Flusslandschaft 1972
Medien
Für die medienpolitische Beratung im bayrischen Landtag am 19. Januar präpariert CSU-MdL Franz Handlos seine Kollegen mit einem vertraulichen Papier. Seit 1969 bemängeln Mitglieder
der CSU, dass die Positionen ihrer Partei in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht ausreichend dargestellt werden. Handlos meint: „Einer grundsätzlichen Zustimmung zum Privatfunk bzw. Privatfernsehen dürfte nichts im Wege stehen, dies insbesondere auch auf Grund der rasanten technischen Entwicklung … Ich bin mit zahlreichen Kollegen der CSU-Landtagsfraktion der Mei-
nung, dass der Privatfunk aus verschiedenen Gründen … verwirklicht werden müsste … Ich warne jedoch zugleich solange vor der Verabschiedung eines solchen Gesetzes, bis nicht klar und deutlich feststeht, wer als Träger dieses Funks in Erscheinung tritt. Der DGB wartet offensichtlich bereits, zusammen mit sympathisierenden Instituten, zu denen auch mindestens eine Bank gehört, auf ein solches Gesetz.“1 Wichtiger ist Handlos, den CSU-Einfluss auf den Rundfunkrat zu verbessern. Gruppen und Verbände, die bisher ihre Vertreter delegieren konnten, sollen jetzt drei Namen vor-
schlagen, aus denen der Landtag einen auswählt. Außerdem sollten leitende Angestellte nur noch Fünfjahresverträge bekommen und das Beschwerde- und Gegendarstellungsrecht verstärkt wer-
den. „Aus Furcht vor einer Rüge von oben oder vor einer langen Gegendarstellung, möglicherweise sogar einem Gerichtsverfahren, sollten Journalisten, die im Rundfunk arbeiteten, davon abgehal-
ten werden, kontroverse Themen aufzugreifen.“2
„Verwundert fummelten Münchner Fernseh-Zuschauer an ihren Geräten.“ Im Februar schaltet sich ins laufende Fernsehprogramm der „illegale Sender Radio Bundschuh“.3
Am Montagabend, dem 21. Februar, ziehen über fünftausend Menschen, Journalisten, Schriftstel-
ler, Gewerkschafter vom Rundfunkhaus zum Marienplatz. Sie fürchten, dass die CSU den Rund-
funk zu ihrem Privatbesitz erklärt. Franz Josef Strauß: „… Dieses Geheimnis besteht darin, dass in unseren Rundfunk- und Fernsehredaktionen sich linke und zum Teil linksradikale Kollektive gebil-
det hatten, inmitten derer es einige geduldete, häufig angegriffene und als Fremdkörper betrachte-
te Konzessionsschulzen gab, die nicht der Linken zuzuzählen waren. Hier hatte sich ein ernstes Monopol der Macht herangebildet, nicht nur im Bayerischen Rundfunk, sondern auch anderswo … Die Inhaber der Monopole glaubten, dass diese Macht von ihnen nach ihrem Gutdünken gebraucht werden dürfte und wollen nicht wahrhaben, dass ihnen diese Macht nur treuhänderisch von der bayerischen Bevölkerung anvertraut worden ist … Sie wollen auch heute noch nicht wahrhaben, dass sie Gefühle und Einstellungen ihrer wehrlosen Zuschauer straflos missachtet haben … Hier bieten sie alles auf, um sich der Machtkontrolle zu entziehen und mehr Demokratie zu verhindern, und zwar weil es um ihre eigenen Erbhöfe geht.“4
Am 14. März wirft Franz Josef Strauß in einer Sendung des BR dem öffentlich-rechtlichen Rund-
funk vor, „dass in unseren Rundfunk- und Fernsehredaktionen sich linke und zum Teil linksradi-
kale Kollektive gebildet“5 haben. Intendant Wallenreiter schreibt an Strauß am 20. März: „Pau-
schale Behauptungen dieser Art werden nicht dadurch bewiesen, dass man sie ständig wiederholt. Es müssen Namen genannt und die Sendungen bezeichnet werden, in denen dies geschehen sein soll … Ich muss mich entschieden dagegen wehren, das Programm des Bayerischen Rundfunks als eine Ansammlung journalistischer Todsünden hinzustellen …“6
