Materialien 1977

Kulturreferat und Staatsschutz: Auf gute Zusammenarbeit

Die These, dass der Staatsschutz während der Nachrichtensperre im Herbst all das nachgeholt hat, was er seit langem geplant hat, aber mit Rücksicht auf die liberalen Teile der Öffentlichkeit nicht opportun erschien, bestätigt sich am Beispiel einer Studie über Videogruppen in München. Diese Studie hat der Verein „Medien vor Ort“ (MVO) im Auftrag des Kulturreferats München erstellt. Beispielhaft und für manche Leute sicherlich auch „richtungsweisend“ ist an dieser Geschichte vor allem die Zusammenarbeit des Kulturreferats mit den Staatsschutzorganen.

Vorgeschichte:

Als Herr Kolbe im Jahre 1976 zum neuen Kulturreferenten Münchens ernannt wurde, versprach
er unter anderem eine großzügige Unterstützung engagierter Videogruppen in München, um fort-
schrittlichen Vorbildern aus USA, Canada und England nachzueifern und damit auch seine eigene Fortschrittlichkeit unter Beweis zu stellen. Kolbe, von dem es heißt, er arbeite weitgehend ohne Konzept, dafür aber mit spektakulären Knalleffekten, wollte Video zunächst hauptsächlich zur Förderung von Stadtteilarbeit einsetzen.

Es wurden an drei Gruppen je DM 3.000.— für eine Stadtteilwochenschau ausgegeben, außerdem eine Studie bei dem neugegründeten Verein „Medien vor Ort“ in Auftrag gegeben. Die sollte einen Überblick über ausländische, nationale und besonders Münchner Video-Gruppen verschaffen und den Gruppen selbst Gelegenheit geben, ihre Arbeiten Projekte, Produktionsmittel und Ziele darzu-
stellen. Praktisch alle angesprochenen Gruppen und Personen erklärten sich bereit, dafür ausführ-
liche Informationen zur Verfügung zu stellen, weil sie hofften, dass dadurch eine dringend notwen-
dige Zusammenarbeit z.B. hinsichtlich des Gerätepools gefördert werden würde. Später sollte die Studie darin mit Mitteln aus dem Kulturreferat veröffentlicht werden. (Das ist für dieses Jahr geplant.)

Einige der Gruppen, vor allem wohl die, die Video für politische Arbeit benutzen, haben ihre Zu-
sammenarbeit mit dem Kulturreferat schwer bereuen müssen.

Das Kulturreferat als Informant der Staatsschutzorgane

Die Studie wurde mit einem Umfang von etwa 200 Seiten im Mai 1977 fertiggestellt und in zwei Exemplaren dem Kulturreferat überreicht. Projektleiter war Rudolf Huber, treibende Kraft dahin-
ter wohl Dr. Richard Dill, SPD, Auslandsprogrammdirektion BR, Rundfunk- und Fernsehsatelli-
tenexperte, als Hobby betreibt er Kabelfernsehstudien. Das Letztere dürfte auch Dills Interesse am Video begründen. (Über den Zusammenhang zwischen Video und Kabelfernsehen – die Post ist bereits dabei, in Haidhausen und rund ums Patentamt ihre Kabel zu legen – in einer der nächsten Blatt-Nummern). Dass Dill und die MVO den Auftrag für die Video-Studie bekamen, ist sicher kein Zufall, hat er doch einen guten (und verwertbaren) Überblick über das, was in der Video-Szene läuft.

Im September nun, zur Zeit der Schleyer-Entführung, trat Polizeipräsident Schreiber persönlich an das Kulturreferat heran. Die Polizei arbeite ja auch mit Video und wolle nicht auf die Erfahrungen der „freien“ Videogruppen verzichten und bitte deshalb um eine Kopie der Studie. Irgendwie ging aber (Urlaub und so) dieser Brief des Herrn Schreiber verloren und die Studie, die nicht so sehr Er-
fahrungen vermittelt als vielmehr einen vortrefflichen Überblick über sämtliche oppositionelle Vi-
deogruppen, blieb erstmal, wo sie hingehörte.

