Materialien 1974
Hintergründe im Fall Fankhänel - ein Skandal!
Der verworrene Weg einer Beschwerdeführerin durch die Justiz endet mit einer Verhandlung gegen sie (langsam lesen!)
Am 16. März ging nun glücklich ein drei Monate währendes Spektakel zu Ende, nach StPO auch Hauptverhandlung genannt. Stellt euch vor, der Münchner Polizeiführung, genauer den Herrn Schreiber, Vizepräsident Wolf und Kriminaldirektor Schmidt ist übel nachgeredet worden, und damit nicht genug, beleidigt fühlt sich auch wer. Was ist geschehen?
Wir brauchen uns bloß mal den Strafbefehlantrag anschauen, der diesem langen Prozess voran-
ging, und eine Nachrede übler als die andere zieht vor unsrem Auge vorbei. Ausdrücke wie fol-
gende fielen in Schreiben an Dr. Wolf: „Ihre polizeistaatlichen Methoden; obrigkeitsstaatliche Racheakte;“ an Präsident Schreiber: „grassierende Angsthysterie und Lynchmentalität unter den Ordnungshütern; völlige Straffreiheit beamteter Gewalttäter durch eine korrupte Staatsanwalt-
schaft …“ (Kleiner Auszug)
WER WAR DAS? fragen wir uns zurecht. Das BLATT kann’s nicht gewesen sein, sonst wär’s schon längst Pleite. War’s vielleicht ein paranoider Atomkraftgegner oder gar ein terroristischer Anarcho-Chaot? Nichts dergleichen. Es ist die ehemalige Schöffin am AG München und SPDlerin, Mitglied des 12. Bezirksausschusses Heidewig Fankhänel, die sich erdreistet. Die ihr Schöffenamt im Sep-
tember 1974 aus Gewissensgründen niederlegte, weil ihr schien, als ginge es in den Beratungszim-
mern des Münchner Amtsgerichtes ganz und gar nicht mit rechten Dingen zu. Und weil sie sich nicht länger als „nützliche Idiotin“ missbrauchen lassen wollte. Dies teilte sie brieflich auch dem Präsidenten des AG München mit, der in zwei juristischen Fachzeitschriften abgedruckt wurde und einen Essener Richter am Landessozialgericht dazu brachte, dem Amtsgerichtspräsidenten einen bösen Brief zu schreiben. Nach langem Hin und Her wurde ihr zwar im April 1974 von jenem Prä-
sidenten ein Strafverfahren wegen Richterbeleidigung angedroht, (eine in Justizkreisen völlig nor-
male Reaktion auf Kritik), was aber 14 Tage später im Briefkasten landete, war wohl ein Strafbe-
fehlantrag, nämlich der oben in Auszügen zitierte, aber eine völlig andre Geschichte. Und die geht so:
Die erste Beschwerde
Am 9. April 1975 äußert sich KD Schmidt zur Niederschießung eines Betrunkenen durch Münchner Polizisten, die sich durch einen Löffel bedroht fühlten, in der Abendzeitung wie folgt: „Unsere Be-
amten sind vorsichtiger geworden und deshalb mit der Waffe schneller bei der Hand. Man darf’s ihnen nicht übel nehmen.“
Am gleichen Tag richtet Frau Fankhänel eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Schmidt an Poli-
zeipräsident Schreiber. Darin heißt es:
„Solange polizeiliche Führungskräfte psychotische Reaktionen ihrer Mitarbeiter ungerügt als Aus-
druck besonderer Vorsicht verschleiern und dem kritischen Bürger auch noch vorschreiben dürfen, dass er der Polizei im Amt begangene Verbrechen gefälligst nicht übel zu nehmen habe, können paranoide oder schlicht überforderte Einzelgänger und Revolverhelden unter Ihren Mitarbeitern offenbar in vollem Einverständnis mit ihren Vorgesetzten die offiziell abgeschaffte Todesstrafe de facto wieder einführen.“
