Materialien 1957
„Weihwasser allein genügt nicht!“
„SIMPLICISSIMUS verhöhnt Fronleichnamsprozession!“ – „Religion vogelfrei!“ – „Die alten Heiden hätten es nicht geduldet!“ – „Die Kirche lässt nicht locker!“ – „Hat der SIMPLICISSIMUS von der SS gelernt?“ – So nannten die Herren Kommentatoren von der christkatholischen Presse ihre fulminanten Geistesblitze zu einem Thema, das sich ihrem gedanklichen Bemühen offenbar nicht ganz erschlossen hatte. Der Reporter des von Polizeipfarrer Ludwig Reinold in Bödefeld herausgegebenen Groschenblattes „Neue Bildpost“, Claus Peter Clausen, schrieb in der Nummer 26 dieses konfessionellen Boulevard-Surrogates: „Freibrief für Verspottung – Staatsanwälte schweigen!"
Nein, meine Herren, sachte, die Staatsanwälte schweigen nicht. Sie reden eine sehr deutliche Sprache. Sie haben nämlich endgültig entschieden, dass wir mit unserem Titelblatt „Die deutsche Prozession“ nicht eueren Gott, der auch unser Gott ist, verhöhnt haben, sondern den Götzen dieser Zeit, das Goldene Kalb! Am 4. Juli konnte die Katholische Nachrichten-Agentur in einer „letzten“ Meldung noch aufatmend feststellen, dass die Staatsanwaltschaft „endlich“ ein Ermittlungsverfahren gegen den SIMPLICISSIMUS eingeleitet habe. Zwölf Tage später, am 16. Juli, verbreitete die Justizpressestelle als Ergebnis des gegen uns eingeleiteten Ermittlungsverfahrens folgende Meldung an alle Agenturen:
„Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I hat der Strafanzeige des Bischöflichen Ordinariats Augsburg gegen den Redakteur der Zeitschrift SIMPLICISSIMUS keine Folge gegeben. Sie hat festgestellt, dass die unter der Überschrift „Die deutsche Prozession“ veröffentlichte satirische Darstellung nicht die katholische Institution der Prozession schmähe, sondern vielmehr die Überbewertung materieller Güter gegenüber inneren Werten. Es werde durch die Verwendung des Goldenen Kalbes als Zeichen des Materialismus und durch die Darstellung eines Volkswagens, eines Kühlschrankes und eines Fernsehapparates, also durch die Verwendung der gebräuchlichen Symbole des Materialismus, der Wohlstand im Zeichen des sogenannten Wirtschaftswunders zum Ausdruck gebracht. Die sprachliche Fassung des Bildtextes in Anlehnung an Worte der Bibel erfülle im gegebenen Zusammenhang für sich allein noch nicht den Tatbestand der Religionsbeschimpfung.“
Nun? Was sagen Sie dazu, meine Herren? Was sagt der Bischof von Hildesheim dazu, der sich Ende Juni noch „mit tiefem Abscheu gegen eine solche abscheuliche Art, die Katholiken in ihrem religiösen Empfinden zu kränken“, wenden zu müssen glaubte und seine Brüder und Schwestern aufforderte: „Lasset uns am Ende dieses Mahnwortes niederknien und gemeinsam die Litanei vom Heiligsten Herzen Jesu beten als Sühnegebet vor unserem Herrn“? Will man auf dieser Seite, auf der man sich doch eigentlich auf die Auslegung von Texten verstehen sollte, nicht doch endlich einsehen, dass man uns zumindest ganz gewaltig mißverstanden hat? Ist es wirklich so schwer, einen begangenen Fehler einzugestehen, also das zu tun, was man von den Gläubigen im Beichtstuhl Tag für Tag erwartet?
