Materialien 1978
Müll-Impressionen
Drei Tage im „Müllprozess“ sind abgelaufen. Oberflächlich gesehen macht der Staat der Jutta, der Margit und dem Jonny den Prozess, weil sie sich ihrer Festnahme widersetzt, Bullen beleidigt und eine Straftat vorgetäuscht haben sollen.
Wenn man sich mal vorstellt, man käme wo ganz anders her und wäre ganz unbeteiligt, könnte man denken, da findet ein Kampf zwischen zwei sehr verschiedenen Kulturen statt. Und nicht etwa auf neutralem Boden findet er statt, sondern die eine Gruppe muss sich in die schwerbewachte Burg der anderen begeben, den grauen Betonklotz mit dem Grün an den Türen, dass ganz bestimmt nicht an Wald erinnert, sondern an Militär – und das Gelb an Durchfall. Und die Luft dadrin – so staubgrau und steril wie die Wände, Böden und die Decke – ist bestimmt nicht die, die ihnen schmeckt. In diesen Räumen lebt die Macht, die die Spielregeln aufstellt und nach denen die draußen nicht immer handeln können und wollen, weil diese Regeln – ob sie sich nun einfach so allmählich eingeschlichen haben oder ob der Gesetzestext tendenziös ausgelegt wird – Teile ihres Lebens beschneidet, dass sie den Rest dann vielleicht gar nicht mehr so lebenswert finden.
„Ach Frau Czenki, seien Sie doch nicht so impulsiv!“ sagt Richter Orlin während einer Verhandlungspause zu Margit.
„Das genau ist der Unterschied zwischen Euch und uns, wir würden sowas zu Euch niemals sagen“, sagte Margit während der Rangelei an der Pacellistraße zu einem Polizisten, der gemeint hatte: „Die Öfen in Dachau sind schon für Euch vorgeheizt!“ Die Antwort darauf passt auch zu dem „guten Rat“ des Richters.
Die einen verteidigen hier die Macht ihrer Klasse, die anderen ihr Leben. Die einen haben die Walky-Talkies, die Knarren, die stupide Disziplin, die Roben, die Uniformen, die Datenbank, den Beton und die Einsamkeit – die anderen die Fantasie, die heißen Klamotten, den heißen Tee für müde Angeklagte und Zuschauer, sie haben die Freude sich umarmen und vertrauen zu können, die Lust an der Veränderung überholter Zustände und Lebensformen, den Mut sich gegen die Verachtung von Bedürfnissen zur Wehr zu setzen, den Willen zur Selbstbestimmung und -organisation.
Der Beobachter von weit her sieht auch: die direkte Ursache dieses Prozesses war die Provokation, die vom Staat ausging. Die, die sich an der Pacellistraße versammelten, hatten eine totale Überwachung über sich ergehen lassen müssen. Um die Angst und die Wut über diese Diffamierung aber nicht in Hass und Selbstzerstörung umschlagen zu lassen, hatte man noch versucht für die Ungeheuerlichkeit eine Öffentlichkeit herzustellen oder wenigstens die ganze Geschichte ins Lächerliche zu ziehen. So hatte einer der späteren Zeugen Pakete mit Müll mit sich herumgeschleppt – was, wenn er wiedermal durchsucht würde? Er hätte wenigstens mal wieder grinsen können über seine Gefährlichkeit! Aber das Feindbild der Stapo von diesen „Sympathisanten von Stammheim“ ist perfekt und nicht mehr zu verlachen.
Der Müll wird zur Bombe! Sie kann endlich zu-„greifen, packen, ziehen, zerren, runterdrücken“ (ich zitier’ die Zeugen der Anklage) und der Hund – aus der Sicht des Hundes – (Zitat Hundeführer) hat „gut gearbeitet“ und ja dann endlich auch mal „was knackiges zwischen die Zähne gekriegt“, nämlich Margits Oberschenkel und Arm. Der Überfall ist gelungen, die Macht bewiesen, das Lachen gestorben. Wenn da die Frauen noch glaubten, einander vor den Misshandlungen der Polizisten schützen zu müssen, müssen sie sich auch eine Anklage wegen Widerstands und Gefangenenbefreiung gefallen lassen – Polizisten dürfen ja gar niemanden misshandeln!!
Der Staatsanwalt allerdings darf die Erklärung des Angeklagten unterbrechen und dessen Assoziationen tadeln. Der Staatsanwalt darf auch Fragen nach der „Vergangenheit“ der Zeugen der Verteidigung stellen: „Frau … , haben Sie nicht in einer WG gelebt, in der auch Leute sich aufhielten, die von der Polizei gesucht wurden? Wo waren Sie am soundsovielten soundsovielten, waren Sie da nicht in der Stadelheimerstraße? Haben Sie nicht schon einmal ein Verfahren gehabt wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt? – Herr M., waren Sie nicht schon einmal verreist mit der Angeklagten? Wie oft? In Gruppe? usw.“
Zwei Frauen unter den Zuschauern, die „nicht mehr an sich halten können“, und ihrer Empörung Luft machen, werden bestraft, die eine, Gisela Erler, muss 200 DM zahlen und die andere, Margarethe von Trotta, muss gleich einen Tag in Haft, ist ja egal, ob sie ein Kind hat zu Hause, das alleine ist. Nach all dem versuchten dann die Anwälte den Staatsanwalt Görlach als Zeugen zu laden, um Ihn über die Observierungsanordnungen befragen zu können, über die er so gut informiert zu sein scheint. Der Richter lehnt das ab. Daraufhin lehnen die Anwälte den Richter ab und der Richter lehnt seine Befangenheit ab …
Nochmal drei Tage kann der Prozess dauern, drei weitere anstrengende Tage. Neutral kann man als Zuschauer nicht bleiben, dafür geht es für Zuschauer und Angeklagte um zuviel, besonders für Margit. Aber die Drei auf ihrem Bänkchen und ihre Verteidiger lassen keine Weinerlichkeit aufkommen. Sie sitzen nicht wie verängstigte Hühner in der Ecke, sondern verteidigen sich selbst, wehren sich direkt und „impulsiv“ gegen die Verächtlichmachung seitens der Staatsvertreter. Und das ist eine Stärke und eine Macht, die kann uns keiner zerschlagen, egal wie der Prozess ausgeht.
„MIT DIESER MACHT WIRD MAN RECHNEN MÜSSEN“ (sagte C., Richter in seinem Monitor-Kommentar zu Tunix)!
Blatt. Stadtzeitung für München 116 vom 10. März 1978, 17 f.