Materialien 1977

Gift in Lebensmitteln

Forderungen des AK „Umweltpolitik“ des OV München

Alarmiert durch die kürzlichen Veröffentlichungen im „Spiegel“ Nr.43/1976 (S. 258) und in Nr.45/1976 (S. 100) über die mehr als besorgniserregende Kumulation zum Teil schwerster Giftstoffe (Cd. Pb. Hg) in Nahrungsmitteln auch an industriefernen Standorten leitet der AK Umweltpolitik im folgenden einige dringliche Forderungen ab.

Bereits 1972/73 wurden an der bundeseigenen Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung mbH. (GSF) in München schnelle und zuverlässige Methoden zur Feststellung von geringen Spuren möglicher Giftstoffe in interessierenden Proben z.B. von Lebensmitteln entwickelt, wobei schon Proben in mg- oder cm3-Mengen verarbeitet werden können. Zur Anwendung gelangte hauptsächlich die Neutronen-Aktivierungsanalyse, das ist eine Analyse mit Hilfe von radiochemischen Trennverfahren nach der Bestrahlung der Proben mit thermischen Neutronen in einem Kernreaktor. Die Untersuchung liefert den Gehalt der Proben von ca. 25 Spurenelementen. Diese Methode gestattet bereits den Nachweis von Spuren von weniger als einem Zehnmillionstel bis zu Billionstel Gramm je Probe.

Es stehen also seit Jahren nicht nur ausgereifte Meßmethoden, die die Verarbeitung von vielen Proben in relativ kurzer Zeit gestatten, zur Verfügung, es sind darüber hinaus teilweise bedenkliche Werte gemessen worden. Dies wird durch die im „Spiegel“ Nr. 45/1976 (S. 258) zitierten neuen Ergebnisse noch unterstrichen: Bei einer für den Menschen tödlichen Cadmium-Menge von 30 – 50 mg enthält 1 kg Champignons oder Schweinenieren derzeit bereits Mengen im mg-Bereich. Circa 0.5 Gramm Blei ist durchschnittlich in 1 kg Kalbsleber enthalten. Auch viele Fischsorten sind so hoch mit Quecksilber verseucht, daß jeder höchstens noch 300 Gramm davon pro Woche verzehren dürfte. Diese Liste ließe sich hinsichtlich gewisser Konserven und Dosenmilch (Zinn und Cadmium!) beliebig verlängern.

Alle diese Ergebnisse liegen zum Teil sogar seit Jahren vor. Dennoch gab die Bundesgesundheitsministerin K. Focke auf eine diesbezügliche Anfrage im Bundestag hin eine beruhigende Antwort und zwar aufgrund der ihr von ihrem Ministerium zugearbeiteten Unterlagen! Desgleichen meint der amtliche Ernährungsbericht 1976 (laut „Spiegel“ Nr. 45/1976, S. 100), es seien noch „keine besorgniserregenden Werte“ festgestellt worden!

Aus dieser Diskrepanz zwischen tatsächlichen wissenschaftlichen Ergebnissen und behördlicher Beschwichtigung leitet der AK seine Forderungen ab:

1. Es möge festgestellt werden. wo der Informationsfluss zwischen der bundeseigenen GSF und dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit unterbrochen ist. Man möge die Kommunikationswege zur Weitergabe von Informationen einmal in umgekehrter Richtung verfolgen, um herauszufinden, welchen Stellen die Ergebnisse der GSF zu unwichtig (oder vielleicht auch zu unbequem!) erschienen, um sie weiterzuleiten oder zu verwerten.

2. Die Forschungsergebnisse sind vom Gesetzgeber oder auf dem Verordnungswege wirksam umzusetzen. Hier sei noch die Frage angefügt, warum der Bund Forschung in seinen Instituten finanziert, wenn er deren Resultate nicht praktisch verwerten will?

3. Es sind wirksame Kontrollen im Lebensmittelbereich einzuführen und durchzusetzen, die Aufsichtsbehörden zu diesem Zweck geeignet auszustatten durch entsprechende Schulung der Beamten und Bereitstellung der nötigen Geldmittel.

4. Statt einer Milderung örtlich bereits eingetretener Schädigungen sollten vorrangig durch Gesetzgebung die Ursachen beseitigt werden. Heute noch nicht absehbare Spätfolgen von Schadstoffen in Lebensmitteln dürfen nicht durch Versäumnisse einiger Verantwortlicher zu einem Risikofaktor für die Gesundheit der gesamten Bevölkerung werden.

Wir erwarten also von allen Politikern, die diese und andere Hinweise in ihrer Tragweite zur Kenntnis genommen haben, wirkungsvolle Maßnahmen gemäß den obigen Forderungen in die Wege zu leiten. Andernfalls werden sie von der Mitverantwortung für eventuell entstehende gesundheitliche Schädigungen nicht freigesprochen werden können.

Bertold Rehm
Andreas Vollmer


Mitteilungen der Humanistische Union 78 vom März 1977, 8.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Umwelt

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