Materialien 1973

„Ein Penis halt“

SITTE
In München tobt ein Staatsanwalt gegen Pornos, Puffs und Pimmelchen.
Der Saubermann stoppte sogar Oswalt Kolle.

Münchens Nutten kennen ihn besser als den Vorsitzenden Willy, Hollywoods Filmbosse halten ihn für den „obersten Sittenwächter germanischer Moral“ und Oswalt Kolle sorgt sich um sein „Pimmelchen“: Münchens Erster Staatsanwalt Günter Bechert, seit kurzem im Amt, ist ein sauberer Mensch.

Ergebnisse seiner halbjährigen Dash-Aktion: Verbot von drei Sex-Filmen, Schließung von 15 Massagesalons, 120.000 Mark Geldstrafe für einen Pornohändler und Wohlwollen im bayerischen Justizministerium. Und während Marlon Brando mit Maria Schneider in rund 300 Lichtspieltheatern von 60 bundesdeutschen Städten den „Letzten Tango von Paris“ tanzte, hatten die US-Filmbosse Angst, den Bertolucci-Streifen in München auszuliefern. Erst als der Münchener Filmtheater-Inhaber Willy Velten gerichtliche Schritte androhte, falls der Tango nicht ausgeliefert werden sollte, gab der US-Filmverleih United Artists den Film frei – allerdings mit einem anderen Titel: Der Film heißt nun allein in München „Heinrich der VIII“.

Wie lange Brando tanzt, ist noch ungewiss. Denn der „Sexmuffel der Nation“ (Anwalt Rolf Bossi über Bechert) schlug in den letzten Wochen kräftig zu: Er setzte ein gerichtliches Verbot des „Krankenschwestern-Reports“ durch, ließ „Oh, Calcutta“ konfiszieren, untersagte die Aufführung der „Pfarrhaus-Komödie“ und stoppte Oswalt Kolles „Liebe als Gesellschaftsspiel“, das vorher in rund drei Dutzend Städten der Bundesrepublik ohne Beanstandung aufgeführt wurde.

Kolle macht sich seitdem ernste Sorgen um den Moraltänzer: „Herrn Becherts Sexualgewohnheiten interessieren mich außerordentlich. Besonders aber, warum er gerade diesen Film nicht haben will. Denn das wissen wir seit Freud, dass Menschen immer das verbieten wollen, wovor sie Angst haben.“

Stengel des Anstoßes im Kolle-Werk laut Kolle: „Ein Penis halt. Denn das ist ja ganz was Ungeheures, das Größte, was es gibt. Überall dürfen sie Mädchen zeigen, mit allem Drum und Dran, eine Frau darf sich zur Schau stellen, Männer aber nicht.“

Staatsanwalt Bechert raucht nicht, trinkt nicht, und was er vielleicht noch nicht macht, weiß Kolle: „In den Staatsanwaltschaften sitzen eben Männer. Und die haben Angst, dass man ihr Pimmelchen zeigen will.“ Kolle progressiv: „Ich sehe das alles im größeren Zusammenhang. Es geht hier um die ganze Diskussion über die Abtreibung, über die Pornographie, über die Schulreform, wo progressive Lehrer ’rausgeschmissen werden, wenn sie versuchen, neue, emanzipatorische Sexualaufklärung zu betreiben.“

Darum geht es Herrn Wilhelm Rauchalles, Pressesprecher des CSU-Justizministeriums Bayerns, nun wirklich nicht: „Wir betrachten Herrn Becherts Aktivitäten mit einem gewissen Wohlwollen. Aber er handelt keineswegs auf ministerielle Weisung. Denn wir wollen doch nicht mit der Bundesregierung um die geplante Streichung des Porno-Paragraphen ein Wettrennen liefern.“

Statt dessen liefert Bechert ein Wettrennen mit Münchens Zuhältern. Nach dem Motto „Pro Woche einen“ schloss Bechert in den letzten Monaten fünfzehn Münchner Edel-Puffs, die in den Anzeigenspalten als „Massagesalons“ erschienen (Rubrik: „Gesundheitspflege“). Je mehr er zumacht, um so mehr schießen wieder aus dem Boden. Münchens Polizei will nun aber hart durchgreifen. Polizeisprecher Reinhard Rupprecht: „Da muss endlich aufgeräumt werden.“


konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 17 vom 19. April 1973, 14.

Überraschung

Jahr: 1973
Bereich: Zensur

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