Materialien 1977

Diese Stadt braucht Atomkraftwerke

- wir wollen eine andere Stadt

Letzten Dienstag (am 15. November) wurden Tausende von Fragebögen an Münchner Haushalte verteilt. Es wurden darin Fragen über die Möglichkeit des Schutzes der Bevölkerung vor atomaren Katastrophen gestellt. Fragen die verwirren und verunsichern sollten. Verwirren die, die in der städtischen Bürokratie, im Katastrophenschutzamt und an anderen entscheidenden Stellen, der Bevölkerung glauben machen wollen, dass ein menschenwürdiger Schutz vor einem atomaren Unfall möglich sei. Verunsichern die, deren blindes Vertrauen in die staatliche Obrigkeit so groß ist, dass sie aufgehört haben, sich eigene Gedanken zu machen.

Die Fragebögen wurden als raffiniertes Täuschungsmanöver bezeichnet. Das Schauspiel, das zur Zeit in den Massenmedien und der Öffentlichkeit inszeniert wird, um das gigantische, wahnsinnige Projekt der Kernenergie durchzusetzen, ist ein viel raffinierteres Täuschungsmanöver. Nicht die Fragen sind dämlich, sondern die Reaktion darauf, die verschweigt, dass die Frage nach dem Verhalten bei einem mehrmonatigen Aufenthalt auf beschränktem Raum bald bitterer Ernst sein kann.

Jeder Sicherheitsexperte und jeder klar Denkende wird bestätigen, dass ein Katastrophenschutzplan nur dann sinnvoll ist, wenn er bekannt gemacht und eingeübt wird. Der Katastrophenschutzplan der Regierung von Oberbayern für das Kernkraftwerk Isar I in Ohu wird nicht veröffentlicht, sondern geheimgehalten. Der Grund dafür kann nur sein, dass es überhaupt keinen Schutz für die Bevölkerung gibt.

Wir wollen leben, aber nicht in einem Bunker – auch wenn diese Stadt vor lauter Beton schon ein halber Bunker geworden ist. Das Risiko von Zehntausenden von Toten wird in Kauf genommen zugunsten eines technischen und scheinbar zivilisatorischen Fortschritts, der fortschreitet, bis die Erde für Menschen unbewohnbar geworden ist.

Wir wollen überleben und werden erreichen, dass Tausende von Maulwürfen alle Kernkraftwerke untergraben und zum Einsturz bringen. Ist das geschehen, werden wir die Hochhäuser quer legen und auf den Straßen Bäume pflanzen.

ein paar Freunde der Menschen und der Erde


Blatt – Stadtzeitung für München 109 vom 2. Dezember 1977, 6.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Atomkraft

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