Auf diese Beschwerde antwortete Vizepräsident Wolf, er begnügt sich allerdings damit, einen Strafantrag wegen Beleidigung anzudrohen. Doch das hätte er lieber nicht tun sollen, bekommt er doch glatt einen Antwortbrief, von dem er sich schon wieder beleidigt oder übel nachgeredet fühlt. Fankhänel: „Herr Polizeipräsident, … ich zweifle keinen Augenblick daran, dass Sie sich bei der Abfassung Ihres gegen meine kleine Person angekündigten Strafantrages des größten kriminali-
stischen Scharfsinns und vor allem Strafbedürfnisses befleißigen werden … Obrigkeitsstaatlich-autoritäre Naturen versuchen eben nicht, erwiesene Mißstände zu beseitigen, sondern die unschul-
digen Beschwerdeführer … Ihren diversen Strafanträgen und sonstigen obrigkeitsstaatlichen Ra-
cheakten sehe ich mit der ihnen gebührenden Verachtung entgegen.“
Die Strafanzeige gegen die Polizeiführung
Und damit immer noch nicht genug der Aufsässigkeit. Am 1. Mai 1975 stellt Frau Fankhänel mit Schreiben an den Generalstaatsanwalt Strafanzeige gegen die Münchner Polizeiführung, weil sie offenbar für die Gewalttaten Ihrer Beamten verantwortlich sei.
Das Verfahren wird nach zwei bis drei Monaten ohne erkennbare Ermittlungen eingestellt, die An-
zeige selbst jedoch ebenfalls Gegenstand des Strafverfahrens gegen Frau Fankhänel. Denn hier spricht sie von der „drohenden Wiedereinführung eines Gestapo-Bildes vom deutschen Polizeibe-
amten“. Zwei Jahre später, im Januar 1977, kann man einem AZ-Interview entnehmen, dass dem deutschen Botschafter in Kairo, H.G. Stelzer, der bei einem Besuch in München völlig grundlos von der Polizei aus dem Bett geholt wurde, ganz spontan die Verhaftung seiner Eltern durch die Gesta-
po in den Sinn kam. Naja, bei ihm hat sich Herr Schreiber gleich darauf schriftlich entschuldigt.
Und schließlich taucht auch noch der Erste Staatsanwalt Hofmeier unter den von Frau Fankhänel Beleidigten und seelisch Gequälten auf. Er, der sich nicht nur durch das Belauschen mindestens eines Anwaltsgesprächs auf dem Flur des Amtsgerichts profilierte, sondern auch durch die Be-
schlagnahme des 79. BLATTS wegen Jugendgefährdung. Hofmeier meint gehört zu haben, dass Frau Fankhänel vor dem Sitzungssaal ihn und einen Richter Sauter „Beamtenpack“ genannt habe. Vorausgegangen war ein Antrag Hofmeiers auf polizeiliche Zwangsvorführung eines nachgewiese-
nermaßen schwerkranken Mitangeklagten.
Die Hauptverhandlung
Wer bis hierher auf den Irrwegen deutschen Justizschriftwechsels folgen konnte, sieht sofort: Das geht zu weit, das kann nicht geduldet werden. Also sprach wohl auch Richter Schroetter und eröff-
nete im Januar dieses Jahres die Hauptverhandlung. In ihrer Erklärung zur Sache sagt die nun-
mehr zur Angeklagten umfunktionierten Antragstellerin, warum sie Dienstaufsichtsbeschwerde und Strafanzeige gegen die Größen der Münchner Polizei überhaupt zu stellen wagte:
„Ich befinde mich in ausgezeichneter Gesellschaft, wenn ich offen zugebe: Ich habe Angst vor den-
jenigen unter Münchens Ordnungshütern, die in Uniform oder Zivil meine Mitmenschen Jendrian, Wiesneth und viele andere mehr vom Leben zum Tod befördert haben.
