Materialien 1973

Nun singet und seid froh ho ho

… Trotz allem wird (1962) jede Art von fröhlicher und trauriger Musik gemacht. Amerikanische und englische Songs sowieso, deren hauptsächliche Vertreter der Waschke Klaus und der Katastrophen Paul waren. Die einen spielen viel russisch, wie der Mauko und der Wolfram, Musik vom Balkan machen der Spitz und seine Anhänger. Spanische Gitarre spielt der Bruder von Mauko, der Flamenco-Fredl. Die herbstlichen Tage werden kühler und kürzer. Zur richtigen Einstimmung breitet man einen Teppich am Monopteros aus und stellt einen Samowar auf, der billigen warmen Tee spendiert. Jeden Tag wird gespielt. Jeder lernt von jedem. Von den Amerikanern schaut man sich das Finger Picking ab. Eine unerhörte Sache damals, die ganz neue musikalische Dimensionen erschloss. (Gleichzeitig Melodie und Begleitung spielen.) Der Loibl Arthur kommt dazu und spielt überall mit. Damals papierld er als erster mit einigem Erfolg einige bayrische Lieder aus, was ungeheueres Staunen in der Umgebung hervorrief. Damals war auch schon der Neumann Bernd dabei, der vor kurzem mit einem eigenen Lied im Rundfunk debütierte. Das waren so die Anfänge.

Dann kam der Winter – und die Szene verlegte ihr Domizil lieber in warme Gasthäuser, wo ein weitsichtiger Wirt oder eine freundliche Wirtin sie nicht gleich wieder hinauswarfen, denn Geld hatte sowieso keiner. Für viele wird die Kaschemme Marianne zum musikalischen Treffpunkt. Der Preußen Volker (lippische Lieder) schleppt den Arthur samt Donovan-Mütze und Spezln in den Alten Simpl , wo es für die Barden eine Gulaschsuppe und etwas Feuchtigkeit in Maßen gibt. Beim Novak in der Occamstraße geschieht dasselbe. Doch das dortige „In“-Publikum behagt ihnen nicht, das ja Welten von ihrer Musik entfernt ist. Man wird das Gefühl nicht los, als wenn die einen wie seltene Tiere anschauten.

Plötzlich gibt’s den Jazzkeller in der alten Türkenkaserne. (Heute stehen dort neue Universitätsbauten.) Dort wird das erste Forum für die Szene eingerichtet. Jeden Dienstag trifft man sich dort vor einem verständigen angenehmen Publikum. Die ersten Bühnenerfahrungen werden gesammelt. Der fanatische Smoky kommt dazu und erzählt jedem wie seine „Finger laufen“ (heute Balalaika-Ensemble „Tatschanka“). Damals war noch der heute fünfzigjährige Julius Schittenhelm mit von der Partie. Ein verrückter Typ, der ausgesehen hat wie „Frankensteins Rache“. („Willst du deine Lisa schänden, halt den Radi in den Händen“) In der Datscha bei den Samy-Brüdern spielen auf der Stuhllehne sitzend der Wolfram mit der Drehleier und seiner mächtigen Stimme und der Peter Boderenko Akkordeon, der nicht nur einmal buchstäblich mitten im Spielen eingeschlafen ist. Wahrscheinlich zum Teil deshalb, weil er sich regelmäßig vorher den Bauch vollgeschlagen hat.

