Materialien 1973

„Die bauen sich Popanze auf“

INTERVIEW
KONKRET sprach mit den Münchner SPD-Linken
Siegmar Geiselberger und Hans Bleibinhaus

KONKRET: Wir dürfen Sie als die beiden Oberspalter der Münchner SPD begrüßen …

Bleibinhaus: Da muss ich im Vogel-Jargon antworten: Das weise ich energisch zurück.

Geiselberger: Die Spaltung kann immer nur von denen ausgehen, die hinterher in der Minderheit sind. Die Linken haben in der Münchner SPD eine riesige Mehrheit. Aber es geht hier nicht um Spaltung, diese Gefahr ist nicht groß, sondern es geht um etwas anderes: Es gibt Genossen in der Partei, die sich nicht damit zufrieden geben können, dass die Mitglieder nach langer Diskussion einen Willen bilden und ihren Mandatträgern diesen Willen als Auftrag mitgeben, die sich gegen-
über der Partei nur so lange verpflichtet fühlen, wie die Genossen für sie die Flugblätter austragen und die Plakate kleben. Hinterher wollen sie mit der Partei nichts mehr zu tun haben. Zur Frage Zusammenarbeit mit Kommunisten: Das hat in der konkreten Rathausarbeit nie eine Rolle ge-
spielt, genauso wenig wie in der Münchner Partei. Die Vorwürfe von Essl und Diamant mussten von diesen selber zurückgenommen werden. Und die Gruppenbildung in der Fraktion fand nicht statt, wie die Rechten das schildern. Sondern es war einfach notwendig, sich zu unterhalten, wie in der Fraktion gearbeitet werden soll, weil unter Preißingers Leitung keine Fraktionsarbeit zustande gekommen ist. Denn Preißinger war in seiner Kompromisslosigkeit, in seiner Hartnäckigkeit und in seiner Sturheit einfach nicht in der Lage, zu einem Kompromiss beizutragen und vernünftige Arbeit zu organisieren.

KONKRET: Die Abgrenzung gegenüber den Kommunisten spielt in der Argumentation der Rechten eine Hauptrolle. Nun will Bürgermeister Kronawitter künftig mit der CSU zusammen-
arbeiten.

Bleibinhaus: Das ist ein Glaubwürdigkeitsproblem all derer, die eine solche Zusammenarbeit anstreben. Bisher haben sie immer in Fachbeschlüssen und in direkten Angriffen auf die CSU klargestellt, dass die CSU die Interessenwalterin des Kapitals ist. Die sollen doch zuerst mal mit ihrer eigenen Partei klar kommen.

Geiselberger: Das bleibt das Geheimnis des Oberbürgermeisters, wenn er auf dem Parteitag erklärt, er trete für die sozial Schwachen ein, wie er das zusammen mit der CSU machen will.

Bleibinhaus: Ein eklatantes Beispiel für das politische Umschwenken ist zum Beispiel Kronawitters Erklärung gegenüber Bürgern, die protestiert haben gegen die Ausweitung des Münchner Messege-
ländes in der Innenstadt. Die neueste Parole heißt: Da muss a Ruh sei, das schade Münchens Ruf als Messestadt. Das heißt, die Bürger mit ihren Sorgen haben gefälligst das Maul zu halten, weil die Messeinteressen – und damit die Wirtschaftsinteressen – viel höher zu bewerten sind.

KONKRET: Wo liegen die Ursachen des ganzen Konfliktes zwischen Kronawitter und den Linken?

Geiselberger: Es gibt keine vernünftige Strategie von Kronawitter oder Preißinger, sich mit der Partei zu vertragen. Man kann nach dem letzten Parteitag nur vermuten, dass sie ganz bewusst Schaden herbeireden wollen. Meine Vermutung: Der einzige, der daran Interesse haben kann, ist Jochen Vogel. Denn er ist Landesvorsitzender mit dem Versprechen geworden: Wenn ihr mich zum Vorsitzenden wählt, schaffen wir’s bei den nächsten Landtagswahlen. Jeder Realist in der Partei weiß, daß der enorme Stimmenvorsprung der CSU bei den Wahlen im nächsten Jahr noch nicht aufgeholt ist. Er hat den Mund zu voll genommen. Am bequemsten für ihn wäre es, wenn er dann einen Sündenbock hätte und sagen könnte: Weil die in München so sind, habe ich’s nicht geschafft. So hat er eigentlich immer versucht, von seinen Plänen abzulenken.

Bleibinhaus: Es ist ja auch bekannt, dass Vogel einen engen Kontakt zu Rathausleuten wie Kronawitter und Preißinger hält, während er auf der anderen Seite Gesprächsversuche mit Vorstandsmitgliedern der Münchner SPD aus angeblicher Zeitnot scheitern lässt. Wir haben keinen konkreten Beweis, aber das Ganze fügt sich nur sinnvoll zusammen, wenn man sich fragt, wer hat ein Interesse an diesem Streit …

KONKRET: …der immer an Personen aufgehängt wird. In Wirklichkeit geht es doch um sachliche Unterschiede.

Geiselberger: Es kommt eben darauf an, bestehende Machtverhältnisse zu ändern, und zwar mit Hilfe der Bevölkerung das zu schaffen, was für die Gesellschaft notwendig ist. Und da scheiden
sich dann die Geister. Wir sind nicht so illusionär zu glauben, wir könnten das durch Revolution machen. Aber es kommt dann darauf an, was für Reformen man macht. Man kann nicht mit kleinen Pflästerchen diese Gesellschaft sanieren. Man kann ein Krebsgeschwür nicht dadurch heilen, dass man ein Pflaster draufklebt. Die rechte Mehrheit im Stadtrat erkennt das nicht: Sie weiß nicht, ob es vorwärts, rückwärts oder sonstwo hingehen soll. Die bauen sich nur Popanze auf, um in Frieden mit sich selbst leben zu können. Wir greifen die Aktivierung der Bevölkerung – die zum Beispiel durch die Bürgerinitiativen erreicht wurde – auf. Und da kommt es natürlich zu Konflikten.


konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 29 vom 12. Juli 1973, 8 f.

Überraschung

Jahr: 1973
Bereich: SPD

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