Materialien 1973

Warum habe ich einen Arbeiter gemalt?


Jost Maxim: Herbert Voss, Öl auf Leinwand, Ausschnitt.
tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 93 vom Januar/Februar 1974, Titelblatt.

Jost Maxim über sein Bild „Bildnis Herbert Voss“:

Erst muss ich Herbert danken. Er hat nämlich ein paar Nachmittage von seinem Urlaub geopfert, um für mich in meinem Arbeitszimmer Modell zu stehen. Und dann hat er mir noch alles gebracht, was ich zum Fertigmalen brauchte, z.B. Hemd und Jacke und eine Rolle mit Plakaten.

„Wie soll ich stehen?“ Ich möchte absichtlich auf eine anscheinend nebensächliche Sache eingehen. Während ich meine Malutensilien vorbereitete und mich mit Herbert unterhielt, stand er mit verschränkten Armen da, das Standbein hinten. Und für diese Haltung habe ich mich spontan entschieden. Er hätte ja auch sitzen können, aber, so wie er dasteht, soll doch mal einer kommen und was erzählen von „Partnerschaft“ oder von dem Boot, in dem wir angeblich alle sitzen. Ich wollte etwas von dem gewachsenen Selbstbewusstsein der Arbeiter zum Ausdruck bringen, das sich in den letzten Jahren in den Arbeitskämpfen gezeigt hat.

Beim Anlegen der Figur wurde mir klar, Herbert sollte nicht vor einem leeren oder imaginären Hintergrund stehen, sondern in einem wirklichen erkennbaren Raum, und es sollte möglichst viel zu sehen sein; nicht nur das Zimmer, sondern auch noch ein Stück Stadt: Durch das Fenster sieht man auf den Pariser Platz im Münchner Stadtteil Haidhausen. Herbert mag diesen Platz mit seinen Obstständen, der Eisdiele, dem Spielsalon und der Baumreihe ringsum. Hier führte Herbert mit seiner Wohngebietsgruppe der DKP Informationsstände und Veranstaltungen durch. Haidhausen ist ein Sanierungsgebiet, Konzerne kaufen dort Häuser und Grundstücke planmäßig auf, treiben die Mieten und Preise hoch, und die Mieter müssen um ihre Wohnung bangen, für die Kinder muss um jeden Spielplatz gekämpft werden.

Man kann auf einem Bild nicht alles malen wollen, aber möglichst viel wollte ich schon bringen, von dem was ich über Herbert weiß. Hier tritt ein Problem im Darstellen der Wirklichkeit auf. Ich finde die Überlegung richtig, dass zum Beispiel zur Darstellung eines Hauses Grundrisse und Schnitte oder Pläne herangezogen und mitverarbeitet werden können. Es hieße den Realismusbegriff sehr eng und arm auffassen, wenn man sich auf eine fotografisch getreue Wiedergabe beschränken wollte. Die Montage widerspricht nicht dem Realismus. Da möchte ich allerdings gleich den Rat Bert Brechts ins Gedächtnis rufen, mit solchen Mitteln sparsam umzugehen.

In einer Hinsicht ist der Blick auf den Pariser Platz auch „montiert“; denn das menschliche Auge kann in Wirklichkeit nicht Dinge, die weit voneinander entfernt sind, gleichzeitig in Einzelheiten erfassen, in diesem Fall Herberts Gesicht und die Einzelheiten draußen auf dem Platz.

Und noch etwas zum Realismus: Herbert hat kein Zimmer am Pariser Platz. Tatsächlich würde man von seinem Zimmer aus auf Äcker und Waldrand sehen. Herbert und ich haben uns das „ausgedacht“.

Ein Arbeiter als Bildthema, das ist hierzulande im Kunstbetrieb durchaus nicht üblich. Ihn leidend darzustellen, oder am besten deformiert, würde man dulden – aber ein selbstbewusster Arbeiter schmeckt den Herrschenden nicht, er passt nicht in die herrschende Kultur. Wir Maler, die wir für die arbeitende Bevölkerung Partei ergreifen, stehen daher vor besonderen Schwierigkeiten. Was soll so ein Bild? Sicher, wenn es gelänge, die Bosse herauszufordern und vor allem die Arbeiter zu bestärken, dann wäre sehr viel erreicht. Aber der hiesige Kulturbetrieb ist nicht für den Arbeiter eingerichtet. Man braucht nur die Ausstellungen in Kunstvereinen, Berufsverbänden und Galerien ansehen.

Wir sollten uns da schon beteiligen, aber um den Arbeitern unsere Sachen zu zeigen und mit ihnen zu diskutieren, müssen wir neue Wege gehen. Als Beispiel hierfür eine Ausstellung der Münchner Gruppe „tendenzen“ im Jugendfreizeitheim „Riederwald“ in Frankfurt/M., in einem Arbeiterviertel. In den knallrot, gelb und schwarz gestrichenen Räumen und Gängen hingen unsere Bilder circa vier Wochen, während der normale Freizeitbetrieb weiterlief. Es war ein Experiment: wie würden die Jugendlichen darauf reagieren? Vorgesehen waren dazu zwei Diskussionsabende mit Mitgliedern unserer Gruppe. Jugendliche, die sonst mit Kunst nichts anfangen können, wollten unsere Bilder genau erklärt haben. Sie erkannten: Hier sind wir selbst, unsere Arbeitswelt und Umwelt dargestellt, und hier sind auch politische Bilder, die uns Zusammenhänge sichtbar machen. Diese Erfahrung, verstanden zu werden, ist auch für uns Maler sehr wichtig und hat uns in unserer Arbeit weiter bestärkt. Sicherlich, ein finanzieller Erfolg ist diese Ausstellung nicht gewesen. Unter den Jugendlichen war die Enttäuschung groß, dass unsere Sachen so teuer wären, und es war nicht leicht, ihnen zu erklären, wieviel Zeit man zum Malen und Zeichnen braucht. Wir müssten eben sehr viel mehr Grafik machen. Feine Techniken spielen hier keine Rolle, man kann auch sehr gut mit Offset oder Siebdruck arbeiten, damit auch ein Lehrling die Blätter kaufen kann.

Eine weitere Möglichkeit wären Betriebsausstellungen. Ähnliche Beispiele kenne ich von anderen Gruppen. Auf breiter Basis kann das allerdings nur die Arbeiterschaft selbst organisieren. Hier bietet uns die Kulturarbeit der DKP eine wertvolle Möglichkeit, mitzuarbeiten. Auf den Kulturforen in Nürnberg und Neuß konnten Künstler aus der ganzen Bundesrepublik ihre Erfahrungen austauschen, mit Arbeitern diskutieren und neue Wege abstecken. Und auf vielen Parteiveranstaltungen sind bildende Künstler in Ausstellungen vertreten: von der Wohngebietsgruppe Haidhausen bis zum Hamburger Parteitag, wo auch dieses Bild mit dabei war.


tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 93 vom Januar/Februar 1974, 4 ff.

Überraschung

Jahr: 1973
Bereich: Kunst/Kultur

Referenzen