Ich habe Angst vor polizeilichen Führungsoffizieren, die trotz beängstigender Häufung solcher Vorfälle in den letzten Jahren nicht alles menschenmögliche tun und getan haben, um leichtfertige Schusswaffeneinsätze seitens ihrer Untergebenen zu verhindern, sondern die … sogar einen … als jähzornig und minderwertigkeitsgefühlbeladen bekannten Beamten mit einer Dienstwaffe ausrü-
sten ließen, die dieser in seiner Freizeit aus rein privaten Gründen zur (ungestraften) Niederschie-
ßung von vier Menschen missbrauchte …
Ich habe Angst vor einer Staatsanwaltschaft, die es Todesschützen wie den im Ermittlungsverfah-
ren Jendrian kafkaesk als „Schütze 1, Schütze 2“ getarnten Geheimpolizisten ermöglicht, für die zu Recht beunruhigte Öffentlichkeit anonym zu bleiben, und die es den so privilegierten Tätern er-
spart, ihre angebliche Notwehrhandlung in einem öffentlichen Gerichtsverfahren darzulegen.“
In der elf Sitzungstage dauernden Verhandlung versucht Frau Fankhänel nun, den Nachweis zu führen dafür, dass die beanstandeten Ausdrücke keine üble Nachrede darstellen, weil sie der Wahrheit entsprechen. Obwohl sie eidesstattliche Erklärungen von Polizeiopfern an sicherer Stelle hinterlegt hat, beschränkt sie sich dabei zunächst auf das, was die Münchner Presse frei Haus lie-
fert. So hat sie z.B. vor, die „polizeistaatlichen Methoden“ zu erläutern mit einer Äußerung des Po-
lizeipräsidenten Schreiber im Münchner Presseclub (laut Merkur vom 29. März 1975):
„Es geht nicht an, dass die Polizei sich in einer Stadt wegen gefährlicher Terroristenanschläge der-
rennt, während die Bundeswehrler in ihren Kasernen sitzen und Karten spielen.“ Ein Verfassungs-
feind an der Spitze der Münchner Polizei??
Als Beispiel für die „Lynchmentalität“ bietet sich der Münchner Polizist Georg Schnabl geradezu an, der vier Menschen wegen Ruhestörung zum Bauchschuss verurteilt und das Urteil der Einfach-
heit halber gleich vollstreckt hat. Und dafür durch alle Instanzen bis zum Bundesgerichtshof als letzter Instanz freigesprochen wurde.
Doch noch bevor sie Gelegenheit bekommt, die betreffenden angekündigten Beweisanträge zu stellen, sind die angeklagten üblen Nachreden dem Richter plötzlich zu „leichtgewichtig“ und er stellt das Verfahren dagegen ein. Übrig bleibt die Beleidigung der Herren Hofmeier und Sauter, sie allerdings kostet 600 Mark.
