Materialien 1977
Warum eigentlich kein Kernkraftwerk im Englischen Garten?
Die ersten Maschinen waren Tempel Gottes. „Gleich der Natur“ liefen Kreisprozesse darin ab. „Selbsttätig“ waren diese Maschinen – Partikel des lebendigen Gottes – behaupteten ihre Kon-
strukteure: Priester.
In der Frühzeit der Industrialisierung waren die Heißluftmaschinen (Vorläufer der Dampfma-
schinen) die Einheit von Kunst und Wissenschaft. Ihr Rahmen bestand aus einem Tempel. Säulen im griechischen Stil trugen die Gestänge.
Heute sind die Priester Ingenieure und unser Gott ist der wissenschaftlich-technische Fortschritt, dem alle als Maschinen zu dienen haben. Die gewaltigsten Tempelbauwerke sind die Atomkraft-
werke. Im Inneren brennt das ewige Licht. In diesem Sinne ist der Monopteros im Englischen Garten als Vorläufer des dortigen Atomkraftwerkes anzusehen.
Alle zehn Jahre verdoppelt sich der Energiebedarf der Haushalte. Der heutige Anschlusswert von 30 KW lässt auf eine rasante Beschleunigung der Kult-u(h)r hoffen. In fünfzig Jahren erreicht ein Haushalt die Megawattgrenze. Weitere Jahrzehnte werden vergehen und die Tempel zur einzigen Bauform werden lassen: Für jeden Haushalt einen 1.000 MW-Reaktor!
Aber längst davor müssen die Häuser niedergerissen werden, da sie die Kupferkabel für diese Energiemenge nicht mehr tragen können. Alle Gärten werden zu Entsorgungsparks. Schnell orga-
nisiert sich die Priesterschar zur Kulthandlung: das ewige Licht wird zu den fließenden Gewässern getragen – Weihe der Natur – um es über die ganze Welt zu verbreiten.
Wir haben im Englischen Garten gespielt. Wir hätten auch für uns gespielt, um uns unsere Ängste vorzuspielen. Wir haben uns die Masken der Gespenster aufgesetzt, vor denen wir uns fürchten. Da waren die Wissenschaftler, die das Atomkraftwerk aufbauten. Sie hatten Totenköpfe auf. Für uns ist es Realität, dass die Wissenschaft da ist, um jedes Leben zu ersticken, den Plan zu erstellen, alles zum System, zur Maschine werden zu lassen. Wir haben Angst, selbst Wissenschaftler zu werden, jene Totenköpfe zu tragen und nurmehr zur Arroganz gegenüber unseren Gefühlen fähig zu sein. Deshalb sind wir Ketzer in das Gewand geschlüpft – und um das Ketzertum zu feiern! Andere waren die silbernen Engel des Todes – Vorboten unserer Kinder, eine Generation, die in Strahlenanzügen aufwächst. Sie begleiteten den roten Plutoniumtransportwagen – das Symbol des Fortschritts – über die noch grünen Wiesen.
Die Entsorgungsanlagen (Wiederaufbereitungsanlage) veränderte die Menschen. In sphärischer Musik wurde die Entseuchung veranstaltet. Die, die rauskamen, hatten neue Gesichter – schreck-
licher als die alten Masken.
Endlich – der lebensspendende Quell verheißt das neue Paradies … vorbei der grüne Alltag, bunt drehen sich die Hundeauslaufmaschinen im silbernen Licht der Strahlenanzüge. Entzückt taumelt das Getier in der Trommel. Die Menschen beten den Götzen an, das Feuerrad, das die Städte nie-
derwalzt, über die Fabriktore springt und das Leben mit zuckenden Signalen blendet.
Die Sonne schien herab auf die imposante Feier zur Grundsteinlegung und zum Richtfest des Reaktors Monopteros I. Erhebliche Prominenz war anwesend: Drei-Kerne-General Pluto Nium schwang den Knochen im Takt der Atomnationalen, gesungen vom stimmgewaltigen Chor der Völker.
Der schnelle Brüter, der gefährlichste Reaktortyp, war ein silberner Hahn. Er legte Atomeier. Wie zufällig! Ist es doch nur mit Hilfe dieser Höllenmaschine möglich, neue Atomreaktoren zu bauen. Wenn das Uran in dreißig Jahren zu Ende ist, muss eben neues erbrütet werden. Anschließend konkurrierten die Völker beim Atomeierlauf.
Die Ketzerei besteht eben darin; dass alles real war — nur eben utopisch. Wir haben die Zukunft auf die Wiese gesetzt – und die Menschen gezwungen, ihre eigene Zukunft zu sehen – und das Ungeheuer zu erkennen, in dessen Rachen uns der „unvermeidbare“ technische Fortschritt hi-neinführt.
Der Gesellschaft ihren eigenen Wahn am hellichten Tag entgegenzuhalten, wird zum verlängerten Alp, der nachts auf der Brust sitzt, der aber tagsüber abgeknallt werden soll.
Innerhalb dieser action können, dürfen „unerlaubte“ verrückte Assoziationen entwickelt werden. Sie verfliegen nicht durch Realisierung, durch Verknüpfung mit vorhandenen Möglichkeiten er-
halten sie Gestalt, Wirklichkeit. Dann erfährt man plötzlich, dass man sich mittels dieser Utopien verständigen kann, denn sie entstanden aus dem Vorhandenen. Es macht Spaß, ungeheuer viel sogar, Verwirklichungsmöglichkeiten zu finden, die Kreativität entspringt einem selbst ohne Zwang, Träume werden weiter gedacht. Denken erfolgt in anderen Strukturen als den gelernten. Das „Nichtfunktionieren“ einer gedachten, geträumten Maschine ist kein Hindernis mehr, sie zu verwirklichen.
