Materialien 1976

Uniformversität

Inzwischen sind sie also längst raus, die Strafbefehle gegen die achtzehn Angeklagten vom 19. Mai. Damals hatten sich ca. fünfhundert Studenten zu einer Vollversammlung an der Ludwig-Maximilians-Universität eingefunden, womit sie sechshundert uniformierte Polizisten (die in Zivil nicht mitgerechnet) an die Stätte der Wissenschaft riefen (die Universität für’s Volk, na endlich!). Nachdem von allen anwesenden Studenten die Personalien festgestellt und zahlreiche Erkennungsdienstliche Behandlungen (Fingerabdrücke und Fotos) durchgeführt worden waren, kam es an der Uni zu hektischen Aktivitäten, die jedoch mehr oder weniger schnell im Sande verliefen.

Nach einer taktvollen (oder taktischen?) Wartezeit zeigte der Präsident der in München praktizier-
ten freien Wissenschaft dann doch nicht, wie zunächst angedroht, alle 497 Beteiligten an, sondern „nur“ achtzehn Studenten (Abschreckung, Rädelsführer und so). Denen flatterten Strafbefehle über insgesamt 16.000.- DM ins Haus.

Die erste Verhandlung am 18. Januar 1977 wurde von Richter Frost in souveräner Haltung durch-
gezogen. Ein Angeklagter konnte wegen einer Klausur nicht erscheinen, einem wurde die Vorla-
dung ca. 24 Stunden nach dem Prozess überreicht und der Dritte erhob Einspruch, da er unmittel-
bar vor der Abgabe seiner Diplomarbeit steht. Da der Einspruch verworfen wurde, sah auch dieser „Angeklagte“ keinen Grund mehr, weiter an der Verhandlung teilzunehmen und verließ den Saal. Nun ging alles ganz schnell, Verwerfung der Einsprüche, sprich Zahlung der Strafbefehle.

Eine Woche später, am Dienstag, dem 25. Mai, wurde es schon etwas ausführlicher. Während der Verhandlung gegen Ernst Wolowicz, der wegen seines ungünstigen Sitzplatzes (vorletzte Reihe) und wegen des ungeheuren Lärms (Sprechchöre: Polizei raus aus der Uni!) überhaupt nicht ge-
merkt hat, dass er ein so schweres Delikt wie Hausfriedensbruch begangen haben soll, trat als Zeuge der Anklage Regierungsrat Matschke auf.

Matschke, ein flotter Mitdreißiger, war mit einem wohlgefüllten Aktenordner ausgerüstet. In die-
sem befanden sich u.a. auch jene zwei Schilder im DIN A 4-Format, die er während der Auseinan-
dersetzungen am 19. Mai mit wenig Erfolg geschwenkt hatte. Diese Schildchen trugen fein säuber-
lich in Schablonenschrift etwa folgenden Inhalt: „Verlassen Sie innerhalb von 5 Minuten diesen Raum, sonst liegt Hausfriedensbruch vor. Strafantrag wird gestellt.“ Der Text kann deshalb nur ungefähr wiedergegeben werden, weil er in dem Verhandlungssaal, der etwa ein Drittel der Länge des HS 331 besitzt, von den Zuschauerbänken aus nicht mehr entziffert werden konnte. Diese Schilder also hat der Verwaltungsbeamte Matschke nach eigener Aussage bereits am VORMITTAG anfertigen lassen. Erinnern wir uns: die Vollversammlung begann um 14 Uhr im Lichthof. Die Universitätsverwaltung hatte keinen Raum genehmigt. Alle Hörsäle wurden sofort nach den Lehr-
veranstaltungen von den Pedellen abgeschlossen. Und dann war auf einmal, welch ein Zufall, der HS 331 offen. Zufall auch, dass dieser Hörsaal in dem Teil des Hauptgebäudes liegt, der im Ver-
gleich zu anderen, relativ leicht abgeriegelt werden kann. Zufall auch, dass der eifrige Matschke bereits am Vormittag einen RAUM erahnte, von dem er doch eigentlich gar nichts wissen konnte, da eben dieser Raum nicht genehmigt worden war und Vollversammlungen unter diesen Voraus-
setzungen bislang immer im Lichthof abgehalten worden waren. Leider wurden vor Gericht diese Zufälle nicht geklärt.

Dafür konnte auch gelacht werden. Matschke auf die Frage des Rechtanwaltes, ob er einen Zu-
sammenhang sähe zwischen den zwanzig im Saal anwesenden Verfassungsschützern und den zwanzig Personen, die nach Polizeiaussage im kritischen Moment den Hörsaal verließen: „Ich weiß, dass sich darunter auch Mitglieder des RCDS befanden.“ …

Doch Matschke weiß nicht nur am Vormittag, welche Schilder er nachmittags benötigen wird, er verfügt auch über andere, fast schon hellseherische Fähigkeiten. Frage des Richters: „Ist Ihnen der Angeklagte bekannt?“ Matschke : „Persönlich nicht, aber namentlich als Mitglied des SHB.“ Da-
raufhin leichte Unruhe des Publikums. Und nun wieder Matschke: „Ich bin nämlich u.a. auch für die Wahlen verantwortlich. Daher meine Informationen.“ Informationen ja, aber nicht in diesem Zusammenhang. Der „Angeklagte“ Wolowicz hat nämlich nie auf einer Liste des SHB für die Gre-
mienwahlen kandidiert, sondern auf einer anderen.

Der Einsatzleiter Dinzinger erwies sich bei seiner Zeugenaussage weniger als Hellseher denn als echt bayrischer Gemütsmensch. Zur Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes meinte er schlicht: „Jo mei, wenns wenig Studenten sann, brauchts wenig Polizei, wenns viele Studenten sann, brauchts viel Polizei.“ (Einfacher Dreisatz für Rechner: für 497 Studenten braucht es 600 Poli-
zisten, wie viel braucht es für alle 36.000???)

Die als Zeugen geladenen Studenten bestätigten übereinstimmend, dass auf Grund der Sprechchö-
re und des ungeheuren Lärms, eine dreimalige Aufforderung, den Saal zu verlassen, nicht wahrzu-
nehmen gewesen sei. Dies musste auch der Staatsanwalt anerkennen. Dennoch plädierte er für eine Geldstrafe in der Höhe von DM 800.-, da dem „Angeklagten“ spätestens nach Erscheinen der Polizei hätte bewusst werden müssen, dass er eine strafbare Handlung begehe. Dem konnte sich der Richter allerdings nicht anschließen. Der Angeklagte wurde freigesprochen.

Dieses Urteil wird sicherlich von unseren (Grund-)Gesetzfanatikern als Erfolg gepriesen werden. Dennoch besteht kein Grund zum Feiern. Noch stehen weitere Prozesse gegen vierzehn Angeklagte (und Berufungen) aus, und es ist zu befürchten, dass den Obermackern unter den Legalisten eben jene Gesetze, auf die sie sich so gerne und oft berufen, um die Ohren geschlagen werden.

Übrigens: die nächste Verhandlung ist am 9. Februar um 13 Uhr in der Pacellistraße 2. Raum steht noch nicht fest, kann beim AStA erfragt werden.


Blatt. Stadtzeitung für München 87 vom 4. Februar 1977, 6 f.

Überraschung

Jahr: 1976
Bereich: StudentInnen

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