Materialien 1977
„Ihr Auftritt - Donja Margarida“
Die Kritikerin der AZ konnte sich nicht verbeißen, ihre reaktionären Gedanken kund zu tun. So dann auch ihre Kritik, die eigentlich gar keine ist, sondern pure Gemeinheit. Ist ja auch verständlich, solche Menschen sind auch ein Produkt ihrer heißgeliebten Gesellschaft und man/frau braucht sich nicht zu wundern, wenn man sie darauf aufmerksam macht, und sie dann sauer werden, oder es einfach ignorieren. Schade ist nur, dass die Leser doch auf Kritiken einigen Wert legen, sonst wäre das Stück besser besucht. Csaba Antal
Diese Kritik an der Kritik von Carna Zacharias’ Kritik an dem Stück: „Ihr Auftritt Dona Margrida“ (im Theater 44) flatterte uns in die Redaktion. Daraufhin schauten wir uns das Stück an. Geschrieben wurde es von dem Brasilianer Roberto Athayde, uraufgeführt 1973 in Rio de Janeiro.
Es handelt von zwei „Schulstunden“, gehalten von der Lehrerin „Dona Margarida“, die, getreu dem geltenden Lehrplan, der bestehenden Ordnung und den Normen der Leistungsgesellschaft ihren „Lehrstoff des Lebens“ ausbreitet.
Nun, Brasilien, Militärdiktatur ist weit weg – liegt in Südamerika.
Und bei uns: genormte, bis ins letzte geregelte Lehrerausbildung sorgen für das unkritische Übernehmen gesellschaftlicher Werte und Normen. Selbstmorde wegen schlechter Zensuren, erbitterter Konkurrenzkampf um Lehrstellen und Studienplätze, Psychopharmaka, Alkoholismus sind Ausdruck und Ergebnis eines „Erziehungsprogramms“, welches einem die Wahl lässt zwischen Anpassung und Ausflippen. Lehrer/innen, die dieses Programm aufbrechen wollen, bekommen keine Anstellung (Berufsverbot). Die anderen passen sich langsam aber sicher an, werden zu Autoritäten, oft genug sadistischen und schizophrenen Vor-Bildern. Sie lehren dem Schüler alles, „was nötig ist, um im Leben vorwärts zu kommen. Es ist dasselbe, was nötig ist, um in der Schule vorwärts zu kommen. Es handelt sich um Unterschleif, Vortäuschung von Kenntnissen, Fähigkeit, sich ungestraft zu rächen, schnelle Aneignung von Gemeinplätzen, Schmeicheleien, Unterwürfigkeit, Bereitschaft, seinesgleichen an die Höherstehenden zu verraten usw. usw.“ (B. Brecht). So auch Dona Margarida – Irmhild Wagner spielt die Lehrerin hautnah – aber sie zeigt auch ihre Zerrissenheit. Sie zeigt, dass sie ein Mensch ist, der diese „Erziehung“ genossen hat, der noch dagegen rebelliert – irrational.
Unerbittliche Strenge, sanft – doch sofort herrschsüchtig, um die Schwäche vergessen zu machen. Erotisches Verhalten, sexuelles Verlangen – nahezu lüstern, gleich wieder Zucht und Ordnung verlangend – wer kennt nicht aus seiner Schulzeit solche Situationen.
Mir fiel meine Biologielehrerin ein. Sie kam oft mit tiefem Dekolletee. Ganz „scharf“ waren wir, mal einen Blick riskieren zu können. Wenn einer erwischt wurde, musste er nachsitzen.
Dona Margarida zeigt die Schizophrenie von Erziehung und Ausbildung, zeigt die Widersprüche von gesellschaftlichen Zwängen und individuellem Verlangen, zeigt Rollenverhalten bis zur Unkenntlichkeit – zeigt die Vergewaltigung von Schülern und Lehrer/innen durch unmenschliche Normen.
Rantol
Blatt – Stadtzeitung für München 95 vom 3. Juni 1977, 19.