…
Wie lächerlich sophistisch klingt … alles, was sich gewisse Federn hierzulande mühselig auf unsere beiden „inkriminierten“ Titelblätter zusammengereimt haben! Man muß dabei unwillkürlich an jene Stelle aus Wielands „Abderiten“ denken, an der es über die Einwohner des antiken Schilda heißt: „… ihre Einbildung gewann einen so großen Vorsprung über ihre Vernunft, dass es dieser niemals wieder möglich war, sie einzuholen. Es mangelte den Abderiten nie an Einfällen: aber selten paßten ihre Einfälle auf die Gelegenheit, wo sie angebracht wurden … Sie sprachen viel, aber immer ohne sich einen Augenblick zu bedenken, was sie sagen wollten oder wie sie es sagen wollten. Die natürliche Folge hiervon war, dass sie selten den Mund auftaten, ohne etwas Albernes zu sagen. Zum Unglück erstreckte sich diese schlimme Gewohnheit auch auf ihre Handlungen … Machten sie irgendeinen sehr dummen Streich, so kam es immer daher, weil sie es gar zu gut machen wollten …"
Jawohl, ihr Herren Rieß und Ort, Hall und Hundhammer, ihr Herren Redakteure und Kommentatoren von der christkatholischen Presse, ihr habt es so gut gemacht, dass man meinen möchte, euere Wiege wäre im thracischen Abdera gestanden und nicht auf den Höhen
beziehungsweise in den Niederungen unserer heimatlichen hyperboräischen Gefilde! Ihr habt es so gut gemacht, dass ein ganzes Land den Kopf schüttelt. Uns ist es längst klargeworden, ihr Herren, dass es euch nicht um dieses oder jenes Titelblatt unserer Zeitschrift, sondern um den SIMPLICISSIMUS überhaupt geht. Wenn unter dem weißblauen Bayernhimmel wieder einmal Kreuzzugsstimmung herrscht, so wissen wir genau, von wannen der Wind pfeift: Ein Stück lebendiges Mittelalter geht, nach geraumer Schnaufpause, wieder um. Eine Person mit einem sehr realistischen Bart und einem sehr sinnbildlichen Zopf. Ein Mann, welcher die Auszeichnung, als Mentor der Prügelstrafe zu gelten, für sich beansprucht. Ein Mann, als dessen Insignien Zuchtrute und Feigenblatt gelten. Ob Sie den Mund diesmal nicht doch etwas zu voll nahmen, als Sie nach uns schnappten, Herr Dr. Hundhammer? Sie wollten den SIMPLICISSIMUS ruinieren, indem Sie ihn wirtschaftlich diffamierten. Ihr Ruf war der nach einem Autodafé. Erinnern Sie sich noch, wie Ihnen Ihr CSU-Kollege Papstmann 1947 sein „Auf den Scheiterhaufen mit dem Querulanten!“ entgegenschleuderte?
Nicht nur vom Glauben, sondern auch von der eifrig zur Schau getragenen Auffassung durchdrungen, dass man gegen „liberal Denkende“ mit Feuer und Schwert vorgehen müsse, treibt dieser Ritter vom Heiligen Grab nunmehr seit mehr als einem Jahrzehnt sein häufig gerügtes Unwesen in Bayern. Es gab eine Zeit, da bestand seine Stärke in der Schwäche seiner Gegner. Das war jene Zeit, da er in seinen von der stigmatisierten Therese Neumann aus Konnersreuth begutachteten und „für gut befundenen“ Reden noch davon unkte, dass „eine neue Christenverfolgung anbrechen“ wird; da er „die Staatsauffassung des Papstes als das Programm der bayerischen Staatsregierung“ herausstellte; da er Kunstwerke als „Satansmessen“ verdammte und seinen Föderalismus in das bemerkenswerte Aperçu kleidete: „Bayern war schon ein geordneter Staat mit geschriebenen Gesetzen in einer Zeit, wo dort, wo später Berlin gebaut wurde, die Wildsau ihren Hintern an den Föhren gerieben hat.“ Glauben Sie etwa, Herr Dr. Hundhammer, dass das Wesen, das Sie jetzt gegen uns treiben, dem Ansehen des Kulturstaates Bayern im allgemeinen und dem Ruf der deutschen Pressefreiheit im besonderen sehr zuträglich ist?
Sie vertraten, Herr Dr. Hundhammer, als Kultusminister ein System, das uns der Steinzeit näher brachte als den Errungenschaften einer modernen Kultur. Wenn Sie Ihr Parteifreund Ehard vor Jahren noch mit den Worten zu rechtfertigen suchte: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte“, so rnuß ich sagen, für uns schwankt dieses Bild nicht im geringsten. Wir wissen, woran wir sind! Sie haben schon einmal eine Zeitschrift mit dem Titel „Simpl“ mit Prozessen überzogen. Ihre Taktik ist klar, Ihre Einstellung bekannt. Trotzdem empfehlen wir Ihnen, der Sie sich nicht genug tun können, uns der Verunglimpfung des Christentums zu verdächtigen, die Lektüre des Einstellungsbeschlusses der Staatsanwaltschaft München I!
Über der Titelseite der eingangs zitierten katholischen „Neuen Bildpost“ prangte als Ankündigung auf einen im Inneren des Blattes veröffentlichten Beitrag in fetten Lettern der Hinweis „Weihwasser allein genügt nicht“. Wahrhaftig, meine Herren, so ist es. Etwas Vernunft und Fairneß gehören zumindest auch dazu, um – besonders als prominenter und prononcierter Christ – untadelig durchs Leben zu kommen.
Herbert H. Hofner
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Simplicissimus 31 vom 3. August 1957, 483.