Materialien 1977

Walpurgisnacht

Frauen hört ihr Frauen schrei’n …

Frauenlachen, Fackeln, die die Nacht zum Tag machen – ein langer Zug von Frauen, der sich vom Stachus aus in Bewegung setzt. Es hat keine Rolle gespielt, mit welchem Anspruch kommt die Frau, bei der du dich gerade unterhakst, zu einer Demo mit dem Thema „Vergewaltigung“. – Du hattest einfach ein Gefühl der Geborgenheit, der Stärke, unter so vielen Frauen (ca. 1.000), du konntest mit ihnen was anfangen, das heißt, sie waren noch nicht tot, noch nicht abgestumpft gegen sowas wie Demonstrieren; demonstrieren hatten viele Frauen so begriffen, als sich darstellen: Hexen mit Besen, mit Masken aus Gips, unter denen du ein Gesicht nicht wiedererkannt hast, was wieder auch frei zum losgelösten Reagieren auf Männer gemacht hat, die da in einer Voyeur-Position am Straßenrand standen und einige Frauen immer wieder malträtiert haben, auch zum tätlichen Angriff übergingen.

Begleitet von Topfdeckeln, von Trommeln, von Krach überhaupt, haben wir uns an den Parolen heiser geschrieen:

♀ Frauen, kommt her, wir tun uns zusammen, Frauen kommt her.
♀ Frauen hört ihr Frauen schrei’n, dann laßt sie nicht allein.
♀ Frauenrollen, Männerrollen, kommen jetzt ins Rollen, das ist es, was wir wollen.

Viele sind auch auf unser „black-lips“-Lied eingegangen und haben mitgesungen: „Doch wir sind Frauen, wir wollen leben, jetzt endlich Schluss mit der Angst und der Einsamkeit, das, was wir haben, wollen wir uns geben, hey, Frauen, das ist unsre Zeit! …“

So wohl ich mich auf der Demo als Teil einer Frauenbewegung, die spürbar war, gefühlt habe, so übel sind mir einige Sachen in der Walpurgisnacht hochgestiegen: Für mich war die Vorstellung, sich eine Nacht zurückzuerobern faszinierend. Und bei diesen Wünschen, bei diesen Phantasievorstellungen , dass ich mich als Frau nachts so weit entfalten kann wie meine Träume mir das vormalen, habe ich mich auf der Demo unheimlich eingeschränkt gefühlt – Da waren die Ordnerinnen vom Frauenzentrum, die dich auf den „richtigen“ Weg gezogen haben, die Route, die vom Ordnungsamt vorgeschrieben war, die Route, die durch stille Schwabinger Nebenstraßen führte, in denen keine Frauen, keine Nutten schrei’n, die von Männern, Zuhältern, Kunden, als Objekte angemacht werden, geprügelt werden.

Wir waren vorm Puff am Stiglmaierplatz – 10 Frauen von 1.000! – haben unsere Lieder gesungen, unsre Parolen vom Stapel gelassen, kaum waren wir von diesem verdammten Puff weg, standen schon die Bullen da. Bullen, die Inkarnation des patriarchalischen Staatsapparats haben uns „beschützt“. Zwischen Frauen, die mit Angreifern von außen im Clinch waren, standen Ordnerinnen, sie zurückzuhalten, vor den Ordnerinnen standen die „Herren“ Polizisten, um die schwachen 1.000 Frauen vor einem Angreifer zu schützen. (Das war die Situation vorm „Stop In“, als der Frauenzug es zuließ, daß ein einzelner Anmachertyp von Bullen abgetastet und kontrolliert wurde. Warum hat der Zug nicht gestoppt, bis das Gerangel zwischen Frau und Mann zu Ende war?) Etwas pervers auf einer Demo, bei der sich Frauen eine Nacht zurückerobern, sich selbst beschützen. Wollen Frauen selber agieren oder wollen sie die Staatsmacht als „Beschützer“ stabilisieren, ausdehnen??

Ich hätte Lust gehabt, Frauen diskriminierende, ekelerregende Kino- – sonstige Plakate runterzureißen, bunt anzusprühen. Denn wo setzt unsere Vergewaltigung denn ein, doch nicht erst dann, wenn uns ein Typ aufs Kreuz legt und wir uns nicht mehr wehren können. Wir sind permanent vergewaltigt, haben Vergewaltigung schon so weit gefressen, dass wir uns ständig selbst beschränken. – Welche Frau zieht schon in einem weiten Rockfetzen nachts durch den Englischen Garten, wenn’s ihr danach ist? Welche Frau stürzt   sich allein ins „Nachleben“, um irgendwo in einer Kneipe genüsslich ein Schnitzel zu verzehren und Frauen, Typen neugierig anzugucken oder irgendwo ausgeflippt rumzutanzen oder zu singen?

Vollkommen ernüchternd war auch die Kundgebung an der Münchner Freiheit. Eine Frauenzentrumsfunktionärin hatte es sehr nötig, sich nach zwei Szenen unseres Frauenstücks von „Carla, der Terroristin“, öffentlich zu distanzieren mit folgenden Worten: „Das Stück ist weder vom Frauenzentrum geplant, noch hat es was mit ihm zu tun!“

„Weitermachen!“ – haben die Frauen gerufen. Sie haben eine Funktionärin mit Megaphon nicht nötig.

Unser Weg war vom Frauenzentrum geplant, unsere Aktionsformen waren vom Frauenzentrum geplant – wann werden sich Frauen befreien? Wann werden sie den wohlwollenden Schutz eines patriarchalischen Staatsapparats nicht mehr brauchen?

Ein schwarzer Kuss für Sigi


Blatt – Stadtzeitung für München 94 vom 10. Mai 1977, 6.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Frauen

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