Materialien 1975
Emanzipation der Männer
Kongress der Humanistischen Union am 1. und 2. November in München
Bericht von Heide Hering
Der Tagungsausweis war eine gewöhnliche hölzerne Wäscheklammer mit dem Stempel drauf: der Mann gehört ins Haus. Einige Männer zuckten zusammen, sie vermissten ein versöhnliches „auch“ am Anfang. Ja, das lag – auch – am Platzmangel auf der Klammer.
Für etwa hundert Leute hatten wir die Tagung geplant, es kamen ungefähr zweihundert, gleichviel Männer und Frauen, unter ihnen Vertreter der jetzt entstehenden Männeremanzipationsgruppen. Durch das persönliche Angesprochensein aller Teilnehmer entstand eine besondere Stimmung, nicht ohne Konflikte, aber letzten Endes von großer Solidarität zwischen Männern und Frauen.
Der Ortsverband München hatte am Vorabend zu einem Willkommensdrink in die Geschäftsstelle eingeladen. Sehr erfolgreich war dabei nicht nur die neue Verwendung unserer Büroräume, sondern vor allem die Möglichkeit, ungezwungen die ersten Kontakte knüpfen zu können.
Zwei Grundsatzreferate stellten am Samstag Thesen zum Thema auf. Wolfgang Schmidbauer analysierte kritisch das Rollenklischee des Mannes: hinter der leistungs- und erfolgsorientierten Maske steckt in Wirklichkeit ein kleines hungriges Baby, das sich nach Zuwendung sehnt. Der Mann leistet es sich nie, schwach zu sein, er ist entweder stark – oder krank. Seine Gefühle bleiben auf einem unterentwickelten Stadium, und das macht es ihm unmöglich, befriedigende Gefühlsbeziehungen aufzubauen. Durch Emanzipation wird der Mann nicht weiblicher, die Frau nicht männlicher, beide aber werden menschlicher.
Im gleichen Sinne forderte denn auch Charlotte Maack im zweiten Referat die Emanzipation nicht des Mannes oder der Frau, sondern des Menschen. Ihr Referat hieß: Erfahrungen emanzipierter Frauen mit machismo in Vergangenheit und Gegenwart. Sie zeigte an zahlreichen Beispielen, wie selbst progressive und verbal emanzipierte Männer auf die Befreiungsversuche ihrer Gefährtinnen dann, wenn es zur Praxis der Emanzipation kam, mit Unverständnis, oft sogar mit Verachtung reagiert haben. Wenn der rationale Wille auch vorhanden war, das Gefühlsdefizit des Mannes verhinderte seine Emanzipation. Und dieses Gefühlsdefizit findet man in den verschiedensten politischen Systemen. Also: emanzipierte Frauen brauchen emanzipierte Männer. (Vorgänge Nr.19 (1/1976) wird den Titel „Emanzipation der Männer“ haben und neben weiterem Material auch diese beiden Referate enthalten. Außerdem die vollständigen Ergebnisse und Forderungen der Arbeitskreise.)
Nach den Referaten bildeten die Teilnehmer acht Arbeitskreise. die untersuchten, wie die Emanzipation des Mannes zu verwirklichen ist:
♂ Aufforderung an den Mann selbst, sich vom Männlichkeitswahn zu befreien;
♂ Forderungen an die Gesellschaft, die die Voraussetzungen dafür schaffen muss;
♂ Forderungen an den Gesetzgeber nach Änderungen etwa des Ehe- und Scheidungsrechtes.
Einige Arbeitskreise entwickelten sich dabei in Richtung Selbsterfahrungsgruppe; im Arbeitskreis Sexualität (mit Pilgrim) berichteten Männer in selten erlebter Offenheit über ihre eigene Sexualität.
Ein gut vorbereiteter Büchertisch der Münchner Autorenbuchhandlung zeigte, dass es zwar viele Bücher zum Thema Frauenemanzipation gibt, nur wenige jedoch zum Thema Männeremanzipation direkt.
Im Foyer wurde das Thema visualisiert: Große Stellwände mit Fotos von Männergesellschaften, Militär, Wissenschaft, Politik, Klerus aller Kulturen; vom Stammtisch bis zum Abendmahl von Leonardo – Männer unter sich!
