Flusslandschaft 1977
Stadtviertel
Der Bezirksausschuss Obermenzing sowie Anwohner kämpfen Mitte Januar mit Unterschriftak-
tionen, Protestbriefen und Anrufen bei der Lokalbaukommission für den Erhalt ihres Viertels. Besonders erbost sie eine unmittelbar neben dem unter Ensembleschutz stehenden Dorfkern geplante Terrassenhaus-Siedlung.
Am 28. Januar wird der „Westendladen“ in der Ligsalzstraße eröffnet. Er zeigt als erstes eine moti-
vierende Ausstellung über die geglückte Intervention einer Bürgerinitiative in Krefeld.1 Und es ent-
steht das Westend-Komitee. Seine Ziele: 1. Miteinander von Deutschen und Ausländern. Abbau ge-
genseitiger Vorurteile. 2. Gewinnung der Bevölkerung zur aktiven Mitarbeit an allen Problemen des Stadtviertels wie Planung, Abriß, Sanierung und Industriefragen. 3. Erhaltung des Westends als altes Altbauwohngebiet. 4. Verbesserung öffentlicher Einrichtungen wie Kindergärten, Spiel- und Grünanlagen, Schulen und Erwachsenenbildung.
In der Riesstraße 16, in Moosach, stinkt es gewaltig. Die Chemischen Werke München des Otto Bärlocher verbreiten mit jedem Kubikmeter Abluft 20 Milligramm Kohlenwasserstoff und 4,3 Milligramm Bleistaub. Anwohner gehen dagegen auf die Barrikaden. Die geplante Ausweitung der Chemiefirma ist eines der Hauptthemen auf einer Bürgerversammlung des Bezirks Neuhausen-Moosach am 9. März. Bezirksausschuss und betroffene Anlieger sehen darin eine Gefährdung der Gesundheit für die Anwohner.2 — Das Ende 1975 gegründete Stadtteilzentrum Milbertshofen, ein Treff der Subkultur in der Nitzschestraße 7b, heißt umgangssprachlich das „Milb“ oder „Milben-zentrum“. Hier treffen sich auch viele Gegner der Bärlocherschen Firma.
Nachdem Schwabings Wirte mit einer Unterschriftenaktion für eine Verlängerung der Sperrstunde geworben haben, beginnt am 9. März in städtischem Auftrag ein Lärm-Messtrupp mit Messungen, die zeigen sollen, ob die Nachtruhe der Schwabinger durch eine spätere Sperrstunde allzu sehr ge-
stört würde. Der Stadtrat wolle über den Antrag der Wirte erst aufgrund dieser Ergebnisse ent-
scheiden.
Die Schwabinger Bürgerinitiative Münchner Freiheit geht in die Offensive. Vom 26. März bis zum 2. April zeigt sie eine Ausstellung, informiert jeden Tag und lädt zum Mitmachen ein.3
4
Wandschmuck in Gabriele Duschls Küche, Sendlinger Kirchplatz 1, Aufnahme vom 16. Februar 2021
„DIE SANFTE TOUR. Nachdem Mieter und DKP in der Hauzenbergerstraße gegen Miethai Heckelmann und seine zwielichtigen Fimen DEBA und TIMANO einen Sieg erringen konnten (Heckelmann mußte die meisten Kündigungen zurücknehmen), versucht er es nun auf die Sanfte. Man will die Mieter in einem Nervenkrieg hinausekeln! Erhöhung der Nebenkosten, vorüberge-
hende Vermietung an Ausländer, Einzelkündigungen, um die gemeinsame Solidarität zu durch-
brechen. So hofft Heckelmann langfristig sein Ziel zu erringen. Wenn wir uns aber verständigen und zusammenhalten, wenn es uns Bürgern gelingt gemeinsam zu handeln, wird er sich an uns die Zähne ausbeißen.“5
„Ich möchte mich wegen der geplanten Untertunnelung der Trappentreustraße an Sie wenden. Wie viele von Ihnen wissen, fand am Dienstag, dem 11.10., eine ,Vorgezogene Bürgerbeteiligung‘ im Kinderheim St. Ruppert statt, zu der das Baureferat geladen hatte. Schon die äußerst kurzfristige Form der Einladung ohne große Werbung wurde zu Recht dort von mehreren Bürgern scharf kriti-
siert. Das Baureferat legte drei Pläne vor: Die mieterfeindliche Hochstraße, die bisher noch Stadt-
ratsbeschluß ist, einen Tieftunnel und den Flachtunnel. Die letztere Lösung wurde in die engere Wahl genommen und von den Anwesenden auch mehrheitlich befürwortet. Aber auch dieser Plan hat einen entscheidenden Haken: Nach den bisherigen Plänen sollen die Häuser Trappentreustra-
ße 17 und 19 (steht unter Denkmalschutz!) mit insgesamt 30 Mietparteien der Spitzhacke zum Op-
fer fallen. Und dies nur wegen einer Kanalisations- und Versorgungsstraße (Fachbezeichnung: Sparten), die man mit geringem Kostenmehraufwand auch hinter diesen Häusern hindurchführen könnte. Auf diese Weise würden nur ein paar häßliche Hofmauern und ein Anbau abgerissen wer-
den – eine Fläche, die man anschließend auch begrünen könnte. Doch wenn sich nicht möglichst viele Bürger gegen diese geplante Vernichtung von Wohnraum wehren, wird man sich bei der Stadt erfahrungsgemäß nicht viel darum kümmern. Schon jetzt müssen deshalb alle Anwohner deutlich machen, daß sie nicht gewillt sind, diesen Häuserabriß hinzunehmen … Christian Beiersdorf, Tul-
beckstraße 57 …“6
In Harlaching bildet sich Anfang November eine Bürgerinitiative, die gegen eine Bebauung des Grundstücks der Ausflugsgaststätte Menterschwaige an der Harthauserstraße/Hochleite kämpfte. Obwohl das von Gabriel Seidl errichtete Lokal unter Denkmalschutz steht und samt seinem Bier-
garten mit altem Baubestand im Landschaftsschutzgebiet liegt, plant die Löwenbrauerei, auf dem 27.000 qm großen Gelände einhundertzehn Wohnungen zu errichten. Die Anwohner lehnen dieses Projekt ab, da es die Gegend verschandele. Es sei eine Vetternwirtschaft im Stadtrat, der das Ganze dulde, da eine große Brauerei dahinter stehe.
Die Bürgerinitiative Oettingen-/Sternstraße im Lehel gibt nicht auf.7
Das „Freizeitzentrum“ Schwabylon (Investitionskosten 200 Millionen DM für 370.000 cbm) strahlt in gähnender Leere. Der Abbruch der Kommerz-Ruine an der Leopoldstraße wird zwei Millionen DM kosten.
(zuletzt geändert am 9.10.2025)
1 Siehe „‚Medien‘-Laden im Westend“.
2 Siehe dazu auch „Der Norden“ 1973 und „Stadtviertel“ 1978.
3 Siehe „… BIMF … BIMF … BIMF …“.
4 Foto: Richy Meyer
5 Der scharfe Radi. Zeitung der Deutschen Kommunistischen Partei – DKP für Laim, Hadern und Westend vom September 77, 5, Sammlung Zingerl, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung
6 Der scharfe Radi. Zeitung der Deutschen Kommunistischen Partei – DKP für Laim, Hadern und Westend vom November 77, 3, Sammlung Zingerl, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung
7 Siehe „Oettingen-/Sternstraße muss als Wohnstraße erhalten bleiben“ von Gustav Gunst.