Materialien 1978
Dreijahrestrubiläum im Stadtteilzentrum Milbertshofen
Froh zu sein, bedarf es viel
- Gedanken zum Dreijahrestrubiläum im Stadtteilzentrum Milbertshofen
Das Zentrum feiert sein 3-jähriges Bestehen mit einem 3-tägigen Fest vom 2. – 4. November.Vor zwei Wochen waren wir nahe dran, das Zentrum dichtzumachen. Wir wollten einfach mal zumachen, um zu sehen was passiert, um vielleicht ganz neu anzufangen, um die Scene herauszufordern. Aber die Skepsis über die Anteilnahme derselben und die Lust einiger Milben trotz aller Unbillen, weiterzumachen, hat das gerade noch verhindert und wir beschlossen stattdessen, ein Fest zu machen. Das war zu einem Zeitpunkt, als wir ganz unten waren.Froh zu sein bedarf es wenig
Nach diesem Maßhaltemotto kamen wir schon über viele Krisen hinweg. Wir waren schon immer ganz groß im Herunterschrauben von Bedürfnissen und Ansprüchen, so groß, dass es uns schier genügte, Bier auszuschenken und den Betrieb auf Teifel komm raus in Betrieb zu halten.
Das schaut dann so aus: Die Zentrumler treffen sich alle zwei Montage und stellen unter Hängen und Würgen einen Küchenplan auf. Das dauert etwa eine Stunde und danach sind wir dann meistens so frustriert, dass von Weitergehendem nicht mehr die Rede sein kann. Aus Lust wurde Pflicht! Warum schmeißen wir den Laden eigentlich noch, für uns? Für euch? Für kommende Revolutionen? Oder für die Erinnerung an vergangene Zeiten?
Wir wollten mal ein STADTTEIL-Zentrum aufziehen, aber inzwischen weiß kaum noch einer, was wir für den Stadtteil bedeuten, und was der Stadtteil uns bedeutet. Einmal im Jahr machen wir ein scharfes Straßenfest, aber dann kriechen wir wieder zurück in unseren Keller. Oft ist es abends hier sehr leer, dann hocken an ein paar Tischen verteilt ein paar vereinzelte Freaks. Einer von uns hängt gelangweilt hinter der Theke, gekocht wurde für zehn, essen wollen nur drei! Dann fragen wir uns mit Recht: wieso machen wir das und auch noch freiwillig und ohne Bezahlung! Wer an solchen Abenden ins Zentrum kommt mit was weiß ich für Erwartungen, der dreht meist auf der ersten Treppenstufe wieder um und geht lieber ins Atzinger. Aber dann gibts alle paar Wochen Veranstaltungen, da wundern wir uns, wer da so alles antanzt. Plötzlich ist der Laden gerammelt voll. Sie kommen wegen einer heißen Band, wegen einer Theatergruppe, wegen einer Disco, wegen einer politischen Veranstaltung und so weiter.
Wir sind manchmal 25 manchmal 15 Leute und in schlechten Zeiten noch weniger. Ein Kern von uns kennt sich schon sehr lange, hat das Zentrum aufgebaut und bis jetzt durch gehalten. Wer uns nicht kennt oder kennt, hält uns für eine Familie mit ein gefahrenen Verhaltensweisen und den damit verbundenen Verknöcherungen. Und hat Recht. Vieles wird unter uns nicht mehr ausgesprochen und wir wissen, dass wir allein da nicht rauskommen. Für Neue ist es bei uns schwer, mitzumachen. Im Lauf der Zeit kamen etliche dazu, einige gingen wieder. Manche springen zwischendurch ein, da sie das Zentrum gut finden. Im großen und ganzen kümmert sich die Scene nicht um die Probleme des Zentrums, sie geht ihren eigenen Geschäften nach. Wenn das Blatt einen Quark abdruckt, oder der Trikont Mist baut, können diese zumindest mit einem Leserbrief rechnen. Wenn im Zentrum Scheiße passiert, so äußert sich die Kritik im Wegbleiben und dem Verbreiten von Gerüchten. Das entspricht durchaus dem momentanen Zustand der Münchner Verhältnisse. Der Unterschied zu den meisten sogenannten alternativen Projekten ist, dass hier bis auf die Werkstätten niemand seinen Lebensunterhalt verdienen will. Das heißt natürlich, dass hier viel schief geht und ein größeres Chaos herrscht als woanders (oder doch nicht?) Aber selbst das wissen wir zu schätzen.
Der Frust und der damit verbundene Suff einzelner Leute, der nicht nur vom Zentrum herrührt, kann von uns nicht aufgefangen werden. Wir sind hilflos angesichts der Gewalt, die sich nach innen wendet. Der Masochismus der Linken im Lande hat hier seinen ganz konkreten und gewaltsamen Ausdruck. Das verschafft uns einen schlechten Ruf bei den Freaks. Der schlechte Ruf im Viertel rührt wahrscheinlich eher von unserem Anderssein. Man hält uns für Kommunisten, Molukken, Bader-Meinhofs usw. Der Wirt von gegenüber sammelt Unterschriften gegen uns und hetzt die Polizei auf uns.
Finanziell bewegen wir uns sowieso am Rande des Ruins. Aber trotzdem ein Grund was zu unternehmen und Unterstützung zu verlangen. Die verlangen die anderen auch. Deshalb auch das Fest.
Viele Außenstehende und gerade Leute, die nicht aus München sind, bestätigen uns. Sie finden gut, was im Zentrum läuft und finden wichtig, dass es sowas in München gibt, weil sie nicht wissen, wo sie sonst hingehen sollen. Sie bewundern unser Durchhaltevermögen und sehen, dass wir nicht in die eigene Tasche arbeiten und Räume frei zur Verfügung stellen. Und dann das Desinteresse auf der anderen Seite. Das dumpfe Konsumieren. Die Angst vor dem Improvisierten, dem ungewissen Etwas, dem Herausfordernden dem ewigen Unfertigen im Zentrum. Keine Speisenkarte, keine Bedienung, keine Anonymität. Ist das nicht toll?!?
Ja, ja, aber man kann hier auch tolle Sachen erleben. Nämlich, dass sich jeder so kompetent oder inkompetent fühlt wie’s grad lustig ist. Da will irgendjemand Unbekanntes die Räume benützen, irgendjemand geht ans Telefon und sagt „Selbst- verständlich“ und dann laufen hier die unmöglichsten Programme ab.
Im Moment tragen Fips und Willi ein Sofa durch den Club, um den rückwärtigen Raum etwas gemütlicher zu gestalten. Ein Teil der Kneipe freut sich, ein anderer schreit Buuhh. Aber wie hättens die Herrschaften denn gerne? Eine Frage an alle, die ihr das lest!!!!
PROGRAMM Do, 2.11. – Sa, 4.11.Laternenumzug, Wildschweinjagd durch Milbertshofen, Schafkopf- und Fußballturnier, Video-Selbstdarstellung über das Sehnen und Süchten der Milben, Freaks (Film), Musik von Tommi, Dicke Lippe, Hansi Heldmann und Tram, Sprachliches von Sepp Wittmann, Vortrag von Wischi, die legendäre Theatergruppe „Ätnah“. Essen und Trinken, Eintritt jeweils 2 Mark, Exaktes Programm im Veranstaltungskalender.
Blatt. Stadtzeitung für München 132 vom 27. Oktober 1978, 7.