Materialien 1977

Keine Hilfe bei Sanierungshärten

Staatsregierung blockiert Sozialplan

Das Sozialreferat der Stadt hat für die Sanierung Haidhausens soziale Hilfspläne ausgearbeitet, die in wesentlichen Teilen sehr begrüßenswert sind. Wenn es nach diesen Planungen geht, dann werden einige soziale Härten, die die Sanierung mit sich bringt, mit behördlichen Zuschüssen aufgefangen werden können. Doch dieser Sozialplan ist jetzt in Gefahr: die Regierung von Oberbayern will ihn nicht finanzieren.

Bisher wurden Mieter, die sich vor der Sanierung fürchteten, immer auf den großzügigen Sozialplan der Stadt verwiesen. Nach diesem Plan sollten beispielsweise alle Umzugskosten von Sanierungsbetroffenen bezahlt werden, und wenn manche Leute übergangsweise in eine andere Wohnung ziehen mussten dann sollten sie weiterhin nur ihre alte Miete zahlen müssen. Was die Übergangswohnung eventuell teurer ist, das wollte die Stadt übernehmen. So steht es ausdrücklich im Sozialplan für den Block 15 auf Seite 23: „Durch eine Umsetzung oder den Bezug einer Übergangswohnung entstehende Kosten sowie Umzugskosten sind aus Städtebauförderungsmitteln zu ersetzen.“ Und auf Seite 24: „Übergangsmieter bezahlen während ihres Verbleibs in den Übergangswohnungen die Miete in ihren alten Wohnungen in der bisherigen Höhe weiter. Die Unterbringungskosten sind nicht dem Übergangsmieter anzulasten.“

Doch genau in diesem Block mussten Mieter die bittere Erfahrung machen, dass der Sozialplan wohl nur geduldiges Papier ist. Frau Trömmler und Herr Hertinger, die beide in dem inzwischen abgebrochenen Haus Wolfgangstraße 12 a wohnten, schrieben zwar Anträge Briefe – aber ihre erhöhte Miete der Übergangswohnungen Weißenseestraße bekamen sie nicht bezahlt. Dabei wohnen Frau Trömmler und Herr Hertinger wirklich nur übergangsweise in Giesing, denn sowie der Neubau steht, wollen sie in den Block 15 zurückziehen.

Auf die Pläne der Stadt kann man sich also offensichtlich nicht verlassen, und zwar weil dahinter immer noch als Aufsichtsbehörde die Regierung von Oberbayern steht, die die Finanzierung genehmigen muss. Und diese Genehmigungen sollen in solchen Fällen in Zukunft unterbleiben. Die Regierung ist nämlich der Auffassung, dass Menschen, die wegen Abbruch in eine andere Wohnung müssen, keine Mietunterschiede bezahlt bekommen. Nur wer aus seiner Wohnung muß, weil diese gerade renoviert wird, soll vielleicht etwas bekommen. Frau Regierungsbaudirektor Losca will jeden Fall einzeln prüfen und keine grundsätzlichen Zusicherungen machen.

Bei einem solchen Verfahren ist aber der ganze Sozialplan in Gefahr. Wenn es keine grundsätzlichen Zusicherungen gibt, dann wird jeder Mieter zum Bittsteller um ein Almosen, das ihm grundsätzlich erst einmal nicht zusteht. Dann taugt der ganze Sozialplan nichts mehr. Daran ändert auch nichts, dass in unserem Beispiel die beiden Mieter letzen Endes und ausnahmsweise, wie betont wird, doch noch Geld bekommen haben – allerdings erst auf grund eines massiven Protestes der Vorsitzenden des Sanierungsbeirats Carlamaria Heim.


Carlamaria Heim ist die Vorsitzende des Sanierungsbeirats und hat sich bisher immer sehr für die Belange der Sanietungsbetroffenen eingesetzt. Sie wohnt am Johannisplatz 10. Ihre Telefonnummer: 45 20 07
g.w.


Haidhauser Nachrichten 8 vom August 1977, 1 ff.

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1 Carlamaria Heim (2. März 1932 – 9. April 1984, Suizid) ist vor allem in Produktionen des Bayerischen Rundfunks zu sehen. Für ihre nach Tonbandprotokollen von ihr herausgegebenen Lebenserinnerungen ihrer Mutter Josefa Halbinger wird sie 1983 mit dem Tukan-Preis ausgezeichnet. Ihre eigene Kindheit beschreibt Carlamaria Heim in „Aus der Jugendzeit“.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Stadtviertel

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