Materialien 1973

Aktion fliegende Untertassen

HOCHSCHULEN

In München prügelten sich Professoren mit zwanzig Studenten.
Ehrengast war Kultusminister Maier.

Kurt Sontheimer, Professor der Politologie, gab KONKRET den Schlachtbericht: „Die Professoren riefen: ,Wir müssen Beute machen’ und schlugen auf die Studenten ein. Andere warfen mit Kaffee-
tassen. Ich sah zwei meiner Kollegen, die einen Studenten am Boden festhielten. Ein dritter schlug mit dem Stock auf ihn ein. Den haben die richtig traktiert.“

Was Sontheimer ironisch als „erstaunlichen Heroismus“ deutscher Professoren wertete, war für die „Süddeutsche Zeitung“ ein „kriminelles Unrecht“ nach „Gangsterart“ – verübt von Studenten. Auch die „Abendzeitung“ schrieb von „kriminellem Verhalten“, während das CSU-nahe Boulevardblatt „tz“ den komischen Aspekt für die neun Zentimeter hohe Schlagzeile wählte: „Prügelei in der Uni: Die Professoren siegen!“

Angefangen hatten jedenfalls die Professoren: Als der CDU-Studentenbund RCDS im Konvent der Münchener Universität die Mehrheit an sozialistische Gruppen verloren hatte, beschlossen die Professoren der Staatswirtschaftlichen Fakultät (StaWi-Fak), künftig statt vier nur noch zwei ge-
wählte Studentenvertreter zu den Fakultätssitzungen zuzulassen und zwei weitere selbst „einzula-
den“. Prinzipiell hätten alle vier Studenten als Gäste der Professoren zu gelten.

Am Mittwoch letzter Woche flog das Gastmahl auf. Zu der Fakultätssitzung, an der auch CSU-Kultusminister Maier teilnahm, erschienen zwei von den StaWiFak-Studenten gewählte Rotzel-
listen, die den Platz der beiden RCDS-Gäste beanspruchten. Die Professoren drohten den Roten mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs.

Da gingen die beiden zu der gerade tagenden Studentenvollversammlung und schilderten den Vorfall. Der AStA riet von Aktionen ab. Dennoch rückten rund sechzig Studenten Richtung StaWi-Fak aus und drückten mit Gewalt die Tür des Sitzungssaals ein.

StaWiFak-Dekan Zorn: „Da hat uns richtig die Wut gepackt. Wir haben sie einfach rausgehauen.“ Mit Fäusten, Tischbeinen und Kaffeetassen setzten die Gelehrten ihr Hausrecht durch.

Das böse Ende kam erst tags darauf. Minister Maier forderte vor dem bayerischen Landtag die Aufstellung einer Universitätspolizei. AStA München: „Nach amerikanischern Vorbild. Vier Tote in Kent, zwei in Baton Rouge.“ Und Münchens Rektor Nikolaus Lobkowicz, der in der Studenten-
schaft allenthalben „potentielle Kriminalität“ am Werk sieht, hält Maiers Idee für „eine der denk-
baren Alternativen“.

Weniger reaktionäre Kollegen, wie der Präsident der Westdeutschen Rektoren-Konferenz, Gerd Röllecke, halten das für „Unsinn“. Professor Walter Jens, Vorstandsmitglied des Marburger Bun-
des Demokratischer Wissenschaftler, zu KONKRET: „Wenn Arbeiter oder Studenten von ihrem Recht der Mitbestimmung ausgeschlossen werden, dann ist das ein gewaltloser Akt. Wirft jedoch einer von ihnen eine Fensterscheibe ein, dann ruft man ,Gewalt, Gewalt’ und schreit nach der Polizei.“

Das Hochschulgesetz von Hans Maier trägt für Jens „den Charakter eines Gewaltaktes gegen die Studenten“. Jens: „Ich bin gegen jede Gewalt. Doch die sogenannte Gewalt der Studenten ist nur die Gewalt Nummer zwei. Herr Maier wendet die Gewalt Nummer eins vom Schreibtisch aus an – voll mit der Absicht, Gewalt herbeizuzaubern, die dann staatliche Gewalt rechtfertigt.“


konkret Monatszeitung für Politik und Kultur 5 vom 25. Januar 1973, 18.

Überraschung

Jahr: 1973
Bereich: StudentInnen

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