Flusslandschaft 1959

Gewerkschaften/Arbeitswelt

Sigi Sommer bezeichnet das Fabriktor als „Eisernen Vorhang, der die Freiheit von der Arbeit trennt“.1

Am 12. April 1959 sprechen vor etwa tausend Jugendlichen Erich Kästner und der Bezirksjugend-
sekretär der IG Metall in Bayern, Fritz Angermeier, der auf die häufig geäußerte Behauptung ein-
geht, alle säßen schließlich in einem Boot: „Aber es kommt darauf an, wer die Kohlen trimmt und wer als Kapitän auf der Brücke steht. Sorgen wir dafür, dass wir der Kapitän werden.“

Es regnet Schusterbuben und der DGB sagt die Kundgebung zum Ersten Mai kurzfristig ab. Bei manchen ist die Empörung groß: „Jetzt samma scho so weit, dass koa Politik nimma gibt, wanns regnt. Seids Ihr denn ganz deppert worn!“ Ein aufmüpfiger Junggenosse meint, „Mia kaffa, wem-
ma mim Zug zur Revolution fahrn, auch a Bahnsteigkartn. Und wenns schifft, fällt die Revolution sowieso aus.“ Unentwegte befinden sich trotzdem auf dem Königsplatz. Vielleicht hält doch noch jemand eine Rede!!2


„Arbeit für alle: ‘Auch wenn man sechzig ist, braucht man nicht unbedingt zu verzweifeln. Ingenieur Schmidt hat vorige Woche im Parkhotel die Toiletten in Unterpacht bekommen.’“3

Beim 5. Bundeskongress des DGB, der vom 7. bis 12. September in Stuttgart stattfindet, fordert der DGB-Kreisausschuss Rosenheim einen „verstärkten Kampf“ gegen den „Atomtod“: „Nicht nur die in Regierungen, Parlamenten und Militärkreisen auf Machtpolitik ausgerichteten Kräfte vertreten die atomare Aufrüstung, auch Kreise der Wirtschaft und Banken bekunden vermehrt, wie zahlrei-
che Verlautbarungen in der letzten Zeit beweisen, ein auffallendes Interesse, an der allgemeinen wie atomaren Aufrüstung teilzuhaben. Die zutage tretende Tendenz, beim einträglichen Rüstungs-
geschäft mitzutun, wird besonders dann gefährlich, wenn sich diese Kräfte über eine fortschreiten-
de Machtkonzentration der Kontrolle des Parlaments und der Öffentlichkeit zu entziehen vermö-
gen. Die zum Teil bereits bestehenden und noch zu bildenden Aktionskomitees bedürfen dringend des tragenden Massenwillens der arbeitenden Bevölkerung und vorab des der Gewerkschaftler.“4 — In der „Kampf-dem-Atomtod-Bewegung“ stehen die Gewerkschaften bis jetzt an der Spitze. Nachdem in der Bewegung aber ein politischer Generalstreik erwogen wird, verlässt der DGB 1959 die Protestbewegung und läutet ihr Ende ein.

Immer wieder wird von der „kommunistischen Unterwanderung“ der Gewerkschaften gesprochen. Zur Zeit zählt die Gewerkschaftsjugend bundesweit 780.000 Mitglieder. „Als radikalste Strömung innerhalb der Gewerkschaftsjugend kann man wohl die Gruppe um den Jugendsekretär des DGB-Landesbezirks Bayern, Xaver Senft, bezeichnen.“5

(zuletzt geändert am 25.5.2020)


1 Siehe „Fabrikneuer Alltag“ von Siegfried Sommer.

2 Siehe die Fotos vom „ersten mai“ von Alfred Tichawski.

3 Zeichnung: Rocco im Simplicissimus 21 vom 23. Mai 1959, 334.

4 Zit. in: Verschwörung gegen die Freiheit. Die kommunistische Untergrundarbeit in der Bundesrepublik. Hg. von der Münchner Arbeitsgruppe „Kommunistische Infiltration und Machtkampftechnik“ im Komitee „Rettet die Freiheit“ [unter Mitarbeit von Hans Hartl], München (Frühjahr 1960), 73.

5 A.a.O., 168.

Überraschung

Jahr: 1959
Bereich: Gewerkschaften/Arbeitswelt

Schlagwörter