Materialien 1975

Bayern Rock

Ich möchte nicht generell sagen, dass die gesamte Popmusik an hochgradiger Verkalkung leidet, die die meisten Musikgruppen samt ihren meist kommerziell ausgerichteten Produktionen bereits zu Lebzeiten zu steinernen Monumenten ihrer selbst erstarren ließ.

Jedenfalls gibts seit Jahren nichts wesentlich neues mehr für unsere Ohren und Gemüter.

Einmal erworbenes wird ritualisiert, vielleicht technisch ausgefeilt, glattgehobelt in den Studios und unter gewaltigem Jahrmarktsgeschrei unter die Leute verhökert von ganzen Heerscharen von marketing-Spezialisten, Disc-Jockeys und Industriekaufleuten. Musik als ureigenster Ausdruck der Leute, die sie machen, um sie zu gebrauchen für ihre und ihrer Hörer Situation, für die Veränderungen des täglichen Lebens, wie auch immer sie aussehen mögen – ist zum Teufel – im popigen „Metier“.

Sicher – da krebsen unzählige von Bands oder Grüppchen im bavarian-pop-country umher, versuchen so schlecht und recht ihre großen englisch-amerikanischen Idole zu kopieren in Sprache, Aussehen, Geräusch und Gehabe. Was solls? – ’s bleibt doch mehr oder weniger dünner Ersatz.

Augenfällig die allemal englischen Texte jener Gruppen:

Sinnig oder unsinnig: das Groß der Hörerschaft bekommt ihren Inhalt ja doch nicht mit, hört also Rock, Soul oder Blues oder sonstwas mit Phantom-Texten, so toll sie vielleicht auch manchmal sein mögen. Transportmittel von Mitteilungen bleibt einzig und allein die Musik.

Beispiel: туре на русском язьіке, на татарс тариат – национапьно-купьтур. Mir kommts hier auf die emotional wirksame Gestaltung der BLATT-Seite an – nicht auf den Inhalt. Habt Ihr das verstanden?

Hier in München gibts nun seit einiger Zeit ein paar Musikgruppen, die sich wohl ähnliches überlegt haben müssen: Bands, die bayern-rock machen: Sparifankal, Wastl-Musik, Rembremerdeng und Cyankali. Was bayern-rock ist, wie’s dazu kam, was die Gruppen damit bezwecken wollen, versuchen wir hier zu schildern:

DIE SPARIFANKAL

„Sparifankal“ ist bayrisch und bedeutet so viel wie Teufel, Beelzebub, Gottseibeiuns … oder sowas ähnliches.

Seit ungefähr drei Jahren treiben die „Sparis“ durch das Musik- und Gruppenleben von München. Beteiligen sich in irgendeiner Weise an fast allen Veranstaltungen, die im weitesten Sinne alternativ zu den üblichen Gesellschaftsereignissen stehen, ob’s nun ein Wohngemeinschaftsfest, Landfest, Open-air-konzert ist eine Veranstaltung zum Sammeln von Geldern für Vietnam oder nordamerikanische Indianer … oder oder oder …

mia gem ums farecka ned auf
mia macha fui und koana kumd uns drauf
mia gem ums farecka koa rua
und du kearst eingli aa scho dazua
ge schwing de hera
na samma oana mera
aloans is ois fui schwera
midnanda bagg mas dant …

Auf diese Art und Weise sprechen und singen sie ihren meist jugendlichen Landsleuten ins Gemüt.

Die Musik erzeugen sie vermittels eines reichhaltigen Instrumentariums, bei dem kein Musikgerät nicht erlaubt ist. Auf die fachgerechte Beherrschung des Instruments kommts nicht an. Im Gegenteil: nicht selten werden beliebige Instrumente in das musikalische Spiel der Gruppe spontan miteinbezogen, die gerade „vor ort“ aufgetrieben werden.

Hauptsache ist Kommunikation. Zweitrangig, auf welche Weise, mit welchen Mitteln sie entstehen.

Die Sparifankal „bieten nicht dar“, sie „spielen“ auch nicht ihre Musik: sie RÜBELN. Was das sei, ist schwer zu erklären: eben die Mischung aus gelernter Musik, aus Improvisation, aus spontan eingebrachten Texten, bei der jeder mitmachen, mitgestalten kann und soll – Musiker ebenso wie das weiland „Publikum“.

Die Sparifankal allein als Musikgruppe darzustellen, ist zuwenig. Durch ihre kollektive Lebensweise, durch ihre Kontakt- und Informationsarbeit zwischen vielen undogmatischen Einzelpersonen und Gruppen, sind sie mit bei der Sorte von Leuten, die wie viele von uns Interesse an der Veränderung versteinerter und verfahrener Verhältnisse unserer Gesellschaft haben, die versuchen, gemeinsam mit vielen Veränderung zu praktizieren – und nicht als bloße Idee im Kopf für sich zu behalten.