Doch von Seiten der Polizei hakte man nach und geriet schließlich an Herrn Zametzer, der für die Stadtteilarbeit des Kulturreferats zuständig ist, seit sich sein Kollege Dr. Dienstbier in den Augen des Ältestenrats dafür disqualifiziert hat. (Dienstbier hatte die Frechheit besessen, zur Verleihung des betulichen Schwabinger Kulturpreises die Bayernrockgruppe „Sparifankal“ einzuladen und damit „dem Ansehen der Landeshauptstadt schwer geschadet“.) Dieser Herr Zametzer, aufrechter Sozialdemokrat und Neffe des ehemaligen Stadtbaurats Zametzer hat sich in den zehn Jahren, die er im Staatsdienst verbrachte, eine unerschütterlich korrekte Auffassung von Beamtentum und vor allem „Amtshilfe“ angeeignet. Offenbar war er davon überzeugt, mit der Herausgabe der Studie an das Polizeipräsidium einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des Rechtsstaats leisten zu können und tat das dann auch.

Für die Video-Gruppen bedeutete diese „Loyalität“, dass es dem Staatsschutz ein leichtes war, wäh-
rend der Schleyer-Entführung bei sämtlichen „einschlägigen“ politischen Videogruppen in spekta-
kulären Einsätzen nicht nur das gesamte Material zu sichten und für die Computer zu speichern, sondern auch die Gruppen und Individuen ihrer Umgebung gegenüber erheblich zu diffamieren und sie so womöglich von ihrer Basis abzuschneiden.

Einen Überblick zu erlangen darüber, wer in München mit Video arbeitet, war sicher nicht der ein-
zige Grund für das Interesse der Polizei an der Studie. Dafür ist sie zusätzlich einen leichteren Weg gegangen und hat die Kundenkartei der Generalvertretung von Sony gefilzt, dem größten Video-
hersteller, an dem kaum eine Gruppe vorbeikommt. Wesentlich ist vielmehr, dass der Polizei mit der Studie auf bequeme Art zu einer Übersicht darüber verholfen wurde, was die einzelnen Grup-
pen und Leute machen und wollen. Die Fahndung nach den Schleyer-Entführern hat die Studie in den Händen der Polizei gewiss nicht weitergebracht, sie hat aber die Polizei einem weiteren Ziel der Fahndung nähergebracht: potentielle politische Gegner zu erfassen und ohne rechtliche Grundlage (Gott, wie putzig!!) genaueste Informationen zu sammeln. Denn man kann mit Sicher-
heit davon ausgehen, dass von jedem beschlagnahmten Videoband, besonders von Anti-AKW-Bändern usw. Kopien angefertigt wurden.

Fazit – etwas oberlehrerhaft, aber trotzdem: Wer politisch arbeitet, muss sich darüber im klaren sein, dass das Interesse besteht, ihn und die Informationen, die er hat, zu erfassen. Wer glaubt, einer scheinbar „unpolitischen“ Institution wie dem Kulturreferat unbeschadet Mitteilungen ma-
chen zu können, arbeitet letztlich ebenso dem politischen Gegner in die Hände wie die Bürgerini-
tiativen, die gutgläubig interne Informationen für wissenschaftliche Arbeiten zur Verfügung stellen und dann feststellen müssen, dass sie es selbst waren, die das Material zu ihrer Bekämpfung gelie-
fert haben. Da ist es egal, ob der einzelne Angestellte im Kulturreferat oder der Student in seiner Diplomarbeit das eigentlich wollten. Eine besondere Verantwortung haben dabei Leute, die im Me-
dienbereich arbeiten. Gerade sie können unversehens in der fatalen Situation sein, dem Staats-
schutz Informationen über Dritte geliefert zu haben.

Das wärs erstmal.


Blatt – Stadtzeitung für München 112 vom 13. Januar 1978, 4 f.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Medien

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