Materialien 1977

Ewig büßen für Hitler?

Weil dieser größenwahnsinnige Verbrecher und seine Kumpane in Staat und Wirtschaft 12 Jahre lang unser Land beherrscht haben, mußten Millionen Menschen auf der Welt mit dem Leben dafür „büßen“: die ermordeten Juden und Antifaschisten und die Opfer des Zweiten Weltkrieges.

Millionen „büßen“ heute noch: die Hinterbliebenen der Opfer des Naziregimes und des Krieges, die Verkrüppelten und Verstümmelten.

Die aber sind nicht gemeint, wenn der Herausgeber der neofaschistischen „Nationalzeitung“ Gerhard Frey und seine „Deutsche Volksunion“ aufrufen zu einer Großkundgebung mit dem Motto: „Ewig büßen für Hitler?“

Gemeint sind die, denen wir das alles zu verdanken haben. Jener „harte Kern“ der größten Terroristenbande, die es in der Weltgeschichte je gegeben hat.

Für einen Mord – €ein Monat Gefängnis

Der Kriegsverbrecher Kappler terrorisierte als Gestapo-Chef die Bevölkerung von Rom, 335 Menschen wurden unter seiner Regie in den ardeatinischen Höhlen ermordet – 335 unschuldige Geiseln, darunter Frauen und Kinder. Kappler selbst legte dabei kräftig mit Hand an.

Kappler „büßte für Hitler“?

Das wollen uns die alten und neuen Nazis jetzt weismachen, die begeistert über den faschistischen Handstreich jubeln, mit dem dieser Mann seiner gerechten Strafe entzogen wurde. Kappler „büßte“ für den von ihm begangenen Massenmord.

335 Mordopfer: Rechnet man die Zeit, die Kappler bisher abgesessen hat, dann ergibt das für jeden Ermordeten einen Monat Gefängnis. Für einen Mörder eine milde Strafe, sollte man meinen.

Unser Land – ein Abfallkübel?

Jetzt wurde Kappler „befreit“ und hält sich in unserem Land auf. Die zuständigen Behörden wollen ihn nicht mehr an Italien ausliefern. Wieder einmal ein Verbrecher, dem hier großmütig Unterkunft und Straffreiheit zugestanden werden. Wird die Bundesrepubiik langsam zum „Abfallkübel“ Europas, in dem sich die Verbrecher sammeln und tummeln dürfen?

Die ganze Welt blickt jetzt auf unser Land. Es hat sich draußen herumgesprochen, wie leichtfertig man bei uns mit den Gesetzen umgeht, wenn unbequemen Bürgern die Ausübung ihres Berufes verboten werden soll. Jetzt aber – wo es um einen Massenmörder geht – reden unsere Regierenden groß von Gesetzen, die sie einhalten müßten. Ungeachtet ihrer politischen Richtungen empören sich Zeitungen wie der konservative Pariser „Figaro“, die „New York Times“, die gesamte italienische Presse und die Öffentlichkeit in all den Ländern, die unter dem Hitlerfaschismus zu leiden hatten, über dieses Verhalten der bundesdeutschen Behörden. Überall kann man nachlesen, was für ein bedrohliches Ausmaß bei uns Rechtsradikalismus und Faschismus schon wieder erreicht haben.

Faschismus und Rechtsradikalismus – eine Bedrohung

An mahnenden Stimmen fehlt es auch in unserem Lande nicht. Erst vor kurzem hat der SPD-Vorsitzende und ehemalige Bundeskanzler Willi Brandt auf die rechtsradikale Gefahr hingewiesen. Aber auch SEINE Warnungen werden von seinen eigenen Parteifreunden in der Bundesregierung und von der Opposition vom Tisch gefegt. Die alten und neuen Nazis haben wieder Oberwasser. Sie organisieren im ganzen Land Aufmärsche, Kundgebungen, SS-Treffen, beschützt von uniformierten Schlägertrupps und geduldet von den Behörden.

Das steht uns am Samstag auch in München bevor. Die Stadtverwaltung behauptet, nicht in der Lage zu sein, die faschistische „Hitler“-Kundgebung des Herrn Frey zu verbieten. Und das, obwohl neben vielen anderen demokratischen Organisationen auch die Münchner SPD energisch das Verbot dieser Nazi-Propagandaschau gefordert hat.

Die Stadt beruft sich auf rechtliche Schwierigkeiten. Die allerdings scheint es vor kurzem für Nürnbergs Stadtverwaltung nicht gegeben zu haben, als dort die Neonazis einen „Auschwitz-Kongreß“ planten. Man nahm Rücksicht auf die öffentlichen Proteste und verbot die Veranstaltung.

Was an diesem Samstag im „Schwabingerbräu“ stattfinden soll, ist nichts anderes als eine Neuauflage dieses verbotenen „Kongresses“. Deshalb wurde der Amerikaner A.R.Butz eingeflogen, der über den „Jahrhundert-Betrug“ reden soll. Darunter verstehen die Neofaschisten die Tatsache, daß von ihren Gesinnungsfreunden im „Dritten Reich“ Millionen von Juden ermordet wurden.

Das demokratische München läßt sich diese unverschämte Provokation nicht bieten!

Einmal „Hauptstadt der Bewegung“ war genug!

Der Naziaufmarsch muß verhindert werden! – Alle Demokraten in unserer Stadt sind dazu aufgerufen, sich am Samstag an der Münchner Freiheit zu versammeln:

ANTIFASCHISTISCHE KUNDGEBUNG

Samstag, den 3. September 1977 um 14 Uhr
im Forum der „Münchner Freiheit“

Es sprechen und treten auf:
ALFRED HAAG, Landesvorsitzender den Vereinigung der Verfolgtem des Naziregimes – Bund der Antifaschisten
RICHARD SCHERINGER, Gemeinderat und Gründumgsmitglied der VVN
Münchner Songgruppe und Schwabinger Künstler

Verantwortlich: VVN-Bund der Antifaschisten
Ernst Antoni, Frauenlobstraße 24. Eigendruck im Selbstverlag


Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Rechtsextremismus