Materialien 1977

Zu Buback

Die Tötung von Siegfried Buback war sicherlich kein „Attentat gegen den Rechtsstaat“, wie Willy Brandt meint, solche „Attentate“ werden von anderen verübt, von Leuten, die Berufsverbote und Literaturverbote verhängen, die Angeklagte- und Verteidigerrechte einschränken, denen Profite wichtiger sind als menschliche Lebensbedingungen, die ihre politischen Gegner entgegen ihrem verbalen Anspruch nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln, sondern mit einer unerbittlichen Strategie bekämpfen, von Leuten, zu denen Siegfried Buback selbst gehörte.

Es wäre müßig, in diesem Zusammenhang noch einmal alle Aktivitäten und Verantwortlichkeiten des Verstorbenen aufzuzeigen, dies hat die bürgerliche Presse zur Genüge getan. Wichtiger scheint mir zu sein, mit welcher Einstellung Buback sein Handwerk betrieben hat.

So hat er zum Beispiel in einem Spiegelinterview letztes Jahr ausgeführt, was er selbst von Geset-
zen hält: „Der Staatsschutz lebt davon, dass er von Leuten wahrgenommen wird, die sich dafür engagieren. Und Leute, die sich dafür engagieren, wie Herold und ich, die finden immer einen Weg. Wenn sie eine gesetzliche Regelung haben und sie mal strapazieren müssen, funktioniert sie ja meistens doch nicht.“ Etwas später hat Buback sich mit seiner gesetzlichen Funktion mit dem Rechtsstaat gleichgesetzt: „Ich bin der Meinung, dass die Sicherheitsbehörden – wobei ich hier lieber sagen würde der Rechtsstaat – mit dem Terrorismus in der Bundesrepublik trotz seiner internationalen Verflechtung fertig wird“ (Interview mit dem Deutschlandfunk). Es war auch das herausragende „Verdienst“ Bubacks, immer dann, wenn er bei der Bekämpfung politischer Straf-
täter, politischer Gefangener und ihrer Anwälte die Gesetze „strapaziert“ hatte, diese Tatsachen mittels der Massenmedien zu verschleiern. So meinte er im Februarheft (76) von Readers Digest: „Die Bekämpfung des Terrorismus durch die Polizei ist aber nur ein Teil des Problems; ebenso wichtig ist die politische Aufklärung. Und dabei spielen die Massenmedien eine große Rolle.“ Zentrale Themen der „politischen Aufklärung“ der Bevölkerung waren für Buback:

□ Es gibt keine Isolationshaft und keine Sonderbehandlung. Die Gefangenen erhalten eine bevor-
zugte privilegierte Behandlung.
□ Die Justizbehörden bemühen sich, den Gefangenen ein rechtsstaatliches Verfahren zu sichern. Das wird jedoch von ihnen und ihren Verteidigern sabotiert.
□ Es handelt sich nicht um politische Gefangene, sondern um gemeine Kriminelle.

Buback war somit alles andere als ein „unbestechlicher Anwalt des Rechts“, wie Genscher meinte.

Sollen wir deshalb die „Hinrichtung Bubacks und seiner Begleiter“ (so das „Kommando Ulrike Meinhof“, das die Verantwortung für die Tat auf sich nahm) als einen Meilenstein der sozialen Emanzipation preisen? Reicht die Begründung, „Buback sei direkt verantwortlich gewesen für die Ermordung Holger Meins, Siegfried Hausner und Ulrike Meinhof“ (so das „Kommando Ulrike Meinhof“) aus, um die Aktion zu einer politisch richtigen zu machen?

Ist Buback unser Carrero Blanco1? Ich glaube nicht!

Sicher haben wir nichts gemein mit Reformisten aller Schattierungen, die bei jeder gewaltsamen Aktion ganz gleich, ob sie sich als eine Durchsetzung emanzipativer Kollektivbedürfnisse darstellt oder ob es sich um eine individuelle Einzelaktion handelt, Zetermordio schreien und die Gefahr der Gegenreaktion in Form des Faschismus heraufbeschwören. Aber wir haben genauso wenig gemein mit Genossen, die alttestamentarische Moral „Auge um Auge – Zahn um Zahn“ mit Politik verwechseln und mit dem Spruch „Wer nicht für uns ist, ist ein Staatsschutzschwein“ jede Kritik, auch solidarische, im Keime ersticken wollen.