Solche Männerbünde waren bisher die Brutstätten des machismo, des Potenzprotzentums, der Kraftmeierei, die aus dieser „Männlichkeit“ Rechte herleitet; die neuen Männergruppen arbeiten daran, dies zu überwinden. Am Schluss des Kongresses erging die Aufforderung an die Männer, nicht nur von Emanzipation zu reden, sondern sich in Emanzipationsgruppen zusammenzufinden und an der Überwindung des Rollenzwanges zu arbeiten. Möglichkeiten dazu gibt es entweder in autonomen Männergruppen (die in Anlehnung an die autonomen Frauengruppen entstehen) oder, wie es in einigen Ortsverbänden der Humanistischen Union versucht wird, in gemeinsamen Emanzipationsgruppen für Mann und Frau.
Die Teilnehmer schieden vom Kongress angeregt – aufgeregt – nachdenklich; vielen war klar geworden, dass sich etwas ändern muss.
Die Humanistische Union hat mit diesem Kongress das Problem der Emanzipation des Mannes als erste Organisation an die Öffentlichkeit gebracht. Wir überlegen nun, wie wir dieses brisante Thema weiter verfolgen können. Als Anstoß für alle, die sich dafür interessieren, drucken wir gekürzt die Ergebnisse und Forderungen der Arbeitskreise ab sowie eine Auswahl von Literatur zum Thema.
Ergebnisse der Arbeitskreise:
Arbeitskreis 1 „Rollenfixierung und Sozialisation“
Grundforderung an alle: Im Kind den Menschen sehen, nicht den Jungen oder das Mädchen.
1. Abschaffung der geschlechtsdifferenzierenden Erziehung: Koedukation in allen Bildungsinstitutionen und Abschaffung geschlechtsspezifischer Lernangebote.
2. Ende der Unterdrückung von Gefühlsäußerungen, insbesondere Ermöglichung von spontaner Zärtlichkeit ohne Einschränkung auf bestimmte Personen und Absichten. Einübung in Zärtlichkeit ist Aufgabe der Familie, des Kindergartens, der Schule und der Humanistischen Union!
3. Die „Richtlinien zur Sexualerziehung in der Schule“ sind lustfeindlich und repressiv, wir lehnen sie deshalb ab.
4. Forderung an alle Medien, die Rollenklischees nicht weiter zu verhärten (Minimalforderung).
Endziel: Schaffung einer solidarischen Gesellschaft aus gleichberechtigten Individuen (in bezug auf Geschlecht, Generation, Schicht).
Arbeitskreis 2 „Der Vater als Mutter“
Um die gleichmäßige Verteilung von Pflichten und Rechten bei der Kindererziehung und Hausarbeit für Väter und Mütter durchzusetzen, sind folgende Voraussetzungen nötig:
1. Abschaffung der steuerlichen Benachteiligung geschiedener oder getrennt lebender Eltern mit Kindern.
2. Änderung des Scheidungsrechts, so dass das Sorgerecht bei beiden Eltern bleiben kann.
3. Faktische Gleichheit für alleinstehende Männer bei der Adoption von Kindern.
4. Um Teilzeitarbeitsplätze zu schaffen, müssen Überstunden abgeschafft werden (eine in Belgien praktizierte konjunkturpolitische Maßnahme).
5. Arbeitszeitverkürzung für Eltern bei gleichbleibendem Gehalt.
6. Garantiertes Mindesteinkommen pro Kind.
7. Im sozialen Wohnungsbau müssen auch Wohneinheiten für Wohngemeinschaften eingerichtet werden.
Arbeitskreis 3 „Hausarbeit“
Wir fordern das Ende des Diebstahls an der Dienstleistung der Hausfrau, die Arbeitszeitverkürzung im Beruf, die sich im Umfang der heutigen Halbtagsarbeit nähert. Die Parole heißt 6 zu 2, das heißt sechs Stunden Erwerbsarbeit und zwei Stunden häusliche Arbeit, egal, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt.
1. These: Die Hausarbeit ist noch unterbewertet. Forderung: Das Entgelt, das vom außerhäuslich erwerbstätigen Partner erworben wird, gilt als von beiden Parteien erarbeitet. Beide Partner haben deshalb gleichberechtigt Anspruch auf Versicherungen.
2. These: Im Haushalt wird zuviel gearbeitet. Forderung: Ernährungs-, Wirtschafts- und Familienministerium werden aufgefordert, vorrangig Forschungsprojekte und Aufklärungsaktionen zu unterstützen, die real auf die Reduzierung der Hausarbeit hinzielen.