Herbst 1967. Nun tritt eine entscheidende Wende für die Münchner Sangesbrüder ein. Dany’s Pan in der Einsteinstraße wird im ehemaligen Unionsbräu aufgemacht. Zwei Typen mit Hamburger Szenenerfahrung sind die Besitzer. Nun gibt es ein Lokal ganz allein für die Sänger und Folkloristen. Das Ganze entwickelt sich schnell zum wichtigsten Punkt der Szene. Was vorher über die ganze Stadt verstreut war, konzentriert sich nun hier. Es wird ein Programm gemacht, es gibt etwas Gage und es ist ein Übungsraum vorhanden. Neu tritt Jörn Pfennig in Erscheinung, und er hat großen Erfolg. Weiter Helmut Wagner, der sich Walther von der Vogelweide nennt und nach einem seiner Lieder den Spitznamen „Vampir Meier“ trägt und später das KeKK gründet. Es entstehen unheimlich viele neue Lieder; es wird aber auch unheimlich viel geübt und gearbeitet. Das eingeweihte Münchner Publikum geht begeistert mit. Das Ganze zieht Kreise. Kanada Charly kommt dazu – er war der erste Münchner Straßensänger, Roberto Detree, Rigoberto und viele andere. Ringo Prätorius spielt nach 24 Uhr Ofenblech. Ein Typ verkauft billig getrocknete Kuhscheiße als shit. Im Sommer trifft man sich nicht mehr am Monopteros, sondern am Chinesischen Turm, denn schließlich ist man schon so bekannt, dass einem regelmäßig die Maßen spendiert werden.

Es gibt jetzt ein richtiges Entertainment in München. Dany’s Pan , das nach einem Besitzerwechsel in Song Parnass umgetauft wird, bekommt Konkurrenz. In der Taubenstraße hat sich ein südamerikanisches Folklorelokal etabliert. 1971 wird die satirische Kleinkunstbühne KeKK in der Witwe Bolte gegründet. Im Song Parnass brennt es und es bleibt für einige Zeit geschlossen. Der Ungarn-Peter macht sich auf die Suche nach einem geeigneten Saal als Ersatz für’s Song und findet auch einen Ersatz im Alten Hackerhaus in der Sendlinger Straße. Im März 1972 wird dort das „Musikalische Unterholz“, genannt MUH, installiert. Die Sänger der ersten Stunde waren der Loibl Arthur und der Fesl Fredl, der damals noch etwas im Schatten von Arthur stand, was sich ja inzwischen ziemlich geändert hat. Wenn die beiden sich nur anschicken auf die Bühne zu steigen, entfachten sie regelmäßig einen Orkan der Begeisterung. Als Zugabe sang der Arthur bei grünem Brechtlicht meistens die Ballade von den Seeräubern („Oh Himmel strahlender Azur“) oder den Wirt vom Stoa auf Flamenco. Petra und Chivo waren die südamerikanischen Folkloristen. Der Neumann Bernd und der Preiß’n Volker waren dabei. Der damals schon ziemlich bekannte Hannes Wader singt für eine Maß Bier. Die Black Bottom Skiffle Group sorgt für Stimmung. Die Barden sind begeistert vom MUH, wird doch, im Gegensatz zum Song , der ganze Eintritt nach Abzug der Vergnügungssteuer an die Musiker für deren Unkosten ausgeschüttet. Das Publikum erfreut sich nicht nur an den billigen Bierpreisen, sondern ebenso, dass Sänger und Musikanten aus allen Teilen der Welt hier ihr Können zeigen. Das Song wird wiedereröffnet, doch bald kommt es zu einem Musikerstreik. Es geht um Freibier und höhere Gagen. Die Geschäftsführung versucht den Streik zu unterlaufen, indem sie verstärkt Musikanten von auswärts engagiert, die von dem Ganzen keine Ahnung haben. Als sie die Zusammenhänge erfahren, erklären sich die meisten von ihnen mit den Streikenden solidarisch.

Fortsetzung folgt.

Wolf Kleinschmidt

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Liedermacher und Barden in unserer Stadt

Im ersten Teil wurden die Anfänge am Monopteros beschrieben, von der Gründung der Barden-Hochburgen erzählt, wie Dany’s Pan, MUH, KeKK, wurde geendet mit dem Beginn des ersten Musikerstreiks im Juli 1973 zur Schwabinger Woche, in Dany’s Pan, des ersten in der Münchner Nachkriegsgeschichte.