Am 15. März gründet sich das Landesbürgerkomitee Rundfunkfreiheit, um ein Volksbegehren ge-
gen die Pläne der CSU durchzuführen. Vorsitzender des Komitees wird der Politologe Prof. Paul Noack, welcher später meint: „Unsere Initiative war eine im wesentlichen politische Initiative. Uns ging es darum, den politischen Einfluß der Parteien, im Augenblick der CSU, aber es könnte auch bei anderen Mehrheitsverhältnissen die SPD gewesen sein, aus den Überwachungsorganen des Bayerischen Rundfunks zurückzudrängen. Uns war aber von Anfang an klar, dass wir mit dieser Forderung keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken würden. Also kam dann als ebenso wich-
tiges, aber sehr viel publikumswirksameres Moment die Ablehnung des kommerziellen Fernsehens hinzu.“7
„Gunthar Lehner, bisher Leiter der Hauptabteilung Bildung und Erziehung beim Bayerischen Rundfunk, ist vom Rundfunkrat in München zum neuen Programmdirektor gewählt worden. Er übernimmt sein Amt am 1. Oktober von Walther von Cube, der aus Protest gegen das neue Rund-
funkgesetz zurückgetreten ist. Das Volksbegehren gegen dieses Gesetz ist bereits sicher: In nur zwei Tagen trugen sich rund 50.000 Bürger in die Listen ein.“8
13./14. Dezember 1972: „Das im Juli erfolgreich abgeschlossene Volksbegehren ‚Rundfunkfreiheit’ wird vom Landtag mit CSU-Mehrheit als ‚rechtsungültig’ bezeichnet. Für den Fall, dass das Bür-
gerkomitee vor dem Verfassungsgerichtshof Recht bekommen sollte, schiebt die CSU einen eige-
nen Gesetzentwurf nach. – Das Rundfunkvolksbegehren endete am 11. Juli erfolgreich: 1.007.637 Bürger (13,7 Prozent der Wahlberechtigten) trugen sich in die Listen ein. Der Etappensieg des Bür-
gerkomitees, dem SPD, FDP, Gewerkschaften, der Bund der katholischen Jugend und zahlreiche Einzelpersönlichkeiten angehörten, erzeugte bei der CSU Verwirrung. Die einen, angeführt vom Parteivorsitzenden Franz Josef Strauß, plädierten für eine verfassungsrechtliche Prüfung des Volksbegehrens, die anderen favorisierten einen eigenen Gesetzentwurf als Alternative zum Text des Volksbegehrens. – Ernsthaft umstritten ist nur das Verbot privater Rundfunk- und Fernseh-
veranstaltungen. Die CSU sieht darin die Grundrechte der Meinungs- und Informationsfreiheit angetastet. Nach monatelanger Auseinandersetzung neigen schließlich beide Seiten zu einem Verfassungsstreit. In einer zweitägigen Plenardebatte werden die Argumente nochmals ausge-
tauscht. – Helmut Rothemund (SPD) hält der CSU vor, aus ihrem Verhalten im Rundfunkstreit müsse gefolgert werden, ‚dass Sie, wenn nicht heute, so doch wenigstens morgen den Privatfunk in Bayern einführen wollen, was wir nicht nur für heute und morgen, sondern auch für übermorgen verhindern möchten!’ Der CSU-Fraktionsvorsitzende Alfred Seidl entgegnet, niemand in der CSU, auch nicht der Landesvorsitzende, denke auch nur im entferntesten daran, ‚in einer einigermaßen überschaubaren Zukunft’ einen privaten Funk einzuführen. Der CSU gehe es nicht darum, die ge-
setzlichen Voraussetzungen für die Zulassung privater Sendeanstalten zu schaffen, sondern darum, zu verhindern, bei der fortschreitenden technischen Entwicklung die Errichtung privater Rund-
funkanstalten durch eine Verfassungsbestimmung zu blockieren. Denkbar sei eines Tages ein Bun-