REMBREMERDENG

Gespräch mit der gesamten Musikgruppe

(Anbei: die Fragen unseres rasenden Reporters haben wir weggelassen. Erstens, weil das Platz spart, zweitens, weil wir bescheiden sind und drittens, weil sich die Fragen sowieso aus den Antworten verstehen, oder?)

…? – Fünfe samma.
…? – O’gfanga? Dreiasiebazg. – Zwoa. De andan san späda dazua keema.
…? – W ‘rrum ollawei ausländisch? Englisch, des hamma ned z’ambracht, do ham ma uns denkt, dass ma an boarischn Rog änd Roi aa macha kena.
…? – Ja freili, an Kanntre-Bluus mach ma aa; und an Baachdonz aa (Anm. der Redaktion: = Bauchtanz) – wenns sei muas; und da Kare duad jodln.
…? – Mach ma hoid imma wida an rrichdigna Schmarrn om Stäidsch (Anm. d. Redaktion: = stage (engl. Bühne)).
…? – Und da Bassisd is imma bsuffa – schreib des nei in d’ Zeidung – dass as amoi glabpt (verm. daß er es einmal glaubt).
…? – I bi nia bsuffa! Ganz soitna (selten), kimmt scho amoi vor. Hoid scho a bissl haiffe (= häufig) – ww’rumm eintle (eigentlich) need, ha ?
…? – Ja mei … d’ Schdick wer’n hoid imma andascht, ois ma uns denga. Do hamma a (haben wir ein) Liiebesliied … des hoaßt: „Schleich di!“ (Schleich dich) un’ as „Leis-Schdick“ (Läusestück), des is a Bollitsong auf’n Khuitusminista Maier. Und na hamma nu dös Mundgeruchs-Schdick. Schreib abba nei in dei BLADL (= BLATT), dass ma uns scho wasch’n vor dem, dass ma aufdrädna dern vor am Bublikum.
…? – Mia woiin hoid de ganz normaln Leid osprecha. Do woi’n ma d’ Musi liawa ned so kompleziad macha.
…! – Jo, bittschee! Servas!

Nachtrag: Der Redaktion wars leider nur begrenzt möglich, den wirklich schweren Dialekt der rembremerdeng Musiker ins Hochdeutsche zu übertragen. Wer kann uns dabei nachträglich noch helfen?

Dieter Heck von den CYANKALI

Zuerst hießen wir „peter jacobi und blues and ballades“. Frühjahr letzten Jahres machten wir ein Lied, das hieß „cyankali-schorsch“. ’s ging um Umweltverschmutzung. Danach nannten wir uns gleich „cyankali“. Nach und nach wurden wir immerweniger, weil die meisten von ursprünglich fünf Musikern einen festen Beruf hatten und es einfach nicht mehr schafften, nebenher noch pausenlos auf irgendwelchen Veranstaltungen zu spielen. Im Augenblick bin ich der einzige übriggebliebene von der alten Mannschaft. ’s sieht aber so aus, dass „cyankali“ diesen Herbst zumindest wieder zu dritt Musik macht.

Warum wir bayrisch singen? – Weil bayrisch erstens die Umgangssprache von uns Musikern ist – und weils die Leute, das Publikum halt viel besser verstehen. Außerdem ist bayrisch, überhaupt jeder Dialekt, viel lebendiger und melodiöser, als hochdeutsch zum Beispiel. Und Englisch verstehen die meisten sowieso nicht richtig. Das klingt vielleicht ganz schön. Was wir mit unseren Texten mitteilen wollen, könne wir aber damit nicht vermitteln. So wie wir in unseren Liedern sprechen, redet halt jeder, das versteht auch jeder – und die Themen, die wir bringen, auch. Da gehts um Altbausanierung. Also Wohnungsprobleme, um Chancengleichheit, Kino und so weiter … ein Lied zum Beispiel heißt:

buchhalters rache

heit oder gestern
da sah ich einen western
der war so ungeheuer
interessant
da hat der john wayn
am neger mit am bein
a westernschlachtermesser einigrannt.

und bluad is da g’flossn
und da wayne hod numoi geschoss’n
der arme Kerl war
lang scho mausetot
hey man! sprach john wayn
es mußte so sein.

I bin sheriff und und so iss mei method
und weg issa g’ritten
und es gab keinen dritten
die leiche lag so furchtbar allein
und – mei hab i g’lacht
und i’ hab ma gedacht
so ein hammer is des, da john wayn.

I bin aus’m Kino
und ois leppert mi o
denn i mag nimma Buchhalter sein
viel lieber brutal
und andrer leut qual,
so a sau wie da wayn
mog i sein.

… und von der „wastl-musik“ konnten wir im Augenblick nichts erfahren. Die machen im Augenblick eine „Denkpause“ und wollen erst nach dem Sommer wieder Musik machen.

Carlos S.


Blatt. Stadtzeitung für München 50 vom 18. Juli 1975, 6 f.

Überraschung

Jahr: 1975
Bereich: Kunst/Kultur

Referenzen