Materialien 1977
Frauenaktion in der Uni
(wer hätte das gedacht?)
Ich gehe täglich in die Universität und werd dabei noch blöd, anstatt dass ich sie sprengen tät.
Viele von uns kennen die Leere, die Angst, die Hilflosigkeit, die die Verkrüppelungsmaschinerie, genannt Universität, im Namen einer Wissenschaft, die das Wissen über uns selbst abschafft, erzeugt. Die Versuche, uns zu wehren, sind in ihrer Vereinzelung kaum noch wahrnehmbar und bekannt. Aber sie sind da. Auch im Rahmen theoretischer Arbeiten, was uns freilich, geplagt von Wahrheit predigenden AK-Aposteln, kaum noch möglich schien. Die Suche nach uns selbst steckt auch dort, wo wir denken. Dies ist gerade für uns Frauen wichtig, weil wir von diesem Bereich des Lebens durch unsere Erziehung ferngehalten werden sollten und wenn wir es „geschafft“ haben, sind wir den Strukturen patriarchalischer Wissenschaft ausgesetzt, die uns den Rest unserer Identität rauben sollen.
„Philosophieren als Frau, das bedeutet soviel wie die Existenz des Nichts zu beweisen. Dieses rätselhafte Sein ist NICHTS als die Verdrängung des Weiblichen, es ist seine Existenz. Die Philosophin überschreitet die Grenze nicht, sie ist die Grenze.
Wer hätte das gedacht? (Zitat aus der Arbeit). Fünf Jahre Arbeit, fünf Jahre Entwicklung, eine Frau schreibt Ihre Doktorarbeit „Das Rätsel“. Ein Versuch, pervertierte Wissenschaft auf die Spitze zu treiben, sie umkippen zu lassen, zu neuen Gedanken, neuen Formen zu kommen. Das Stipendium läuft aus. Sie geht zu ihrem Doktor vater. Ihm „gefällt die Arbeit“. Er verspricht, mit dem Ordinarius des Instituts darüber zu reden. Frau fährt in Urlaub. Als sie zurückkommt, findet sie einen Brief, der ihr in ein paar Sätzen mitteilt, die Arbeit könne nicht angenommen werden. Für den väterlichen Doktor ist die Sache erledigt. Scheint so. Das Semester beginnt. Er wird weiter mit linkem Selbstverständnis Seminare leiten, die den gleichen Leidensdruck verbrämt mit anderen Inhalten produzieren. Er leitet. Starr sitzen die noch nicht fertigen und noch nicht ganz fertiggemachten Produkte der Verkrüppelungsmaschinerie.
Da wird die Tür geöffnet und zwölf verschleierte Frauengestalten betreten schweigend den Raum Ein verunsicherter Blick des Seminarleiters und dennoch: das Seminar läuft und läuft und läuft. Zwölf Schleier werden zurückgeschlagen, zwölf Bananen werden langsam enthäutet, zwölf Symbole werden von entschleierten Frauenmündern vernichtet. „Seid ihr blind?“ fragt die Verfasserin des „Rätsels“, als das Seminar scheinbar ungestört weiterläuft. Nein. die Diskussion soll nicht auf später verschoben werden, wir wollen uns nicht mehr in das Korsett des „Alles zu seiner Zeit“ zwängen lassen. Die Autorin erzählt ihre Geschichte. Über ihren Versuch, Ansätze einer weiblichen Philosophie zu finden. Über Reaktionen des Doktorvaters, dem die Arbeit gefällt, aber der nicht weiß, ob sie auch anderen gefällt. Der für neue Formen plädiert und zurückschreckt, wenn er sie trifft. Der auf seine Schwierigkeiten mit einer ungewöhnlichen Ablehnung reagiert. Der trennen will, den Inhalt von der Form und das wiederum von seinem Vorgehen. Die Frauen wollen sich einer solchen Diskussion nicht stellen. Sie wollen nicht mehr in die Tabuzone, aus der sie ausgebrochen sind, zurück. Auf die beschwichtigenden Versuche des verunsicherten Seminarleiters wollen sie sich nicht einlassen. Die „Doktortochter“ bricht aus dem scheinbar geordneten Rahmen einer solchen Diskussion aus. Sie wird laut, sie schreit ihre Empörung in den Raum. Die Bananenschale fliegt hinterher. Die Reste des enthäuteten und vernichteten Symbols landen auf dem Tisch, auf dem Konzept, zu Füßen des Seminarleiters. Zwölf entschleierte Frauen verlassen den Raum. Man hört sie hinter geschlossener Tür laut lachen.
So geschehen in den Räumen der Ludwig-Maximillians-Universität zu München anno Mai 1977.
Was uns geärgert hat: dass wir zunächst von den Seminarteilnehmern den Eindruck von blinden Taubstummen hatten. Außer Reaktionen wie rausgehen und Türe zuschmeißen, kam, als wir drin waren, nichts zu uns rüber.
Was uns gefreut hat: dass unser Bild doch nicht stimmte und nach unserem Abgang noch eine längere Diskussion stattfand, in der der Seminarleiter auch von den Studenten angegriffen wurde. Es kam also doch was rüber.
Blatt – Stadtzeitung für München 94 vom 10. Mai 1977, 11.