desgesetz, das die Errichtung privater Rundfunk- und Fernsehanstalten zur Pflicht mache. – Nach vierstündiger Debatte bestreitet der Landtag mit 104 Stimmen der CSU gegen 77 von SPD und FDP bei drei Enthaltungen die Rechtsgültigkeit des Volksbegehrens ‚Rundfunkfreiheit’. Dem folgt ein erbitterter Geschäftsordnungsstreit um den CSU-Gesetzentwurf für eine Verfassungsänderung. Der Entwurf soll laut Präambel dem Volksentscheid für den Fall unterbreitet werden, dass der Verfassungsgerichtshof die Rechtsgültigkeit des Volksbegehrens bestätigt. Nach Auffassung der Opposition bedarf der CSU-Gesetzesvorschlag der Zweidrittel-Mehrheit, um den Wählern als Al-
ternative vorgelegt zu werden. Die beiden Gesetzesvorlagen unterscheiden sich vor allem darin, dass das Bürgerkomitee ‚Rundfunkfreiheit’ nur ‚öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten’ zulassen will, während es bei der CSU heißt: ‚Rundfunk darf nur in öffentlicher Verantwortung betrieben werden’, was private Anstalten nicht ausschließt. Aufgrund der Landtagsbeschlüsse vom 13. und 14. Dezember kündigt das Bürgerkomitee Verfassungsklage und die Landtagsminderheit gegen die Landtagsmehrheit ‚Organklage’ an. Hinter den Kulissen wird jedoch nach einem Kompromiss ge-
sucht, weil sich die CSU ihrer Sache nicht allzu sicher ist. Immerhin hatte Innenminister Bruno Merk dem Volksbegehren Rechtsgültigkeit bestätigt.“9
Vier Jahre später meint BR-Redakteur Alfred Horné: „Nach der letzten Bundestagswahl 1972 hat Franz Josef Strauß den für die Unionsparteien etwas missglückten Wahlausgang so kommentiert: Wir haben recht behalten, aber nicht recht bekommen. Für die Entwicklung seit dem erfolgreichen Volksbegehren ‚Rundfunkfreiheit’ in Bayern, ebenfalls 1972, gilt eher die umgekehrte Reihenfolge: Wir haben recht bekommen, aber nicht recht behalten.“10
Siehe auch „Jugend“.
(zuletzt geändert am 12.7.2020)
1 Handlos, Vertrauliches Medienpapier vom 10.1.1972, zit. in Harald von Gottberg, Initiativen zur Errichtung kommerziel-
len Rundfunks unter besonderer Berücksichtigung des exemplarischen Charakters der Gründung der ITA für die einzelnen Initiativen in der Bundesrepublik Deutschland, 370 f.
2 Gottberg, a.a.O., 372.
3 Siehe „Stadtviertel“ und „Spur in der Zeit“ von Aki und Sabine Ahrens.
4 Zitiert in Volker Heinz, Worte des Vorsitzenden Franz Josef. Selbstporträt eines nationalen Führers gestaltet aus seinen eigenen Worten, Hamburg 1972, 159. — Vgl. dazu auch Stephan Schmidt, Bayern im Rundfunkkrieg, in: Stephan Schmidt (Hg.), Schwarze Politik aus Bayern. Ein Lesebuch zur CSU, Darmstadt/Neuwied 1974, 39 ff. – Siehe „Strauß attackiert das Rundfunkgesetz — Das ‚Volksbegehren Rundfunkfreiheit’“.
5 Zitiert in Gottberg, a.a.O., 436.
6 Zitiert in Heinz, a.a.O., 159.
7 Zitiert in Gottberg, a.a.O., 432 f.
8 Die Zeit 12 vom 24. März 1972.
9 Peter Jakob Kock, Der Bayerische Landtag. Eine Chronik, Bamberg 1991, 198 ff.; vgl. dazu auch Was ist mit unserem Rundfunk los? Bayerische Initiative Rundfunkfreiheit, München 1976 und Was ist, wem nützt, wer will Kabel-Fernsehen? Bayerische Initiative Rundfunkfreiheit e.V., München 1978.
10 Alfred Horné: „Bayrische und andere Gefahren für die Rundfunkfreiheit. Die Praxis der Ausgewogenheit aus der sicht des Journalisten“ in Martin Gregor-Dellin/Wolfgang R. Langenbucher/Volker Schlöndorff (Hg.), Das andere Bayern. Lesebuch zu einem Freistaat, München 1976, 195 f. Vgl. dazu auch Peter Sander: „Wirkungen des Volksbegehrens Rundfunkfreiheit in Bayern“ in Gewerkschaftliche Monatshefte 5 vom Mai 1973, 311 ff. und Wilfried Nax: „Der Status quo bleibt erhalten. Zur Einschätzung des bayerischen Landesbürgerkomitees“ in Gewerkschaftliche Monatshefte 5 vom Mai 1973, 316 ff.