Aus der Menge derer, die an der Aktion teilnahmen oder zuschauten, stachen bald zwei Personen hervor, die durch systematisches Fotografieren und Abschreiten der versammelten Gruppe auffie-
len. Diese wie sich später herausstellte – Angehörige der politischen Polizei (PoPo) hatten es of-
fensichtlich auf Provokation angelegt. Sie fühlten sich weder genötigt sich als Polizisten auszu-
weisen, noch waren sie bereit ihre „Materialsammlung“ einzustellen.
Eine Frau, die nun versuchte ihrerseits die PoPo’s zu fotografieren, wurde von einem der beiden tätlich angegriffen. Andere Teilnehmer, die der Frau zu Hilfe eilten, wurden durch zwei Warn-
schüsse und die auf sie gerichteten Waffen in Schach gehalten. Im Nu kamen zwei Streifenwagen über die Wiese, wie üblich sollten einzelne Leute herausgegriffen werden. Das konnte jedoch durch Kettenbildung verhindert werden.
Unter dem lautstarken Protest der Teilnehmer sprangen die PoPo’s ängstlich in die Polizeiautos und zogen sich vorläufig zurück.
Schon vorher waren an den Ausgängen einige Mannschaften in Stellung gegangen. Nach dem Verlassen des Parks wurden in einem handstreichartigen Überfall mehrere Personen festgenom-
men. Der Grund: Der von den PoPo’s provozierte Zwischenfall. Die Festgenommenen haben nun wegen angeblicher Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung mit einem Prozess zu rechnen.
Der von der immer objektiver berichtenden Münchner Presse als Hauptschläger bezeichnete Manfred R., der nach den Vorfällen im Englischen Garten verhaftet worden war, ist übrigens von seinem Arbeitgeber, Geyer-Werken in Unterföhring, gekündigt worden. Er befand sich noch in der Probezeit. Die Entlassungsprozedur scheint schneller vor sich gegangen zu sein als üblich: Norma-
lerweise erkundigt sich die Personalstelle nach einer Woche beim direkten Vorgesetzten des Arbei-
ters nach dessen Eignung. Das ist in diesem Fall nicht passiert.
Auch bei der polizeilichen Vernehmung scheint es etwas seltsam zugegangen zu sein: Ein Verneh-
mungsbeamter soll das Verhör mit den Worten begonnen haben: „Aufstehn! Ne Schlägerei gibts jetzt!“ Weiterer Hinweis dieses Herrn: „Jeder Fluchtversuch wird mit dem Tod bestraft.“
Der Polizeiapparat suchte vergeblich eine Organisation und eine Eindeutigkeit, die ihre Maschine in Gang setzen könnte. Um unsere Phantasie die ihnen – zumal am 19. Februar – verdächtig er-
schien, in den Griff zu kriegen, setzte sie alles daran, um uns ihre Realität überzustülpen.
Zur Eskalation kommt es durch die Angst der beiden Polizisten, von Unbekanntem vereinnahmt zu werden, infiziert zu werden vom Spiel, dem, was nicht in vorauszusehende Aktionsformen und bekannte darauffolgende Reaktionen einzuordnen ist. So können sie sich in ihrem Auftrag nicht spontan verhalten und sind einzig auf gelernte Reaktionen angewiesen, die eingesetzt werden können, als sie meinen, vom Fotoapparat angegriffen zu werden. Das ist die Angst vor dem Verlust des Feindbildes, an das sie sich klammern wie an die Fotoapparate, die sie als bedrohliche Waffe benützen und letztlich durch die Pistole ersetzen. Das Heben der Kamera der jungen Frau wird von ihnen als Aggression empfunden, weil sie selbst den Apparat nur so benutzen können. Das Entrei-
ßen der Kamera und das Ziehen der Waffe ergeben eine konsequente Handlungsfolge. Die Pistole ist der letzte und der unangreifbarste Halt der Polizei, an der sie sich aufrichtet. Im Moment der Rangelei und der Schüsse ist sie es wieder, die die Situation bestimmt. Wir können und wollen nicht zulassen, unser Leben von der Polizei programmieren zu lassen.
Unser Problem aber bleibt, dass wir nicht wissen, wie wir dem Niveau der Polizei gegenübertreten oder entgehen können. Das zeigte unsere Hilflosigkeit am Ende der Aktion: Wir wurden gezwun-
gen einen „Rückzug“ anzutreten, der ganz sicher naiv angelegt war – und es der Polizei ermöglichte eine Menschenjagd zu eröffnen. Dazu sollten wir uns was einfallen lassen. Für ein ander Mal!
Sieben Zwerge sind nicht nur hinter den sieben Monopterosbergen!
Die Berg-Zwerg-Siebtion
Um rechtliche Schritte einleiten zu können gegen gewisse Teile unserer Ordnungsmacht, ist es wichtig, dass sich die Leute, die Zeugenaussagen machen oder Erlebnisberichte verfassen könn-
ten, beim Blatt melden. Das gilt für die Vorgänge im Englischen Garten und für die auf bzw. neben den bayrischen Autobahnen. Wir wollen zwar nicht immer nur auf die Schweinereien der Bullen reagieren, sehen aber auch nicht ein, warum wir uns alles gefallen lassen sollen. Informa-
tionen bitte nicht telephonisch, sondern schriftlich oder kommt selber im Blatt vorbei.
Blatt – Stadtzeitung für München 89 vom 4. März 1977, 8 f.