3. These: In neuen Wohnmodellen ist eine Einübung von Männern und Frauen in die angestrebte partnerschaftliche Teilung von häuslichen Aufgaben und Erwerbstätigkeit leichter gegeben. Forderung: Das Familienministerium wird aufgerufen, einen Modellversuch „gemeinschaftliches Wohnen“ zu unterstützen.
Arbeitskreis 4 „Ausbildung und Positionen in der Erwerbswelt – Teilzeitarbeit“
1. Lehrerausbildung für Arbeitslehre: Bereits vorhandene Rollenklischees werden verfestigt, die Ausbildung der Lehrer für das Fach Arbeitslehre muss entsprechend umgestaltet werden, bzw. generell eingeführt werden.
2. Berufsberatung: Die Beratungszeit muss erhöht und die Methoden müssen verbessert werden.
3. Berufsbildung und Stellung im Beruf: Die Emanzipation des Mannes im Berufsleben kann nicht durch das Eindringen von Männern in „typische Frauenberufe“ erreicht werden. Männer müssen in „Männerberufen“ Platz machen für gleichwertig ausgebildete und beschäftigte Frauen.
4. Teilzeitarbeit: Der Begriff Teilzeitarbeit muss neu definiert werden, für Mann und Frau auch ohne Nachweis von Kindererziehung oder Hausarbeit möglich sein. Voraussetzung wäre, dass Teilzeitarbeit in allen Berufen und in allen Qualifikationsstufen ermöglicht wird, und zwar sowohl im täglichen Rhythmus als auch in periodischen Zeitabläufen.
Arbeitskreis 5 „Männliche Justiz“
Richter, Staatsanwälte und Verteidiger sind fast ausschließlich Männer und handeln nach Gesetzen, die ebenfalls vorwiegend von Männern gemacht worden sind. Eine veränderte und vielseitiger qualifizierende Juristenausbildung wird gefordert. Das bei Gericht inszenierte „Spektakulum“ wird als besonders autoritär erlebt: Gehabe, Sprache, die gesamte Formalisierung des Geschehens. Ritualisierung findet immer dort statt, wo Machtpositionen abgesichert werden sollen. Das Imponiergehabe soll im Grunde Ängste verdecken; die Furcht, ihr Image als Helden zu verlieren. Frauen tragen zur Aufrechterhaltung dieser Verhaltensweisen bei. Da ihnen die Teilnahme als gleichberechtigter Partner im Berufsleben und die damit verbundene Selbsterfahrung noch weitgehend verweigert werden, neigen Frauen dazu, sich durch den Erfolg ihres Mannes darzustellen. Frauen in der Justiz sind in gleicher Weise wie Männer dem Formalismus, der Gefühllosigkeit, dem Imponiergehabe usw. ausgesetzt, deshalb ist von ihnen allein keine Veränderung der „männlichen“ Justiz zu erwarten.
Ergebnis: Frauen und Männer müssen gemeinsam versuchen, die „männlichen“ Strukturen der Justiz zu überwinden und damit vielleicht sogar einen wesentlichen Teil dessen, was wir heute „Justiz“ nennen.
Arbeitskreis 6 „Männliche Dominanz in der Politik“
Die männliche Dominanz in der Politik muss abgebaut werden, denn: 1. ist die Mehrheit der Bevölkerung weiblichen Geschlechts; 2. werden Gesetze von Männern für eine patriarchalisch strukturierte Gesellschaft gemacht; 3. verhindern die sogenannten „männlichen Sachzwänge“ eine Prioritätensetzung, die auch Fraueninteressen gerecht wird. Gefordert werden:
1. Stärkere Einbeziehung der Presse und anderer Medien zur Politisierung der Frauen.
2. Abbau der Belastungen, denen Frauen ausgesetzt sind, wenn sie sich aktiv politisch betätigen.
3. Aufdeckung der Funktion der „Alibifrau“ zugunsten echter Mitarbeit der Frauen in allen politischen Gremien.
4. Abbau der „männlichen“ Arbeitsmethoden in der Politik wie: Autoritärer Führungsstil, Aufstiegsmechanismen, Hierarchien, Konkurrenzkampf.
Die Emanzipation der Männer und die politische Mündigkeit der Frauen bedingen einander und sind nur durch Bewusstmachung des Rollenkonfliktes möglich.
Arbeitskreis 7a I „Sexualität“ (Schmidbauer)
1 Erforschung der emotionalen Grundbedürfnisse von Männern und Frauen.
2. Verbreitung erziehungspsychologischer Kenntnisse über die emotionalen Grundbedürfnisse im Schulunterricht.
3. Verbessertes Angebot an Eheberatung und Partnertherapie.
4. Entwicklung von Möglichkeiten, emotionale Prägungen bei Angehörigen unterprivilegierter Schichten in einem arbeitsbezogenen Emanzipationsprozess abzubauen.
