Flusslandschaft 1960
Frieden/Abrüstung
„… Schlimmer, so musste ich dem Seemann schreiben, fände ich, dass er nicht gemeutert habe, denn gerade als Meuterer sei er mir sehr sympathisch gewesen. Ich halte nämlich, und das hat nun nichts mehr mit dem Einzelfall des dem Blei der Meuterer wider Recht und Freiheit Entwichenen zu tun, – ich halte die Revolte in der Luft, zu Wasser und zu Lande für eine höchst ehrenvolle Art, die Sünde gegen den eigenen Geist zu sühnen, die man auf sich nahm, als man den bunten Rock der Tötung anzog; und ein meuternder Soldat steht in meinen Augen höher als jener, der mit dem Mordorden auf der ach so wenig heldischen Brust ausharrt, bis die Vergatterung zum Tode gebla-
sen wird. – So ist hiermit mein eigener Sühneakt vollzogen und Herr Kapitänleutnant Heinz Kra-
schutzki wieder unter die lebenden Gestalten meines Buches eingereiht, zwar ohne Huhn, und kein Meutmacher gegen Gott, König und Vaterland, drei Wesenheiten, die dem Menschentum schon viel zu schaffen gegeben haben, nach oben und nach unten, doch meist nach unten hin, wo dann der Soldat auf den Plan tritt, Hände an die Hosennaht und Gehirn bei Fuß. Denn über die Verhar-
schung im Geiste des Steinbeils sind wir ja noch nicht hinausgekommen, und dass der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen sei, dem es gelänge, Klaue und Zahn zu überwinden, das glaube wer will. Doch entscheide im Zweifelsfalle auch hier die Wahrheit.“1
Proteste in der ausgehenden Adenauer-Zeit sind eher Ausdruck und weniger Grund von beginnen-
den Veränderungen. Zunehmender Wohlstand und die Festigung der Bundesrepublik verschieben die Voraussetzungen von sozioökonomischen zu ethischen Motiven und schaffen die Rahmenbe-
dingungen für die Genese größerer Protestbewegungen, die den Ort ihrer öffentlichen Verhandlung in den immer bedeutender werdenden Massenmedien finden.
Die Zeitschrift »Das Gewissen«, Organ des Kampfbundes gegen Atomschäden, erscheint im Münchner Süddeutschen Verlag. Verantwortlicher Redakteur ist Wolfgang Bartels.
Der erste Ostermarsch findet in München mit dreißig bis vierzig Teilnehmern statt.2 In den folgen-
den Jahren gehen an den Osterfeiertagen immer mehr Menschen an immer mehr Orten auf die Straße. Die Demonstranten fordern ein Ende der atomaren Bewaffnung und des nuklearen Wettrü-
stens. Bis 1968 ist die Teilnehmerzahl auf dreihunderttausend gestiegen. Dabei können nur Einzel-
personen, nicht Organisationen an der Ostermarsch-Bewegung teilnehmen. Ihr gehören zunächst vornehmlich Anhänger eines ethisch-religiösen Pazifismus an. Schon bald wird sie aber zu einer außerparlamentarischen Sammlungsbewegung. Dies ist auch ablesbar an der Namensänderung Kampagne für Abrüstung (1963) in Kampagne für Demokratie und Abrüstung (1968). – In Mün-
chen demonstrieren Atomwaffengegner zur KZ-Gedenkstätte Dachau. Ein Kind trägt ein Schild „ABC-Schützen Ja – ABC-Waffen nein“. Es spricht Erich Kästner.3
Am 17. Dezember gründet sich die Deutsche Friedens-Union (DFU).
(zuletzt geändert am 5.2.2021)
1 Berichtigung vom 8. Juni 1960, in: Albert Vigoleis Thelen, Die Insel des zweiten Gesichts. Aus den angewandten Erinnerungen des Vigoleis, Düsseldorf 1981, 911.
2 Siehe „Ostermärsche in den 60er Jahren“.
3 Fotos: Stadtarchiv Standort ZB-Ereignisfotografie-Politik-Demonstrationen.