Materialien 1972
Pfiffe, Geschrei, Tumult
KONZERNE
Die Siemens-Aktionäre Geißler, Geue und Müller wurden vom Amtsgericht München wegen Nötigung zu insgesamt 800 Mark Geldstrafe verurteilt. Grund: Sie hatten auf der Hauptversammlung am 16. März 1972 gegen die Siemens-Beteiligung am Bau des Cabora-Bassa-Dammes in Mozambique protestiert, der den Kolonialmächten Portugal und Südafrika nützt. Wir zitieren aus dem Stenogramm der Versammlung:
Dr. Geisler: Ich beantrage, dass der Vorstand – wegen dieser Politik – nicht entlastet wird und dass auch dem Aufsichtsrat wegen der Duldung dieser Verhältnisse die Entlastung verweigert wird.
(Zwischenrufe und Proteste)
Ich werfe Ihnen hiermit vor, was auf 8.000 Plakaten und in 20.000 Schriftstücken verbreitet wurde, ohne dass die Firmenleitung dagegen Einspruch oder Klage erhoben hat: Beihilfe zum Mord!
(Proteststurm. vielstimmiger Ruf „Aufhören!“)
Ich fordere Sie auf, dagegen …
(Rest geht in Lärm unter)
Ich bin bereit, für diese Behauptung -
(unaufhörliche Rufe „Aufhören!“)
ins Kittchen zu gehen.
(Unruhe und Klatschen dauern an)
Es wären noch einige Anmerkungen zu machen -
(„Aufhören! Aufhören! Aufhören!“)
ich möchte aber darauf verzichten.
(Lärm dauert an, Beifall)
Peter von Siemens: Herr Geisler, wir nehmen Ihre Mitteilungen, Behauptungen und Injurien zur Kenntnis, ohne im Moment darauf zu reagieren.
(Beifall, kurze und lange Pfiffe)
Ich bitte um Ruhe.
Weikert (Aktionär): Ich darf zur Geschäftsordnung den Antrag stellen, dass ab sofort jegliche politischen Reden in Anwendung des Hausrechts vom Herrn Vorsitzenden unterbunden werden.
(Bravorufe, lang gezogene Pfiffe)
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von Siemens: Ich danke Ihnen, Herr Dr. Weikert, für diese Aufforderung, und ich möchte das Plenum fragen, ob es mit den Ausführungen von Herrn Dr. Weikert einverstanden ist. Ich möchte nicht -
(Beifall und Missfallenskundgebung)
Wir können uns das am besten visuell verdeutlichen, indem ich Sie bitte, diejenigen also, die dafür sind, den Arm zu heben.
(Geschieht, soweit zu übersehen, im ganzen Saal; lauter Widerspruch durch die Opponenten, die schließlich in den gemeinsamen Ruf ausbrechen „Sieg Heil, Sieg Heil, Sieg Heil“, was im Saal mit Gelächter quittiert wird)
Seit wann sind Sie so nationalsozialistisch, meine Herren? Wir sind nicht bereit, diese Veranstaltung zu einer politischen Agitation umfunktionieren zu lassen.
(Widerspruch und Geschrei)
Das, was Herr Dr. Geisler uns vorwirft, muss er an die politischen Instanzen bringen, das gehört nicht hierher, das hat hiermit gar nichts zu tun. Ich möchte Sie, meine Damen und Herren, aber fragen: Wie lange soll die Cabora-Bassa-Diskussion noch dauern?
(Zahlreiche Rufe: „Schluss! – Schluss!“)
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von Siemens: Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen vorschlagen, dass wir, um die Sache über die Bühne zu bekommen, den Opponenten die Möglichkeit geben, noch 20 Minuten über das Cabora-Bassa-Problem zu reden.
(Widerspruch)
Wer ist dagegen?
(Sehr starke Mehrheit)
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zum Punkt 2 der Tagesordnung.
(Lebhafter Beifall)
Bevor ich mit dem Punkt 2 der Tagesordnung beginne, bitte ich um -
(neuer Tumult, machtvolle Demonstration des Auditoriums gegen die Opponenten mit weiteren Rufen „’raus! – ’raus!“)
Ich darf noch einmal, bevor wir fortfahren, klarstellen: Ich habe mit Herrn Geisler und seinen Freunden gesprochen. Ich habe ihnen den Vorschlag gemacht, dass die anstehenden Fragen innerhalb 20 Minuten gestellt werden.
(Zwischenrufe der Opponenten wie „Wir lassen uns unsere Redezeit nicht stehlen!“)
Das ist abgelehnt worden, und es ist unbeschränktes Rederecht gefordert worden. Dies ist ein glatter Hausfriedensbruch, meine Herren! Sie haben die Möglichkeit, einige Fragen zu stellen, aber Sie können mich nicht unter Druck setzen, dass wir jetzt ad infinitum diskutieren oder Ihre Fragen anhören.
(Neue Zwischenrufe der Opponenten: „Hier wird nicht diskutiert, hier werden Fragen gestellt!“)
(Zurufe aus dem Auditorium: „Polizei rufen!“ – „Lassen Sie doch abstimmen!“)
Ich folge Ihrem Vorschlag und lasse jetzt abstimmen.
(Anhaltender Beifall – Pfiffe)
Ich bitte, jetzt das Podium zu räumen.
(Das von den Opponenten zuvor besetzt worden war, die Red.)
(Proteststurm und Beifall)
Ich möchte die Herren vom Ordnungsdienst bitten, dafür zu sorgen, dass die Opponenten vom Podium hinuntergehen, andernfalls muss ich Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs stellen.
(Bravorufe, starker, anhaltender Beifall. Protestkundgebung)
Da Sie meiner Aufforderung nicht folgten, habe ich inzwischen bei der Polizei Strafantrag gestellt.
(Neue lärmende Kundgebungen, mit Pfiffen und Pfuirufen untermischt. Polizei erscheint in der Saalecke)
Ich möchte nur nochmals feststellen, dass hier Hausfriedensbruch vorliegt, und möchte die Polizei bitten, das Podium frei zu machen.
(Unruhe)
Ich möchte nochmals die Polizei bitten, einzugreifen, da Hausfriedensbruch vorliegt.
(Die uniformierten Polizisten – etwa acht Mann – begeben sich bis zum vordersten der Opponenten ….. Die oben stehenden, an der Spitze Dr. Geisler, den zwei Beamte rechts und links am Arm nehmen, werden von der Bühne aus dem Saal geführt. – Seit Beginn der polizeilichen Aktion ungeheuerer Lärm, wüstes Geschrei, aus dem kein Wort wiedergegeben werden kann, auf der anderen Seite lang anhaltender Beifall.)
Ich darf den Herren Polizeibeamten für ihre Hilfe danken.
konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 7 vom 8. Februar 1973, 12 f.