Materialien 1957

Ihr düftet übel, Alois

Ach, man will auch hier schon wieder nicht so wie die Geistlichkeit.
(Wilhelm Busch)

Horrido, die Jagd ist aufgegangen! In breiter Kette, die von Tuntenhausen bis nach Münster reicht, sind die Schützen angetreten. Da steht der sanftmütige Kooperator neben der tugendhaften Jungfrau Deflorata, der Hersteller von Rosenkränzen in verschiedenen Preislagen und Dessins neben dem erzbischöflichen Rechtsbeistand, und auch der glaubensstarke Landtagsabgeordnete ist vom Rosenheimer Stimmviehmarkt herbeigeeilt.

Gilt es doch, ein grauslich Tier zu jagen, den ††† SIMPLICISSIMUS, eine gottgefällige Jagd fürwahr!

Den Kesseltreibern voran schreitet der Edelsten einer, der republikanisch-bayerische Landtagsabgeordnete Dr. Dr. Alois Hundhammer, Liebling des Volkes, das ihn teils den schönen, teils den heiligen Alisi nennt.

Eine Gloriole unsterblicher Verdienste umschwebt ihn. War es ihm doch nach dem Kriege gelungen, die deutschen Hintersassen nördlich des Mains und westlich des Lechs wieder zum Lachen zu bringen und den fast abgestorbenen Kosenamen “doofer Seppl” zu neuem Leben zu erwecken.

Noch nie hat Bayern eine derartige Jagdgesellschaft von Schlumpschützen und Patzern beisammen gesehen, aber auch noch nie so viele hinterfotzige Schlingenleger und hechelnde Aasjäger auf einem Haufen. Das Dum-Dum-Geschoß ist ihnen ebenso recht wie die Dreckschleuder und die geweihte Mistgabel.

Ausgerüstet mit dem Segen des schön-heiligen Alisi sind Jäger und Kesseltreiber aller waidmännischen Anstandsregeln im vorhinein entbunden; das große Abwürgen, Knochenbrechen, Aushungern und das hinterlistige Abschlachten kann beginnen.

Dr. Dr. Alois Hundhammer ist ausgezogen, den SIMPLICISSIMUS zur Strecke zu bringen, und dazu ist ihm jedes Mittel recht, düfte es auch noch so übel. Und wenn er nun in sein Hifthorn stößt, vernimmt der Bürger keineswegs fromme Kirchenweisen, wohl aber den lauten weltanschaulichen und wirtschaftlichen Rufmord.

Diesmal lacht man nicht mehr nördlich des Mains und westlich des Lechs, vielmehr schüttelt man die Köpfe über das, was sich heutzutage ein Politiker in Bayern alles herausnehmen darf, wenn er nur einen immerwährenden gußeisernen Ablaßzettel im Hosensack trägt.

Der SIMPLICISSIMUS wird nicht untergehen!

Euere Zeit ist wirklich um, Alois!

Bayern befindet sich nicht mehr im Mittelalter, und der Herausgeber des SIMPLICISSIMUS und seine Mitarbeiter können nicht mehr unter Glockengeläut auf dem Münchner Marienplatz öffentlich verbrannt werden.

Auch der Bundesminister Strauß kann nicht, weil er zu viel Saft hat, auf der Streckbank zu Geständnissen über sein voreheliches Liebesleben gebracht werden.

Euere Zeit ist wirklich um, Alois.

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Herbert Hofner, der Chefredakteur des SIMPLICISSIMUS, hat in der Nr. 27 den Ablauf des Geschehens aufgezeigt.

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Es beginnt mit einer Strafanzeige wegen Gotteslästerung, weil wir einen harmlosen „Aufsatzseufzer“ abgedruckt hatten. Die Staatsanwaltschaft lehnt die Anzeige ab.

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Es ergeht eine zweite Anzeige wegen Gotteslästerung, weil wir die Satire von Paul Hilbert „Die Flucht nach Ägypten“ veröffentlicht hatten. Auch diese Anzeige nimmt die Staatsanwaltschaft nicht an. Gleichzeitig droht der Justitiar des Erzbischöflichen Ordinariats in München, Anzeige wegen Gotteslästerung zu erstatten, falls wir nicht eine berichtigende Erklärung brächten. Um des lieben Friedens willen tun wir ihm diesen Gefallen.

Nach diesen Tastversuchen steigt der erste Angriff. Es erscheint unser Titelbild „Komm, Heil’ger Geist“, und alsbald läuft die dritte Anzeige wegen Gotteslästerung bei der Staatsanwaltschaft ein. Diese lehnt wiederum ab, und damit ist die christkatholische Hölle los.

