Materialien 1977

Müllmutanten

Wenn endlich sich die Industrie,
von Staatscomputern bilanziert,
verselbstständigt auf dieser Welt
und völlig sinnlos produziert,
weil längst der Mensch als Kunde fehlt,
dann seh’ ich dies als Utopie:

Heftig werkten Biologen,
- denn der Mensch muss überleben! -
als die ersten Säureregen
über’n Erdenhimmel zogen.
Und sie wechselten die Gene,
tauschten aus die Chromosomen,
Riesen, Zwerge, Kasperl, Gnomen
bildeten die erste Szene.

In der zweiten schauten grause
Ungeheuer durch die Fenster
der Labors und Schreckgespenster,
Frankenstein wirkt als Banause.
Erst die dritte Reihe brachte
endlich doch noch die Mutanten,
die ein Team von Hirnverbrannten
für die Industrie erdachte:

Stickstoffatmer, Säuresäufer,
Asphaltschlecker, Erdgasfurzer,
Schrottzerbeisser, Eisenscheisser,
Kunststoffkauer, Rohölpisser,
Kernreaktor-Abfallschlucker,
Kernreaktor-Brennstoffkacker
und noch viele neue Rassen
von uns heut noch unbekannten

M ü l l m u t a n t e n ,
nun als Rohstoff-Lieferanten.

Und auf unfruchtbarer Erde,
leblos wüster, bauen eilig
Roboter, ganz unbeteiligt,
Möbel, Autos, Küchenherde.
Emsig rattern die Fabriken
und man kann aus ihren Toren
quellend Züge, wie verloren,
gütervollbepackt erblicken.

In den Städten, hellerleuchtet,
stehen angefüllt Geschäfte,
Proteine, Kunstfruchtsäfte,
Abwaschtücher, angefeuchtet.
Erst zur Jahreswende karren,
wegen Inventur und Steuer,
alles schuttwärts die Betreuer,
wo schon wir Mutanten scharren:

Giftstaubsauger, Schnapsverheizer,
Schmuckschmarotzer, Nuggetkotzer,
Bücherfresser, Zellwollschwitzer,
Schmierölsammler, Robotrammler,
Stahlbetonruinenknacker,
Frühkulturdenkmalzerhacker
und noch viele neue Arten
von kaum vorstellbar aparten
M ü l l m u t a n t e n ,
auch wenn’s schwerfällt
unsere Verwandten.

Wachstum, Wachstum weiterführen,
endlich nur noch produzieren!
Wachstum, Wachstum weiterführen,
weiter, weiter industrieren.
Nicht mehr sich an den Allüren
blöder Käufer orientieren.
Wachstum, Wachstum weiterführen,
Subventionen investieren,
ratio – nalisieren
Ratio ad absurdum führen,
gänzlich den Verstand verlieren,
gänzlich den Verstand verlieren.

Julius Schittenhelm 1976


Julius Schittenhelm, Müllmutanten, LP 1978.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Atomkraft

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