Materialien 1975
Eine Geschichte von Negerküssen und Mohrenköpfen
oder
Wie verunsichere ich die Bankkundschaft?
Lieber Leser!
Diese beiden gar schröcklich anzuschauenden Gestalten, Räuber Hotzenplotz und Räuber Rau-
schebart, werden von der Münchner Justiz eines schrecklichen Verbrechens angeklagt.
Sie sollen am 1. August 1975 (1. Juli? G.G.) in eine Münchner Bank eingedrungen sein und an die versammelte Kundschaft Negerküsse, Mohrenköpfe und Flugblätter verteilt haben. Während die Süßwaren für sich selbst sprachen, stand in den Flugblättern, umrahmt von zwei Zeitungsaus-
schnitten aus der Frankfurter Rundschau „Mit ‚revolutionären Negerküssen’ auf Bankraub“ und zwei Zeichnungen aus dem Münchener Weltblatt „BLATT“ zur Negerkussproblematik, auszugswei-
se folgendes:
„Auch der bayrische Bankkunde darf das Gefühl nicht missen, künftig mit Negerküssen bewirtet zu werden. Die Bewegung 2. Juni machte den Anfang. Ein Beispiel, dem wir folgen müssen. Verant-
wortlich: Bewegung 32. Juli.“
Diese Untat ahndete das Münchner Amtsgericht mit einer Geldstrafe von DM 6.106.-.
In der folgenden Verhandlung stellte der Amtsrichter Dr. Meyer fest, dass hier ein „politisches Happening“ vorliegt, bei dem die beiden Räuber jedoch „keinerlei eigenes künstlerisches Schaffen an den Tag gelegt“ hätten, so dass von „satirischer Kleinkunst“ keine Rede sein könne. Er verur-
teilte unsere Räuber zu 2.500.- DM Geldstrafe und zeigte den beiden verhinderten Happening-Künstlern im Urteil, was wahre „satirische Kleinkunst“ ist. Wir zitieren zur Erbauung unserer Le-
serschaft hieraus wortwörtlich ohne irgendwelche grammatikalische oder sinnherstellende Ände-
rungen:
„Unter Bezugnahme auf die Berichte über Bankraub in Berlin drückt eine HOCHACHTUNG für diese Straftaten aus, welche eine BILLIGUNG darstellt, wobei das Gericht in der AUFFORDE-
RUNG, dem Beispiel zu folgen, eine rhetorische Verstärkung der BILLIGUNG sieht, eine rhetori-
sche Verstärkung, die bei besonderer HOCHACHTUNG für eine Tat in der deutschen Sprache üblich und in Dialekten, so dem bayrischen Dialekt, besonders häufig ist.
Gleichzeitig konnte das Gericht in dieser AUFFORDERUNG zur Begehung einer Straftat sehen, da in dieser AUFFORDERUNG das Gericht nur und ausschließlich die Verstärkung und BILLIGUNG der bezeichneten Straftat gesehen hat. Die Angeklagten waren deshalb, sie waren gemeinschaftlich tätig geworden auf Grund gemeinschaftlichen Tatentschlusses und gemeinsamer Tatausführung, wegen eines gemeinschaftlich begangenen Vergehens der öffentlichen Billigung von Straftaten zu verurteilen, denn das gemeinschaftliche Vorgehen der Angeklagten beruht darauf, dass das Vertei-
len von Negerküssen einerseits und das Verteilen von Flugblättern der bezeichneten Art anderer-
seits alleine den gewünschten Zweck, die Beunruhigung der Bankkunden, nicht erreicht hätte, son-
dern erst durch das gemeinschaftliche Vorgehen der Angeklagten in ihren Augen sinnvoll wurde.
Demgegenüber sprach auch gegen die Angeklagten, dass sie unter Bezugnahme auf Banküberfälle in einer Bank tätig geworden sind und so zu einer erheblichen Verunsicherung von Bankpublikum beigetragen haben.“
Es ist höchst erstaunlich, zu welcher künstlerischen Leistung die doch als humorlos und bierernst verschrienen Münchner Amtsrichter fähig sind. Dies ist wahrhaftig Kleinkunst in Vollendung. Die „BLATT“-Redaktion hat sich deshalb entschlossen, zur Förderung der satirischen Kleinkunst in München den GOLDENEN MOHRENKOPF zu stiften und diesen für verdiente Arbeiten auf die-
sem künstlerischen Gebiet zu verleihen. Erster Preisträger des GOLDENEN MOHRENKOPFS wurde für sein Urteil gegen Räuber Hotzenplotz und Rauschebart der Münchner Amtsrichter Dr. Meyer. Die Preisverleihung findet am 12. Juli 1976 um 9 Uhr vor der würdigen Fassade des Münchner Justizpalastes statt, anlässlich der Berufsverhandlung gegen das Räuberduo.
Die Öffentlichkeit, sowohl die am künstlerischen Leben in München als auch die am Ausgang der Berufungsverhandlung interessierte, wird zu diesem Ereignis hiermit herzlichst eingeladen.
Bianco
Blatt. Stadtzeitung für München 73 vom 2. Juli 1976, 8.