Materialien 1973
Aufhängen, aufhängen
VERTRIEBENE
Warum Münchens OB die Sudetendeutschen nicht begrüßen will
„Aufhängen, aufhängen“ brüllten sie, als von einem Regierungschef die Rede war. Minuten später versicherte ein anderer Regierungschef, „dass ich Ihre wohlverstandenen Interessen zu vertreten weiß“. Ein Dritter – potentieller Regierungschef – verließ fluchtartig und unter Protest den Saal. Das war 1970 beim Treffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) in München. Der Name des Beschimpften: „Verräter“ Willy Brandt, der Interessenvertreter heißt Alfons Goppel und der Flüchtende beim Flüchtlingstreffen Hans-Jochen Vogel.
Vom 9. bis 11. Mai ist es wieder soweit: Rund 150.000 Sudetendeutsche wollen sich zum 25jähri-
gen SL-Bestehen in der Hauptstadt der Bewegung zu Pfingsten versammeln. „Sie kommen von überall her“, so der SL-Bundesgeschäftsführer Karl Simon zu KONKRET: „Aus den USA, allen möglichen europäischen Ländern und sogar aus Südafrika.“ Schirmherr ist wieder Interessen-
vertreter Goppel. Der Bayern-Regierungschef 1970: „Bayern ist und bleibt das Schirmland der Sudetendeutschen.“
Der jetzige Münchner Oberbürgermeister – obwohl kein potentieller Regierungschef – will nicht abschirmen. Georg Kronawitter zu KONKRET: „Es besteht für die Stadt keineswegs eine Verpflich-
tung, eine Begrüßung vorzunehmen.“ In einem Brief – unterschrieben von Bundestagsabgeordne-
ten, Schriftstellern und Schauspielern – hatte die Demokratische Aktion den OB gebeten, „die zu erwartende extrem nationalistische Kundgebung in keiner Weise zu unterstützen“.
Kronawitter: „Mein Entschluss stand schon lange fest, bevor der Brief der Demokratischen Aktion eintraf.“ Der Entschluss brachte ihm den obligaten Ärger ein. CSU-Generalsekretär Georg Tandler: „Das ist bezeichnend für das Format dieses Oberbürgermeisters, für die innere Verfassung seiner Sozialdemokratischen Partei und für eine politische Landschaft, in der linke Revoluzzer allerhöch-
sten Zuspruch erhalten und die Kerkermeister des östlichen Kommunismus mit Elogen bedacht werden.“
Wen Schutz- und Schirmherr Alfons Goppel mit Elogen bedenkt, hat Herr Tandler offenbar verges-
sen: Bundesvorstandsmitglied der Tschechen-Kolonialisten Viktor Aschenbrenner, weiland NS-Gaubildungswart in Prag. Weitere prominente Berufsvertriebene: Theo Keil, Leiter des SS-Gau-
amts für Erziehung im Sudetenland, und Alfons Urban, Gauamtswalter des NS-Lehrerbundes.
Alfons Goppel ist allerdings zu Dank verpflichtet: Neben Otto von Habsburg und anderen über-
kommenen zählt auch er zu den Trägern des sudetendeutschen „Karlspreises“.
konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 19 vom 3. Mai 1973, 12.