Maßgeblich nahmen daran teil, der schwarze Medizinstudent Alula aus Äthiopien („Wenn ich vor dem Spiegel steh, tanz ich wie ne Sommerfee“) und Rüdiger Hellbig, Banjo-Spieler der Black Bottom Skiffle Group. Spyros, der Grieche mit der gewaltigen Stimme und der kleine Chivo aus Ecuador bilden die Streikposten. Insgeheim versucht die Geschäftsleitung fieberhaft, andere Musiker zu engagieren, wie z.B. die bolivianische Folkgruppe Virar Cochar. Als diese erscheint, begrüßt sie Chivo mit den Worten: „Viva la Revolucion.“ Auch sie erklären sich, nachdem sie die Zusammenhänge erfahren haben, sofort solidarisch. Die Bosse werden nervös. Sie merken, dass auch die auswärts engagierten aus Hamburg, Otto Walkes und seine Freunde Lothar und Holger Hobbit, nicht ankommen. (Der Preußen Volker hat die Hamburger Kollegen telefonisch informiert.) Die Sache spitzt sich zu, als ein Typ namens Arno (später bei „Golden Products“ schwer auf die Nase gefallen) zwei Gorillas, die im Zivilberuf Nuttenbeschützer sind, vor den Türeingang an der Einsteinstraße stellt. Um unnötige Gewalttaten zu vermeiden, räumen die Streikposten das Feld. Jetzt wird von der Geschäftsleitung ein Rechtsanwalt Bezold (Mitglied der bayerischen Regierungspartei) eingeschaltet. Dieser droht den Barden massiv mit Schadensersatzklagen. Einige Musikanten, wie z.B. der Smoky vom Balalaika-Ensemble „Tatschanka“, lassen sich dadurch ins Bockshorn jagen. Nach zehn Tagen bricht die ganze Sache zusammen. Dennoch zeitigte der Streik bald positive Folgen, mussten doch die Gagen zur Freude der Sangesbrüder teilweise verdoppelt bzw. denen der anderen Folklokale angepasst werden.

Und auch den anderen Sängerlokalen und damit den Barden geht es einigermaßen gut. Das Münchner Publikum kommt zuhauf. Die Liedermacher, allen voran Hanns Meilhamer, Christian Eckhard, Klaus Irmscher, Schwizer Preller vom KeKK, sprechen eine breitere Publikumsschicht an, als es bisher der Fall war. Die Kleinkunstbühnen können aus dem Vollen schöpfen. Die Qualität derselben steigert sich. Arthur Loibl und Fredl Fesl warten mit Pöhlmann-Liedern auf. Gottfried Schlögel macht deutsche Chansons, die Plenk-Brüder singen und spielen Wader-Lieder, besser als er selber. Karlheinz Spengler bringt noch Biermann und Ringelnatz, später macht er mit großem Erfolg eigene handlungsstarke Lieder, wie z.B. „Iwan der Schreckliche“. Neue Lokale werden eröffnet wie die Alte Burg, wo aber mehr Gruppen spielen, z.B. die Iren oder die Black Bottom. Im noch ganz jungen Spectacle spielen die etablierten Gruppen aus Holland und England. Ebenso etabliert ist auch das Publikum.

Der Fraunhofer hat eröffnet. Da dort ein Klavier zur allgemeinen Benutzung freigegeben ist und keinerlei mechanische oder elektronische Umweltverschmutzung stattfindet, d.h., nur Live-Musik geduldet ist, wird er bald zum Anziehungspunkt von Entertainern aller Schattierungen. Es spielen dort der Einsperrhaus-Harry und der Straub Herbert als Jazzer, oder zwei Südamerikaner spielen Chopin (Geige und Klavier), dazwischen treten Schwertschlucker oder sonstige lustige Gesellen auf. Nicht unerwähnt lassen darf man dabei den Stimmvirtuosen Friedhelm Steinhauer, ein dürrer narrischer Typ, der das Publikum mit seinen Stimmimitationen verflossener Künstler zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Besonders interessant wird es, wenn er im Alleingang die Wiener Sängerknaben bringt.

