Materialien 1977

Senden Sie „Das Illustrierte Blatt“ an die Front

Passt mal auf, liebe Leute: Allmählich kann man’s hier nämlich mit der Angst kriegen. Wenn wir uns anschauen, was die Presse in den letzten Wochen an Geifer über uns ausgeschüttet hat, fühlen wir uns dem Ende nahe: Noch immer wurden Verbote, Liquidierungen, Beschränkungen in „unserem“ Staat von den Schmierereien irgendwelcher Lohnschreiberlinge und -filmer in den Massenmedien eingeleitet, vorbereitet, gesellschaftsfähig gemacht.

Die Diffamierungskampagne läuft bundesweit, nicht nur gegen’s Blatt, z.B. auch gegen den ID, und nicht nur in den konservativen Blättern.

Der Rheinische Merkur (da scheinen völlig Wahnsinnige zu sitzen) wußte kürzlich zu berichten: „Von den über hundert Druckerzeugnissen kommunistischer Gruppierungen hat ‚Blatt’ vermutlich den größten Erfolg. Es gibt sich unabhängig und durchbricht so das Partei-Ghetto. Derweil ist die Nähe zum KBW unverkennbar. Und dieser wiederum hält nach außen hin klare Distanz zur Stadtguerilla der ‚Roten Armee Fraktion’.“ Ansonsten würden wir, schreibt die „Zeitung“, Terrorslogans in Ratschlägen für Schwabing-Bummel verpacken.

Auch über den Bayernkurier, der am 8. Oktober dem BLATT fast eine halbe Seite unter der Überschrift „Blatt-Macher als Scharfmacher“ widmete, konnte man ja mit Mühe und Not noch lachen. Hier wird das Blatt in beachtliche politische Höhen gehoben: „Solange noch Pamphlete wie ‚Blatt’, die auf die Zerstörung unsres Staates hinarbeiten, für jedermann öffentlich am Kiosk für 1,50 erworben werden können, so lange wirken die beschwörenden und beschwichtigenden Kanzlerappelle in dieser kritischen Zeit nur als verbale Schaumschlägerei.“

Der Schluss des Artikels stimmt allerdings auch uns bedenklich. „Sympathisanten der Terroristen gibt es nicht nur im Untergrund – sie wühlen und hetzen in aller Öffentlichkeit, unbehelligt und ungestraft. ‚Blatt’ ist nur ein Beispiel dafür“, lesen wir und uns schwant Schlimmes.

Und nicht nur unsren unglaublichen Höhenflug können wir in anderen Medien weiterverfolgen. Der Münchner Merkur schreibt uns am 22. Oktober nicht nur eine Auflage von 135.000 zu (wenn das so wäre, wär’ der Merkur schon längst von den Kiosken verschwunden, liebe Kollegen!), er setzt über diesen Dreck, der dort wohl Artikel genannt wird, selbstverständlich die Überschrift „Rechtfertigung der Gewalt und Kneipentips“. Für die Demagogen ist klar: Das BLATT enthält eitel Terrorismus, den seine cleveren Redacteure, kriminell allesamt, der naiven Leserschaft in Gaststättentips, Veranstaltungskalender und witzigen Zeichnungen sorgfältig verpackt unterjubelt. Da geht dem Herrn Hofberichterstatter Koch von der SZ natürlich auch die Bezeichnung „Baader-Meinhof-Blatt“ fließend über die Lippen – die CSU hat’s ja diktiert. Die kriegt allerdings eine Anzeige von uns, damit die SA (Staatsanwaltschaft) was zum Einstellen hat.

Zitate gäb’s noch genug aus der jüngsten Zeit (der Münchner Stadtanzeiger entblödete sich z.B. nicht, den Quatsch aus dem Merkur zu übernehmen), aber was soll’s! Denn nicht genug mit jenen: Der Spiegel mit seiner Sympathisanten-Serie und den vorher gelieferten einschlägigen Artikeln übertrifft selbst die Rechtspresse mit seinen loyal verpackten Schreibereien. Stück für Stück und Scheibchen für Scheibchen sollen wir beschnitten werden und werden es, packt man uns Watte ins Hirn statt der Gedanken, die wir nicht mehr denken dürfen, soll uns durch gezielte verleumderische Kampagnen die Luft zum Atmen genommen werden.

Die Hetze der Reaktionäre setzt ganz rechts an. Bei der SPD, bei FDP-Mitgliedern, bei Intellektuellen, bei kritischen Professoren. Vorsorglich, damit im Lauf der Zeit klar ist, dass alles, was sich außerhalb dieses Spektrums bewegt, bis zur Nase im Sympathisantensumpf steckt. Können sich „Persönlichkeiten“, einmal angegriffen, über liberale Teile der Medien noch einigermaßen wehren, so werden die „kleinen“, Aufmüpfigen, heute sowieso Ohnmächtigen kaum noch eine Öffentlichkeit finden. Wenn Scheel in hehren Phrasen an die Vernunft der Demokraten appelliert, man sich dazu durchringt, allgemein nach den Ursachen des Terrorismus zu fragen (obwohl einem die Antwort in den meisten Fällen wurscht ist) ist das Gewissen beruhigt, Leute wie Grass, Böll usw. werden eine Weile in Ruhe gelassen, unsereiner ist glücklich, noch mal mit einer Geldstrafe davongekommen zu sein. Aber unter den Fittichen der rechtsstaatlichen Friedhofsruhe und während es im Blätterwald bereits nach Kadaver stinkt, wird mit deutscher Gründlichkeit weitergeschnüffelt, ermittelt, verfahren, verurteilt. Und wieder ist eine neue Stufe erreicht auf dem Weg in die Vergangenheit.


Blatt – Stadtzeitung für München 106 vom 21. Oktober 1977, 4.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Medien

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