Materialien 1972
Strauß attackiert das Rundfunkgesetz - Das „Volksbegehren Rundfunkfreiheit“
Schon beim „Politischen Aschermittwoch“ 1971 in Vilshofen hatte Strauß zum Sturmangriff gegen den Bayerischen Rundfunk geblasen. Er sprach hier von einer „roten Unterwanderung bei Funk und Fernsehen“, von „volksfremden Publikationsorganen“, von einer „Reichsrundfunkkammer mit Linksdrall“ und glaubte in den Sendungen des Bayerischen Rundfunks „kleine Spritzer roten Gifts“ entdeckt zu haben.1
Nach langem Hin und Her – im Oktober hatte Fraktionschef Huber noch erklärt, der CSU sei es mit der Änderung „nicht brandeilig“ – legte die CSU schließlich im Januar 1972 ihren Entwurf vor und erklärte, ihn bis Februar (bis zur neuen Amtsperiode des Rundfunkrats) durchziehen zu wollen. Ihre Privatfunkpläne stellte sie zurück, um die „technischen, rechtlichen und organisatorischen Möglichkeiten für die Einrichtung privater Rundfunkanstalten zu prüfen“ und um dann „die Grundlage für eine mögliche Gesetzgebung zu schaffen“2. Das war jedoch wohl nur eine taktische Maßnahme, um nicht noch mehr Wirbel zu machen. Der Fraktionsentwurf zur Änderung des Bayerischen Rundfunkgesetzes brachte für die CSU einschneidende Verbesserungen: So sollte es durch drastische Erhöhung der Zahl der Parteipolitiker im Rundfunkrat von neun auf einundzwanzig bei dann insgesamt neunundfünfzig Mitgliedern den Einfluss der Mehrheitspartei in dem bisher „ständisch“ zusammengesetzten Gremium verstärken und durch die Anstellung von leitenden Angestellten nur für die Dauer von fünf Jahren (statt bisher auf Lebenszeit) deren Gefügigkeit erreicht werden.3 Der alte Intendant trat dem noch einmal mit bewundernswertem Engagement entgegen. Aber allen Bedenken und Protesten aus der Öffentlichkeit und den eigenen Reihen zum Trotz zog die CSU ihre Änderung des Rundfunkgesetzes in der berühmt-gewordenen Nachtsitzung vom 29. Februar auf den 1. März 1972 durch.
Die erste Tat des neuen Rundfunkrats war die Abwahl des liberalen stellvertretenden Vorsitzenden Müller-Meiningen. Hörfunk-Direktor von Cube, der einen unbefristeten Vertrag hatte und das Nachrücken eines Konservativen auch auf seinen Stuhl möglichst lange hinauszögern wollte, entschloss sich nun aus Protest gegen das neue Gesetz gemeinsam mit Wallenreiter auszuscheiden. In einem leidenschaftlichen Kommentar wandte sich von Cube über den Bayerischen Rundfunk an seine Hörer: „… Ein demokratisches Gesetz ist kein Freibrief, sondern ein Freiheitsbrief. Aber eben diese verbriefte Freiheit, wie sie für den Rundfunk auch in Artikel 5 der Bundesverfassung verankert ist, droht in Gefahr zu geraten, und zwar einfach dadurch, dass der Versuch gemacht wird, sie durch eine Art legaler Machtergreifung im Rundfunkrat parteipolitisch zu monopolisieren … Die Verfahrensdemokratie also ist von der CSU mit bewundernswerter Rücksichtslosigkeit ausgenutzt und durchgespielt worden … Sie haben ihre Macht missbraucht, die Meinungen ihrer Gegner und Partner missachtet und schließlich durch Gesetz ein Regime geschaffen, das parteipolitische und kulturpolitische Einseitigkeit fördert und legalisiert … So bedeutet denn die Novellierung des Gesetzes Novellierung des Programms, wenn nicht Schlimmeres; wenigstens dieses Schlimmere zu verhüten, sind alle, die sich angesprochen fühlen, aufgerufen.“4
Kaum war das Gesetz verabschiedet, tauchten auch die Privatfunkpläne der CSU wieder auf. SPD, DGB und viele unabhängige Gruppen brachten nun das „Volksbegehren Rundfunkfreiheit“ zustande, das am 27. Juni 1972 von 13,9 Prozent aller wahlberechtigten Bayern unterstützt wurde und somit der CSU eine Millionenabsage erteilte.
Danach gab es Verwirrung und Durcheinander bei der CSU. „Neunmalgescheite Juristen raten ihr – und Strauß hat das bereits übereifrig aufgegriffen! -, das beabsichtigte Verbot des privaten Rundfunks in Bayern verfassungsrechtlich anfechten zu lassen. Sie erhoffen, mit einer derartigen Klage, die nur vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden könnte, zumindest eine jahrelange Verzögerung des Volksentscheides zu erzwingen, der verfassungsgemäß dem Volksbegehren folgen muss.“5 Es folgt die Androhung, das Volksbegehren als rechtswidrig zustande gekommen anzufechten, dann die Verabschiedung eines Alternativgesetzes, das an den Volksentscheid angehängt werden sollte – dies wurde trotz rechtlicher Bedenken der anderen Parteien im Landtag mit einfacher Mehrheit durchgezogen. Und schließlich das Umschwenken von Strauß, der nun der Landtagsfraktion die Alleinschuld zuwies und Verhandlungen mit den Initiatoren des Volksbegehrens herbeiführte. Es folgte eine schnelle Einigung über eine gemeinsame Vorlage für den erneuten Volksentscheid. Der Landtag verabschiedet darauf am 8. Mai 1973 eine Ergänzung des Artikels 111 der Bayerischen Verfassung. In diesem Artikel 111 a wird nun festgelegt, dass
a) Rundfunk nur in öffentlich-rechtlicher Verantwortung betrieben werden darf;
b) höchstens ein Drittel Staats- und Parteienvertreter in den Rundfunkrat entsandt werden dürfen.
Der Volksentscheid bestätigte die Verfassungsänderung eindrucksvoll mit siebenundachtzig Prozent. Der Landtag nahm die notwendige Änderung des Rundfunkgesetzes am 18. Juli 1973 vor, am 1. August 1973 trat das neue Gesetz in Kraft. Der Rundfunkrat hatte jetzt einundfünfzig Mitglieder, davon zwölf Parteienvertreter – sieben der CSU.
Der Angriff auf den Bayerischen Rundfunk mit dem Ziel der völligen CSU-Durchdringung per Gesetzesänderungen war gescheitert, doch der Wille, dieses Ziel zu erreichen, keineswegs erlahmt.
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1 funk report 5/71, 9. März 1971.
2 funk report 3/72, 25. Januar 1972.
3 A.a.O.
4 „Eine Prozedur ohne Glaubwürdigkeit“, Kommentar von W. v. Cube im Bayerischen Rundfunk, dokumentiert in funk report 6/72, 8. März 1972.
5 Peter Glotz im SPD-Pressedienst, 12.7.1972, P/XXVII/131.
Jürgen Itzfeld, Meinungsfreiheit oder Schwarzfunk? Sender Wildbad Kreuth. PDI-konkret 9, München/Hamburg 1977, 30 ff.