5. Befreiung der Sexualität von Leistungsdruck in jeder Form, wobei das Freimachen als Prozess ebenfalls ohne Leistungsdruck erfolgen sollte.
6. Abbau wechselseitiger ökonomischer und emotionaler Abhängigkeiten von Mann und Frau.
Arbeitskreis 7a II „Sexualität“ (Pilgrim)
1. Abschaffung des Paragraphen, der Eheleuten vorschreibt, dass sie den Geschlechtsverkehr ausführen müssen; das entwürdigt die menschlichen Beziehungen.
2. Die Erziehung soll den Kindern ein Gefühl für Nacktheit und Körper vermitteln.
3. Erwachsene sollen den „Kinderblick“ wiedergewinnen: an Kindern kann man Zärtlichkeit lernen, die nicht final gerichtet ist.
4. Tabu Alter: Wir müssen wegkommen von der Ansicht, dass Sexualität etwas mit „jung“ und „schön“ zu tun hat!
5. Kampf gegen die Medien, die uns die alten Rollen einbläuen, an denen wir leiden.
6. Verhütung für den Mann und Verhütung für den Moment. Das kann sich die Männergesellschaft ausdenken, das will sie nur nicht.
7. Abschaffung des Einflusses der Kirche und anderer Gremien, die erwiesen haben, dass sie über Sexualität nichts zu vermelden haben.
8. Emanzipierte Frauen sollen in den Einzelbeziehungen darauf hinwirken, daß die Männer, die mit ihnen umgehen, nicht nur von Emanzipation reden, sondern sie in Veränderung ihrer selbst beweisen. Das heißt in Männerselbsterfahrungsgruppen gehen, nicht in Sport- oder sonstige Vereine.
Arbeitskreis 7b „Hormone und Verhalten“
Ein entscheidender Einfluss der Hormone auf die menschliche Psyche ist hinsichtlich ihrer männlichen oder weiblichen Verhaltensweisen nicht vorhanden. Deshalb hält der Arbeitskreis eine allgemeine Aufklärung über diese Tatsachen für unerlässlich insbesondere in den Schulen, im Medizinstudium und in der ärztlichen Fortbildung. Ebenfalls möchte der Arbeitskreis verdeutlicht wissen, dass sexuelles Fehlverhalten des Mannes nicht biologisch entschuldbar, sondern nur durch partnerschaftliche Einstellung korrigierbar ist. (Literatur: Veröffentlichungen des Hamburger Instituts für Sexualforschung, Kiepenheuer und Witsch 1975; „Männlich-Weiblich“ Money und Erhardt, Rowohlt 1975.)
Arbeitskreis 8 „Männergruppen – Frauengruppen“
Dieser Arbeitskreis hat keine Ergebnisse erarbeitet oder Forderungen aufgestellt, sondern nach dem Kongress eine Selbstdarstellung autonomer Männer- und Frauengruppen gegeben.
Literaturauswahl:
BORNEMAN, Ernest: „Das Patriarchat“ (S. Fischer)
BRIESSEN, Christiane v.: „Der Männlichkeitswahn“ (Gustav Lübbe)
DESSAI, Elisabeth: „Hat der Mann versagt?“ (rororo)
GMELIN, Otto F.: „Bankrott der Männerherrschaft“ (Europ. Verlagsanstalt)
PILGRIM, Volker E.: „Der Untergang des Mannes“ (Desch)
SCHNEIDER, Peter: „Gibt es eine Emanzipation des Mannes?“ (Kursbuch Nr.35)
SELBSTERFAHRUNGSGRUPPE (Männer, USA): „Unbecoming men“ (Times Change Press, New York)
COOPER, David: „Der Tod der Familie“ (Rowohlt)
MILHOFFER, Petra: „Familie und Klasse“ (Fischer-Taschenb.)
RICHTER, Horst E.: „Lernziel Solidarität“ (Rowohlt)
ROSENBAUM, Heidi: „Familien- und Gesellschaftsstruktur“ (Fischer-Taschenb.)
SCHMIDBAUER, Wolfgang: „Emanzipation in der Gruppe“ (Piper)
Mitteilungen der Humanistische Union 73 vom Dezember 1975, 25 ff.