Auch nach dem Tod Bubacks werden bei der Bekämpfung des politischen Gegners weiter „Gesetze strapaziert“ werden oder, wenn dies nicht ausreicht, eben geändert. Es wird weiter Isolationshaft, Verteidigerausschlüsse und sicherlich auch weiter Tote durch Polizeikugeln mit der Begründung der „Notwehr“, der „Putativnotwehr“ und des „übergesetzlichen Notstands“ geben – das neue Po-
lizeigesetz wird dies sogar noch erleichtern.

Ebenso wird es auch weiter Genossen geben, die durch Bubacks in ihrem liberalen Vertrauen auf den „Rechtsstaat“ enttäuscht, den Weg des Untergrunds wählen, um ihren individuellen Hass in Aktionen wie der Karlsruher Ausdruck zu geben. Für mich sind solche Aktionen trotz ihrer forma-
len Radikalität noch mit dem Stempel des Liberalismus behaftet: Wer mit solchem Hass individu-
ell gegen auswechselbare Vertreter des Staatsapparates vorgeht, hat den Rechtsstaat selbst noch total verinnerlicht. So ist es dann auch kein Wunder, dass ein Großteil dieser Genossen aus dem background bürgerlich-liberaler Moral kommt: aus Lehrer-, Pfarrer- oder Anwaltselternhäusern oder aus den entsprechenden Berufserfahrungen.

Ich vermag daher in der Aktion von Karlsruhe außer der unbestreitbaren Tatsache, dass eine Men-
ge Leute, auch aus der Bevölkerung, ein warmes Gefühl im Bauch gehabt haben mögen, weil „es einen von denen da oben“ erwischt hat, nichts Positives sehen. Dagegen eine Menge Negatives: Bubacks Tod hat die Wanzendiskussion erstickt, Bubacks Tod hat sicherlich Auswirkungen auf den Haftentlassungsantrag für Karl-Heinz Roth und Roland Otto gehabt, Bubacks Tod ist der Vorwand für Politiker aller Fraktionen, während sie noch Krokodilstränen über die Tat vergießen, an neuer-
liche Gesetzesverschärfungen heranzugehen.

Es zeigt die völlige politische Isolation von Genossen wie dem „Kommando Ulrike Meinhof’, dass ihnen die politische Situation der Linken anscheinend völlig egal ist.

In der KKW-Bewegung hat sich zum ersten Mal seit der Studentenbewegung in einem Bereich Massenbedürfnis und linke Politik wieder vereinheitlicht. Diese Bewegung hat es zeitweise sogar vermocht, den Staat in die Defensive zu drängen, so wenn etwa der Bundeskanzler selbst zu einer Anti-KKW-Demonstration aufrufen musste („Wenn ihr schon demonstriert, demonstriert friedlich in Itzehoe und nicht gewaltsam in Brokdorf’). Gleiches gilt für die Wanzenaffäre, wo sich über die konkreten staatlichen Übergriffe hinaus ein allgemeines Unwohlsein gegen totale staatliche Über-
wachung zu artikulieren begann.

Die Wirkung der Karlsruher Schüsse auf diese Bewegung bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch schon, dass die Aktion zu diesem Zeitpunkt dem Gegner so gelegen kam, dass er sie hätte erfinden müssen, wenn sie nicht gelaufen wäre.

Siegfried


Blatt – Stadtzeitung für München 92 vom 22. April 1977, 5.

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1 Die baskische Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA) sprengte am 20. Dezember 1973 die graue Eminenz des Francismus und rechte Hand von Caudillo Francisco Franco, den spanischen Regierungschef Luis Carrero Blanco, in Madrid in die Luft.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Militanz

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