Materialien 1977
Männerbilder
Es scheint so, als ob sich auf der Münchner „Männerszene“ überhaupt nichts mehr tut. Die Zeiten, in denen sich spontan „massenhaft“ Männergruppen gebildet haben, scheinen vorbei zu sein. Ich höre immer wieder, dass Gruppen sich aufgelöst haben und keiner so recht weiß warum. Ich treffe Männer, die in Männergruppen waren, enttäuscht sind und sagen: das bringt’s auch nicht.
Nun finde ich Ent-Täuschungen prinzipiell gut, weil in ihnen die Chance liegt, die Realität besser zu sehen bzw. zu organisieren. Wenn sie allerdings in Resignation münden, werde ich aggressiv. Nach Ausstieg aus einer Männergruppe, nach Besinnungs- bzw. Verarbeitungsphase sehe ich immer noch die Notwendigkeit von Männergruppen. Und ich hab’ immer noch Lust, mit Männern was zu machen.
Im Blatt waren einige Selbstdarstellungen von Männern und Männergruppen abgedruckt. Aber es gab kein Echo darauf, keinen Bezug darauf, keine Kritik. Es scheint so, als seien wir so verletzlich solidarisch, dass wir alles, was aus „unserer“ Ecke kommt, einfach stehen lassen. Die Kritik, die wir bitter nötig hätten, um die angefangene Entwicklung fortzusetzen, bleibt draußen.
Den Grund für den Mangel an öffentlicher Diskussion bzw. Kritik (in einer anderen als der bürgerlichen Presse, die das Thema „Männeremanzipation mittlerweile sanft am Rande und ganz schön reaktionär vermarktet) sehe ich darin, dass unsere Selbstdarstellungen unehrlich und unoffen sind, ängstlich auf Imagerettung beschränkt. Keine® soll uns am neuen (?) Zeug flicken.
Ich werde, ob ich will oder nicht, wütend, wenn ich lese: „Ich glaube, dass diese koituslose bzw. beschränkte (!!!) Sexualität die wirklich befreiende Sexualität darstellt“ und das in Verbindung damit, dass „Frauen mit nichtvaginalem Orgasmus … gefühlvoller (sind) als Frauen mit vaginalem Orgasmus“ (Blatt 84). Empfindest Du das wirklich, Leo, und lebst Du das gern, oder hättest Du’s gern so, weil es so ungefährlich und alternativ klingt? Was würdest Du denken, wenn eine Frau schriebe, „Ich finde Männer mit Hodenorgasmus viel sensibler als solche mit Penisorgasmus“?
Mann muss nicht gleich rückfällig geworden sein, um begreifen zu können dass jede Art „beschränkter Sexualität“ niemals „befreiend“ sein kann. Ich kann jedenfalls keine Befreiung darin sehen, die Chauvi-Beschränkung auf den Schwanz und auf die Frau als Fickobjekt auszutauschen gegen die von Dir genannte Beschränkung.
Ich vermute, wir haben uns ganz schön aufgebaut, mit Selbstdarstellungen und Männerbildern. Es bleibt aber die Frage, wieweit diese Bilder der Wirklichkeit unserer Bedürfnisse und Möglichkeiten entsprechen – ob wir als konkrete Subjekte in ihnen mehr auf- oder an ihnen vorbeigehen. Diese Frage beantwortet sich nur aus der permanenten Auseinandersetzung heraus (was nicht Zerfleischen heißen muss), denn „… der neue Mann ist nicht der passive ‚feminine’ Typ, der sich der alten Männerrolle lediglich verweigert. Dieser ist nur Negation – der alte Mann in verkehrter Form. Der ‚neue Mann’ wird der sein, der … sich in veränderter Weise AKTIV verhalten kann.“ (Leserbrief in Schwarze Protokolle 8, S. 70)
Vermutlich muss sich jede Bewegung, die sich als „anders“ begreift, anfangs „aufbauen“, um sich ihre Daseinsberechtigung nach innen und außen zu legitimieren. Weiter kommen wir aber nur, wenn nicht die legitim erscheinenden Gefühle aus dem Kopf abgeleitet werden (wozu ich auch sehr neige), sondern wenn sich die Gedanken aus dem realen körperlichen Sein ergeben. Alles andere ist zwanghaft und damit falsch.
Ich komme zu dieser Behauptung, durch mein dreijähriges Sein in einer Männergruppe. Wir haben da über uns geredet, darüber, wie wir das, was wir sind, geworden sind und wie wir uns ändern können. Wenn’s gut ging, haben wir mal gestreift, wie wir uns gegenseitig sehen. Das waren für mich Ansatzpunkte konkreter Veränderung. Ich habe mich selbst aus viel mehr möglichen Blickwinkeln gesehen als vorher, konnte mich ohne großartige, theoretisch umrankte Schnörksel meinem Narzismus stellen und mit ihm umgehen lernen, kriegte mehr Selbstwertgefühl und wurde dadurch etwas offener.
Allmählich verdichteten sich aber durch das Nur-Reden die Eigen- und Fremdbilder wiederum zu starren Blöcken. Jeder meinte nun den anderen zu kennen und behandelte ihn als: Ach-ja-Du-mit-Deinem … Damit war jede weitere Entwicklung blockiert. Es bildeten sich neue, feste Rollen, was uns allen bewusst war, was wir aber auf unsere Weise nicht ändern konnten.
Und hier komme ich wieder auf die fehlende Auseinandersetzung der Männergruppen z.B. im Blatt zurück. Liegt das vielleicht auch daran, dass jede ängstlich an ihrem Bild poliert und sich nicht offen zu zeigen wagt, weil sie dann ihr geliebtes Selbstbild korrigieren müsste? Soll die Vermittlung von Erfahrungen und die Auseinandersetzung darüber daran scheitern, dass wir in unserem geheimen Größenwahn zu feige sind, zu erkennen zu geben, dass wir so fürchterlich emanzipiert noch gar nicht sind, wie wir uns selbst gern sehen würden? Was haben wir denn zu verlieren, außer unserer Verklemmungen und der Ich-bin-der-Liebste-Rolle, in der wir uns auch nicht wohlfühlen.
Wir haben ein bisschen mehr Eitelkeit und Bezug zu unserer Realität – sprich: Leben – zu gewinnen. Wir haben Ignoranz zu verlieren und „Empfindsamkeit“ (nicht: Empfindlichkeit) zu gewinnen.
Blatt – Stadtzeitung für München 87 vom 4. Februar 1977, 15.