Materialien 1973
Zu Opas Grab
STAATSBESUCH
Paraguays Diktator Stroessner besucht diese Woche Bayern – das Land seiner Vorväter
Am Freitag dieser Woche bläst eine Bundeswehrkapelle Südamerikas dienstältestem Militärdikta-
tor auf dem Flughafen München-Riem den preußischen Präsentiermarsch. Alfredo Stroessner, Staatschef von Paraguay, trifft zum Staatsbesuch in Bayern ein.
Eigentlich hätte Stroessner nach Bonn kommen sollen, wohin er einst von Bundespräsident Hein-
rich Lübke eingeladen worden war. Aber Lübkes Nachfolger Gustav Heinemann entzog sich der unerfreulichen Aufgabe, den von ihm nicht gebetenen Staatsgast zu empfangen: Er ist, so das Präsidialamt, „zufällig abwesend“. Jetzt war laut Protokoll der Präsident des Bundesrats dran, derzeit Bayerns CSU-Ministerpräsident Alfons („Fonsä“) Goppel, und der fand nichts dabei, den faschistischen Mini-Diktator mit allen Ehren willkommen zu heißen. Stroessner dankte es ihm: Sein Besuch bleibt auf den Freistaat Bayern beschränkt.
Den Diktator – der sich 1954 die Macht erputscht hatte – verbindet vieles mit Weiß-Blau-Deutsch-
land. Sein Vater stammte aus Bamberg, sein Großvater ist in Hof begraben. Paraguay ist – wie Bay-
ern – vornehmlich Agrarland, der Beruf des Großgrundbesitzers a la Baron von Finck ist in Para-
guay unter Wenigen weit verbreitet. Und genau wie Günther Müller von der CSU voriges Jahr bei den Kommunalwahlen, lässt Alfredo Stroessner für eine Mahlzeit und viel Getränk – bei Müller waren es Leberkäs und Bier – seine Wähler per Omnibus zum Wahllokal karren. Die „Neue Zür-
cher“ nennt so was „Stimmenrekrutierung“. Im Februar, als Stroessner mit 80 Prozent der Stim-
men für weitere fünf Jahre „gewählt“ wurde, konnten seine Untertanen bereits vor Bekanntgabe des Wahlergebnisses in der Regierungs-Presse die Glückwünsche zur Wiederwahl lesen.
Stroessners Pressefreiheit steht auf einem soliden Fundament: Die Tageszeitung „La Patria“ wird durch einen Zwangsbeitrag aller öffentlichen Angestellten finanziert. Stroessner, selbst Artillerie-General, ernennt alle Offiziere, Minister und Richter, seine „Colorado“- Partei majorisiert das Par-
lament und sorgt dafür, dass die Erlöse aus den Fleisch- und Getreideexporten in die richtigen Hände kommen.
Paraguay ist nach Bolivien das ärmste Land Südamerikas. Die Masse der 2,4 Millionen Paraguayer verdient nicht mehr als 250 Mark pro Kopf im Jahr.
Auch im Antikommunismus lässt Stroessner sich von seinem Gastgeber Goppel nicht übertreffen: Durchschnittlich alle zwei Monate wird wegen eines „kommunistischen Putschversuches“ der Ausnahmezustand ausgerufen. Das kommt in Bayern nur gelegentlich vor: bei der Verabschiedung von Grundverträgen oder wenn die „kleine radikale kommunistische Minderheit“ von 25.000 Münchner Studenten gegen das CSU-Hochschulgesetz demonstriert.
Demonstriert wird im „Land der Helden und Dichter“ (Stroessner über Paraguay) nicht. Auch Priestern und Offizieren geht es gut. Sie haben das Privileg, Autos zollfrei einzuführen und damit gewinnträchtig weiterzuverkaufen. Offiziere sind auch die Besitzer der gesamten Taxi-Flotte in der Hauptstadt Asunción.
Jeder sechste Paraguayer ist Soldat oder Polizist. Das Land, dessen Staatschef selten mit weniger als 30 Orden auf der Brust herumläuft, gibt 70 Prozent seines Haushalts für die Armee aus. Die Hälfte davon wandert in die Taschen der unzähligen Generäle und Admiräle – die zahlreicher sind als die Schiffe der Marine. Der amerikanische Enthüllungs-Journalist Jack Anderson berichtete: „Stroessner verteilt an seine Generäle Freibriefe für Schmuggel von Uhren bis zum Whisky. Para-
guay ist Hauptumschlagplatz für den Rauschgiftschmuggel in die USA.“
Während der südamerikanische Niederbayer in Hof das Grab seines Opas besucht, mit Goppel im Münchener „Antiquarium“ diniert oder gemeinsam mit der bayerischen Staatsregierung im Kloster Ottobeuren der G-Dur-Messe von Franz Schubert zuhört, sorgt sein Sohn und designierter Nach-
folger, Gustavo Adolfo, dafür, dass in den mit politischen Häftlingen gefüllten Gefängnissen das Foltern nicht vergessen und nicht doch zufällig geputscht wird.
konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 30 vom 19. Juli 1973, 14.