Projekt gut fanden.
Daneben fällt mir die Selbstverständlichkeit auf, mit der die Jungen sich heute bewegen, diskutieren, ins Bett gehen miteinander. Und ich glaube, dass wir das in gewisser Weise miterkämpft haben.
Die Türkenstraße ist für mich der Zustand, in dem sich das alles kristallisiert.«
Christine Dombrowsky
Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 510 ff.