Sommeranfang 1974 brennt der Saal des Alten Hackerhauses in der Sendlingerstraße, wo das MUH stattfindet, vollständig aus. Verstärkeranlage, Beleuchtung, Musikinstrumente usw. sind hin. Besonders schade war es um den schönen Ohrensessel, in dem mancher Musiker seinen Bierkonsum ausrauchen ließ. Die MUH-Leute, der Bachmaier Pepe und der Uwe sind trotzdem nicht besonders unglücklich darüber, denn sie nehmen an, dass die Schäden von der Versicherung des dortigen Hackerhaus-Wirtes ersetzt werden. Eine trügerische Hoffnung, wie sich später herausstellt. Außerdem wäre man im Sommer durch den saisonbedingten Besuchermangel sowieso tief in die roten Zahlen gekommen. Härter trifft es natürlich die Barden, denn sie haben jetzt einen Platz weniger, an dem sie spielen können. Aber es dauert nicht lange. Nach dem Oktoberfest ist die Wiedereröffnung im MUH, mit einer geliehenen Anlage. Die neue Bühne steht jetzt genau in der Mitte, nachdem sie im Gründungsjahr in der rechten Ecke, später in der linken Ecke ihr bierfeuchtes Dasein gefristet hat. Da es vom ersten Tag an im MUH voll ist, gibt es auch mehr Geld für ihre gewiss nicht kleinen Spesen und Auslagen. Es können bessere Instrumente angeschafft werden. Auch die Saiten brauchen nicht unbedingt ein halbes Jahr oder noch länger zu halten, sondern können öfters gewechselt werden. Von auswärts stoßen immer wieder neue Leute in die Münchner Szene. Der Würzburger Dietmar Einrich, ein Entertainer erster Klasse, der es besonders versteht, das Publikum an seinen Späßen zu beteiligen, indem er einige von ihnen für ein Sperrmüllorchester direkt auf die Bühne holt. Sein bayerisches Schlagzeug, das von besonderer Erotik ist, muss man einfach miterlebt haben. Dieter Beck, der einige Zeit verschwunden war, ist plötzlich da, mit einem starken engagierten Programm. Der „Müllmenschblues“, „Sexualrausch in China“, „Giesing, Giesing“ klingen nicht nur gut im Ohr, sondern treffen auch im Kern. Die bayrisch-sprachige Welle rollt im Song, KeKK und MUH, den wichtigsten Liedermacherplätzen in München. Willi Michl („Knapperer“) bringt mit fürchterlich rollenden Augen Wilderer-Balladen („’s werd de Zeit scho kemma. wo ma Zwiesprach nemma, Jager“) oder eigenes in Bluesart, oftmals zusammen mit dem Ragtime Dave, wie „I mecht so gern a Wuidpferdl sei“. Frederico Lopez, Begründer der Black Bottom Skiffle Group, tritt als Ein-Mann-Orchester auf und entfacht nicht nur mit „Room to moove“ Begeisterungsstürme.

Nicht nur studentisch-junges Publikum findet sich in den Hochburgen ein, sondern auch interessierte ältere Leute sind zu sehen. Bei genauem Hinschauen stellt man plötzlich fest, dass es oft ganze Familien sind, Opa und Oma nicht ausgenommen, die zumeist von den jüngeren hineingelotst worden sind. Viele Vorurteile werden dadurch abgebaut und es kommt sogar vor. dass sich selbst Fünfzigjährige auf die Bühne trauen, etwas bringen und Erfolg haben.

Wird fortgesetzt.


Blatt. Stadtzeitung für München 57 vom 14. November 1975, 15 f. und 60 vom 19. Dezember 1975, 14 f.

Überraschung

Jahr: 1973
Bereich: Kunst/Kultur

Referenzen