Die „Katholische Aktion“ wird aus den Beten gerufen, die „Katholische Nachrichtenagentur“ heult auf, und ihre Abnehmer, die katholischen Zeitungen und Zeitschriften, heulen lauthals mit. Der Regensburger Pater Ort nennt uns über den „Bayerischen Rundfunk“ ein „verrufenes Witzblatt“, und auch der Bischof von Hildesheim ist aufrichtig betrübt über das Schandblatt SIMPLICISSIMUS.

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Wir bringen unser Titelblatt „Die deutsche Prozession“, das von allen Leuten, die guten Willens sind, richtig verstanden wird. Anwälte, Industrielle, Politiker, Generale und Ärzte, die meisten von ihnen gute Katholiken, zollen uns Beifall.

Die Schützenkette von Tuntenhausen bis Münster ist aber nicht guten Willens; sie ist durchaus bösen Willens. Wiederum unterstellt man uns, wir seien Feinde der Kirche, im besonderen der katholischen Kirche.

Der Versuch, den SIMPLICISSIMUS beschlagnahmen zu lassen, misslingt, und damit steigt der zweite Angriff.

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Wiederum lehnt die Staatsanwaltschaft ab, ein Ermittlungsverfahren wegen Gotteslästerung einzuleiten, „weil sie den Tatbestand der Religionsbeschimpfung nicht als erfüllt“ ansehe.

Das hätte sie nicht sagen dürfen; es sollte ihr übel bekommen. Die „Katholische Nachrichtenagentur“ gibt ihr Äußerstes her, und wiederum sind ihre Zeitungen des Geifers voll. Am SIMPLICISSIMUS lässt sie natürlich kein gutes Haar, und die Staatsanwaltschaft wird nieder gebügelt.

Am 4. Juli 1957 hat die „katholische Nachrichtenagentur“ einen herrlichen Erfolg, Sie meldet triumphierend:

Letzte Meldung!

Ermittlungsverfahren gegen „Simplicissimus“ eingeleitet

München, 3. Juli (KNA). Die Staatsanwaltschaft München I hat jetzt ein Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen der satirischen Zeitschrift „Simplicissimus“ wegen der kürzlich veröffentlichen und als Verächtlichmachung der Fronleichnamsprozession empfundenen Karikatur „Die deutsche Prozession“ eingeleitet. Dieser Schritt erfolgte auf Grund einer Strafanzeige des Bischöflichen Ordinariats Augsburg.

Die Staatsanwaltschaft München I hatte am 19. Juni die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in der gleichen Sache abgelehnt, „weil sie den Tatbestand der Religionsbeschimpfung nicht als erfüllt ansieht“. Dieser Beschluss der Staatsanwaltschaft war von führenden kirchlichen Persönlichkeiten und in der katholischen Presse scharf kritisiert worden.

So weit sind wir also im Rechtsstaat Bayern!

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Aber das ist noch nicht alles über den Rechtsstaat Bayern!

Es entsteigt der Versenkung, in der er so gut aufgehoben war, der republikanisch-bayerische Landtagsabgeordnete Dr. Dr. Alois Hundhammer. Er ist ausersehen, den vernichtenden Schlag gegen den SIMPLICISSMUS zu führen. Fürwahr, dümmer hätten die Strategen auf der Gegenseite es nicht anpacken können! Denn nicht nur nördlich des Mains und westlich des Lechs, auch in Bayern geht jedes mal ein Grinsen durch das Land, wenn dieser Glaubenseiferer auch nur den Mund auftut. Und das Stück Brot, das er einem Hund anbietet, verbleibt ihm letztlich selbst.

Im Haushaltsausschuss des Bayerischen Landtages, wo über die Finanzlage des Landes geredet wird, steht der Abgeordnete Dr. Dr. Hundhammer zweimal auf und beklagt sich über den SIMPLICISSIMUS. Im Vorbringen solcher Klagen hat er schon viel geleistet, und die Abgeordneten, einschließlich des Finanzministers, waren nahe daran, in Tränen auszubrechen, als sie merkten, dass er wieder einmal reden wolle.

Folgendes etwa gab der Dr. Dr. Hundhammer von sich und damit zum besten:

Der SIMPLICISSIMUS sei mit Zweideutigkeiten und Zoten in reichem Maße angefüllt und er habe mit seinen Titelblättern „Komm, Heil’ger Geist“ und „Die deutsche Prozession“ alles verhöhnt, was Katholiken heilig sei. Der SIMPLICISSIMUS werde in einer Druckerei hergestellt, an der der Staat zu 40 Prozent beteiligt sei, nämlich im Münchner Buchgewerbehaus. Die Auflage dieser Zeitschrift habe einen starken Rückgang erlitten; sie habe 500.000 Mark Schulden bei der Druckerei. Diese habe infolge der Verluste am SIMPLICISSIMUS eine Wertberichtigung in Höhe von DM 750.000 vornehmen müssen. Angesichts dieser Lage sei der SIMPLICISSIMUS bei seinem Stammkapital von nur DM 20.000 konkursreif. Der Staat solle eine Kündigung des Druckvertrages durchsetzen; schließlich gehe es nicht an, dass ein derart ärgerliches Blatt mit öffentlichen Mitteln mittelbar unterstützt werde.