Die Sache mit den Briefkastenkontrollen
Das wär’s eigentlich fürs erste gewesen, aber wir finden noch eine besondere Würze in diesem Justizsud. Es handelt sich dabei um Frau Fankhänels Briefkasten, laut Auskunft des Polizeipräsi-
dialbüros auf der Vorderseite mit neun ca. 25 mm hohen und 5 mm breiten Sehschlitzen versehen. Und wieder fragen wir uns zu recht: Wie kommt die Polizei dazu, die Sehschlitze von Frau Fankhä-
nels Briefkasten abzumessen? Wahrscheinlich sollte mit solcher Pedanterie eine frühere Schlampe-
rei ausgeglichen werden. Da gelangte nämlich ein Aktenvermerk des Polizeipräsidiums ganz offen-
bar in die falsche Akte, nämlich in die Gerichtsakten, die auch die Verteidigung einsehen kann. Aus diesem Vermerk:
„… wurde der Fankhänel eine … Vorladung im Briefkasten hinterlassen. Diese Vorladung zeigte bis heute keine Reaktion. Wie festgestellt wurde, ist der Briefkasten zwischenzeitlich geleert worden… Bei gleichartigen Vorfällen verzichtet sie bisher auf eine polizeiliche Äußerung … / gez. Huber / 7160“
Dazu Frau Fankhänel in einem Schreiben an Kriminaldirektor Schmid: „Es ist zumindest peinlich, wenn sich Ihr Herr Huber/7I60 bei der Münchner Staatsanwaltschaft bitter darüber beklagt, dass Ihr an mich losgelassenes Schriftstück keine Reaktionen gezeigt habe. Schriftstücke der derzeitigen Münchner Polizeiführung mögen ja von einem besonderen Geist … beseelt sein, was sie allerdings selbst bei wundergläubigster Auslegung der Wahrscheinlichkeitsquote kaum zu eigenen Reaktio-
nen befähigen sprich zum Leben er- wecken dürfte. Auch die Klage des Herrn Huber/7160 ich habe bei gleichartigen Vorfällen, nämlich Briefkastenkontrollen, auf ‚polizeiliche Äußerung’ verzichtet, ist in doppelter Hinsicht absurd. Erstens kann ich als Geschädigte mich zu heimlich begangenen Delikten Ihrer Behörde erst dann (wenn auch nicht ‚polizeilich’) äußern, wenn sie mir bekannt ge-
worden sind … zweitens bin ich als Privatperson weder gewillt noch überhaupt befugt, mich ‚poli-
zeilich zu äußern’. Es ist mir … völlig schleierhaft, weshalb mich Ihr Herr Huber/7160 auch noch dafür bei der StA denunziert, dass ich keine Amtsanmaßung begangen … habe. Sollten sich auch andere Ermittlungsbemühungen Ihrer Behörden auf diesem Niveau abspielen, grenzt es an Wun-
der, daß Sie überhaupt noch kriminalistische Ergebnisse erzielen …“
Als nun im Februar das Briefkastenschloss mal wieder klemmte, machte Frau Fankhänel es kurz und schickte dem „sehr geehrten Herrn Polizeipräsidenten, lieber Genosse Dr. Schreiber“ ihren Briefkastenschlüssel. Der kam jedoch in der Originalverpackung unbenutzt zurück, mit einem denkwürdigen Begleitschreiben versehen. Neben der Information über das Format der Sehschlitze (die übrigens mit Sichtblenden versehen sind) stellt Polizeihauptkommissar Mühldorfer endlich klipp und klar fest: „Das Klemmen Ihres Briefkastenschlosses lässt sich nicht auf Einwirkungen der Münchner Polizei zurückführen … Für eine Feststellung, ob sich Post im Briefkasten befindet oder nicht, genügt es deshalb, einen Blick durch diese Sehschlitze zu werfen … Im übrigen wünscht Herr Polizeipräsident Dr. Schreiber von Ihnen nicht als Genosse angesprochen zu werden. Seine Mitgliedschaft in der SPD hat mit seinen dienstlichen Veranlassungen und Entscheidungen, schon gar im bezug auf Ihre Person, nichts zu tun.“
Inzwischen hat auch Generalstaatsanwalt van Ginkel auf die Dienstaufsichtsbeschwerde reagiert und zwar abschlägig, weil der Briefkasten einen Sehschlitz habe. Wer sich da wohl verzählt hat?
Der Vollständigkeit halber wäre noch zu sagen, dass der Anwalt Fankhänels RA Hans Moller, den Bayrischen Obersten Rechnungshof gebeten hat, zu überprüfen, inwieweit der ständig beklagte Personalmangel bei der Münchner Polizei mit dem Aufwand zu vereinbaren ist; der getrieben werden muss, um die Ehre der leitenden Beamten zu schützen.
Blatt. Stadtzeitung für München 92 vom 22. April 1977, 10 ff.