Dies und noch einen Haufen anderes erzählte der Dr. Dr. Hundhammer den Mitgliedern des Haushaltsausschusses im Bayerischen Landtag. Auch dem dümmsten Bundesbürger wird klar, was hier beabsichtigt ist: Der unbequeme SIMPLICISSIMUS soll mundtot gemacht und ausgetilgt werden!

Dazu ist dem Abgeordneten Hundhammer der weltanschauliche und wirtschaftliche Rufmord gerade recht, denn bekanntlich heiligt der Zweck jedes Mittel.

Als Herausgeber des SIMPLICISSIMUS, als Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der Simplicissimus-Verlagsgesellschaft m.b.H., aber auch als Mann, der in Deutschland erheblich ernster genommen wird als der Abgeordnete Dr. Dr. Hundhammer, habe ich dazu folgendes zu sagen:

1. Es ist unwahr und völlig aus der Luft gegriffen, dass das Münchner Buchgewerbehaus, in dem der SIMPLICISSIMUS gedruckt wird und an dem der bayerische Staat mir 40 Prozenr beteiligt ist, infolge angeblicher Verluste am SIMPLICISSIMUS eine Wertberichtigung in Höhe von DM 751.000 habe vornehmen müssen.

2. Es ist unwahr, dass der SIMPLICISSIMUS zirka DM 500.000 Schulden hat.

3. Die Auflage des SIMPLICISSIMUS ist gleichbleibend. Sie wird von der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) alle Vierteljahre geprüft, das Ergebnis veröffentlicht. Die Auflage bewegte sich in den vergangenen zwei Jahren zwischen 50.000 und 60.000 Exemplaren je Woche, sie ist also auffällig konstant.

4. Es ist unwahr, dass der bayerische Staat am SIMPLICISSIMUS mittelbar oder unmittelbar Verluste erlitten hätte. Der bayerische Staat ist an der Druckerei mit 40 Prozent lediglich beteiligt. Das ist alles. Er hat bisher in dieser Druckerei nichts investiert, vielmehr aus seiner Beteiligung hohe Gewinne gezogen.

5. Der SIMPLICISSIMUS ist nicht mit Zoten angefüllt, denn sonst wäre er auf Grund des Gesetzes gegen Schund und Schmutz Nummer für Nummer verboten worden. Seit seinem Bestehen ist gegen ihn nur ein einziges solches Verfahren anhängig gemacht worden, nämlich der bekannte „Föhnprozess“, der überdies noch gar nicht entschieden ist.

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Das wär’s, Herr Dr. Dr. Hundhammer!

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Was kann der SIMPLICISSIMUS gegen die Methoden eines so aufrechten katholischen Christen machen? Genau besehen, nichts!

Wohl habe ich durch den hervorragenden Verlagsrechtler Dr. Delp beim zuständigen Münchener Gericht eine einstweilige Verfügung gegen den Landtagsabgeordneten Dr. Dr. Alois Hundhammer einreichen lassen. Aber wenn ihm auch untersagt werden sollte, seine Behauptungen zu wiederholen, so nützt uns das wenig.

Er hat den SIMPLICISSIMUS öffentlich sozusagen als Schwindelfirma hingestellt. Es wird, besonders in kleineren Orten, eine Reihe von Leuten geben, die ihn nicht mehr zu kaufen wagen. Es wird auch Firmen geben, die es nicht mehr wagen werden, ihm Anzeigenaufträge zu überschreiben, weil ihnen noch das Wort Gotteslästerung im Ohr klingt. Und wer kann den kleinen Zeitungshändler, der den SIMPLICISSIMUS nicht mehr aushängt, zu dem Geständnis bringen, dass einer herumgegangen ist und ihm das nahegelegt hat?

Alles in allem: Wir haben nichts gegen die Kirche und bekämpfen sie auch nicht. Wohl aber bekämpfen wir jeglichen Missbrauch von Macht, ob er nun unmittelbar oder im Schatten der Kirche ausgeübt wird. Und einen solchen Mißbrauch hat der Abgeordnete Dr. Dr. Hundhammer getrieben.

Er weiß selbst am besten, wie er in den eigenen Reihen allein dasteht. Der CSU-Parteitag in Nürnberg hat das deutlich genug gezeigt. Dort hat ihm der Franz Josef Strauß eine moralische Ohrfeige verabreicht, die abzukühlen er sich eilends nach Tittmoning begeben hat oder wo er sonst zu Hause ist.

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Bei Philippi sehen wir uns wieder, Alisi!

Olaf Iversen


Simplicissimus 29 vom 20. Juli 1957, 451.

Überraschung

Jahr: 1957
Bereich: Religion